Mülheim. . Klaus Bloem, der mit dem Laden seit seiner Jugend verbunden ist, gibt „altersbedingt“ auf. Mitarbeiterin wechselt zur Buchhandlung am Löhberg.

Man sieht es den Bücherregalen in der Buchhandlung Röder schon deutlich an. Sie sind wesentlich lockerer mit Büchern gefüllt als üblich, dazwischen klaffen große Lücken, und auf den Tischen liegen Einzelexemplare statt Stapel. An der Wand verspricht ein Plakat „das großes Finale“, meint aber damit den vierten und letzten Teil der neapolitanischen Saga von Elena Ferrante, der im Frühling erschienen ist, und nicht die Buchhandlung, die zum Monatsende schließt.

Schon vor 50 Jahren als Schüler im Laden geholfen

An der Leineweberstraße geht damit eine lange Tradition zu Ende. 1845, also vor 173 Jahren, eröffnete die Buchhandlung. „Ja, das ist schon eine lange Zeit“, sagt Klaus Bloem. Als Schüler schon hat der inzwischen 67-Jährige dort in den Ferien ausgeholfen, was mittlerweile auch schon fast 50 Jahre her ist, und hat dort auch während der Semesterferien gejobbt. Studiert hat er dann zunächst etwas ganz anderes, wusste aber bald, dass er in diesem Beruf nie arbeiten wird. 1976 erhielt er dann von der damaligen Chefin ein Anstellungsangebot, das er gerne annahm. Seine Leidenschaft für Bücher, so sagt er, war familiär vorgeprägt.

1985 folgte der nächste Einschnitt. Zur Überraschung aller, setzte sich seine Chefin damals schon mit 65 Jahren zur Ruhe, obwohl alle dachten, sie würde das Geschäft ewig leiten. „Damals war es noch eine ganz andere Arbeit“, erinnert sich Bloem und wird kurz melancholisch. Für die Bestellung mussten sie noch dicke Kataloge wälzen, und die Wahrscheinlichkeit, einen Ladennachfolger zu finden, war größer. „Aber was wird dann aus mir?“, fragte sich Bloem damals, und aus dieser Unsicherheit heraus entschied er sich, die Buchhandlung selbst zu übernehmen.

Dauerbaustellen in der Innenstadt

Seit 2011 befindet sich die Buchhandlung an der Leineweberstraße, ein Standort, den er mag, vor allem, weil er hier alles auf einer Ebene hat und das Lieferfahrzeug gut auf den Hof fahren kann. „Altersbedingt“, erwidert er knapp auf die Frage nach den Gründen der Schließung. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Ein ganzes Jahr habe er sich mit dem Gedanken getragen, auch vergeblich nach einem Nachfolger gesucht. Die traurige Botschaft hat er inzwischen seinen Stammkunden mitgeteilt, bei denen es sich vielfach auch um ältere Menschen handelt, die sich an bessere Zeiten erinnern und die Schließung bedauern.

Die Vielzahl der Baustellen macht es auch einem Buchhändler nicht leichter. Schon an der Friedrich-Ebert-Straße hatte er unter der Dauerbaustelle, wo der Schienenverkehr neu geregelt wurde, gelitten. Nun hat er den Eindruck, dass die Stadtmitte aus keiner Richtung mehr störungsfrei zu erreichen ist.

Büchermarkt schrumpft

Und der Büchermarkt schrumpft, es kostet Kraft und Mühe, sich zu behaupten. Für Bloem war das der kostenlose Lieferservice für Firmen, Rechtsanwaltskanzleien, Bibliotheken, Firmen, Hochschulen, aber auch für Privatkunden. Dieses gepflegte zweite Standbein, das er Rechnungsgeschäft nennt, erwies sich über die Jahre als das kräftigere, und es wird nicht mit dem Laden stillgelegt.

Mitbewerber Michael Fehst, der seit acht Jahren die Buchhandlung am Löhberg 4 betreibt, übernimmt den Geschäftszweig „zu fairen Konditionen“, wie Fehst sagt. „Es ist eine Lösung, von der alle profitieren“, sagt Bloem und denkt insbesondere an seine langjährige Mitarbeiterin Gabriele Laucke, die in der Buchhandlung Röder ihre Ausbildung gemacht hat und mit 58 Jahren in einem Alter ist, in dem man nicht mehr so leicht etwas findet.

„Mit Gabriele Laucke gewinnt Fehst eine erfahrene und belesene Buchhändlerin“, sagt Klaus Bloem, der sich im Kunstverein und im Freundeskreis der Bücherei engagiert. Er wird sich daran gewöhnen müssen, keine 60-Stunden-Wochen mehr zu haben, nach anderen Aktivitäten Ausschau halten, natürlich lesen und häufiger nach Schweden reisen, der Heimat seiner Mutter, wo Verwandte und Freunde leben.

Ausverkauf läuft eine Woche lang

Ein Großteil der Bücher kann Klaus Bloem an die Verlage zurückgeben. Aber einige Verlage lehnen solche Regelungen ab. Deshalb gibt es einen Ausverkauf, der am 21. Juni startet und eine gute Woche lang läuft. Ob die
120 Quadratmeter große Fläche auf Interesse bei anderen Mietern stößt, wird sich zeigen. Eine neue Nutzung ist noch nicht in Sicht.

Mit einem Umsatz von knapp 4,43 Milliarden Euro hat der stationäre Buchhandel laut Börsenverein im Vergleich zum Vorjahr 3,4 Prozent eingebüßt. Bundesweit gibt es 3682 Unternehmen (2016) im Buchhandel mit knapp 30 000 Beschäftigten. Zehn Jahre zuvor waren es über 5000 Unternehmen. Insgesamt werden auch weniger Bücher gelesen.

Inhaber mehrerer Traditionsgeschäfte geben aus Altersgründen auf 

Nicht nur die Buchhandlung Max Röder verschwindet nach Jahrzehnten aus Mülheims Stadtbild. Die Adresse Kohlenkamp 7 ist schon verwaist: Die Inhaber von Radio Kaiser haben nach 45 Jahren den Verkauf drangegeben, setzen jetzt nur noch auf Service. Und bei Radio Giesbert an der Ecke Löhberg/Wallstraße läuft der Räumungsverkauf.

© Herbert Höltgen

Für Citymanagerin Gesa Delija haben alle drei Geschäftsschließungen eine Gemeinsamkeit: „Sie erfolgen aufgrund des Alters der Inhaber. Und weil es keinen Nachfolger gibt.“ Aus Gesprächen wisse sie, dass mangelnder Umsatz in keinem der Fälle (Haupt-)Ursache für das Ende der Läden gewesen sei – „auch wenn die Geschäfte natürlich nicht mehr so liefen wie vor 20 Jahren“. Klar sei, „dass man mit 70 oder 80 nicht mehr immer weiter hinter der Ladentheke stehen kann, dass man irgendwann in den Ruhestand gehen muss“. Sich zu verabschieden, falle oft schwer. Delija weiß speziell von einem Inhaber, der seinen Laden „nur schwersten Herzens“ für immer schließe.

Verschiedene Interessenten für die Verkaufsflächen

Sowohl für die Verkaufsflächen an der Leineweberstraße als auch für jene am Löhberg gebe es „verschiedene Interessenten“. Für die Immobilie am Kohlenkamp, an deren verhangenen Scheiben noch die Kundendienst-Nummer prangt, wurde ein Makler eingeschaltet. Dieser habe zuvor schon die früher auch zu Radio Kaiser gehörenden Räume zur Linken vermittelt, berichtet Delija. Seit einigen Wochen residiert dort das „Alfa Copy Center“.

Die Schließungen sind Gesprächsthema entlang der Leineweberstraße – genau wie die leidige Baustelle vor der Tür. „Die ist schlecht für uns“, sagt Meike Selke, Inhaberin der Bären-Apotheke, vor der seit knapp einer Woche ein tiefes Loch klafft. „Die Arbeiten vertreiben uns die Kunden.“ Gerade ältere Menschen würden die Apotheke meiden, „weil sie Angst haben zu stolpern“. Das sei in der Kasse bemerkbar. Es sei schon klar, dass die Bauarbeiten sein müssten; „aber wir machen uns Sorgen um die Leineweberstraße.“ Die Stadt investiere auch stark am Hafen, da könne ihre Straße doch leicht vergessen werden.

Stinkender Kompressor vor der Tür

Egbert Rettinghaus, Inhaber von Brillen Kriewitz, muss damit leben, dass die Bauzäune zurzeit bis fast an seinen Laden heranreichen. „Der Kompressor vor der Tür stinkt.“ Und vor allem die Radfahrer, die sich trotz Verbotes durch die enge Passage vorm Schaufenster zwängten und Fußgänger beschimpften und gefährdeten, ärgern ihn. „Wenn sie absteigen würden, wäre uns schon sehr geholfen.“ Genervt sei er und warte deshalb sehnsüchtig darauf, dass die Baustelle weiterwandere.

Die Citymanagerin weiß um die Probleme für Geschäftsleute und Kunden. Die Einzelhändler berichteten ihr regelmäßig davon. Leider seien die Bauarbeiten aber notwendig, um die Straße fit zu machen. Sie appelliere daher an die Bürger, an die potenziellen Kunden: „Sie sollen sich nicht abschrecken lassen, sondern den Händlern und Ärzten auch in diesen Zeiten die Stange halten.“