Kirikhan/Kreis Kleve. Retter aus dem Kreis Kleve von I.S.A.R. Germany kämpfen um das Leben von Erdbebenopfern. Jetzt erreichte sie eine traurige Nachricht.

Der Kampf gegen die Zeit und die Trümmer begann am frühen Mittwochmorgen um 4.20 Uhr. Unter einem Berg aus Beton und Steinen, der vor den verheerenden Erdbeben in der türkischen Stadt Kirikhan ein fünfstöckiges Haus war, nahmen Retter der Hilfsorganisation I.S.A.R. Germany Lebenszeichen wahr. Bei bitterkalten Minusgraden starteten sie sofort die Befreiung der eingeschlossenen Frau, die sich bemerkbar machen konnte.

Michael Lesmeister bei einem Einsatz während der Corona-Krise. Der I.S.A.R.-Germany-Gründer ist aktuell in der Türkei im Erdbebengebiet.
Michael Lesmeister bei einem Einsatz während der Corona-Krise. Der I.S.A.R.-Germany-Gründer ist aktuell in der Türkei im Erdbebengebiet. © I.S.A.R. Germany

„Ich habe so eine schwierige Bergung noch nie erlebt“, sagt Michael Lesmeister, als die NRZ ihn genau 30 Stunden später telefonisch im Krisengebiet erreicht. Der Klever hat die gemeinnützige Hilfsorganisation 2003 gegründet und mit seinem Team seitdem bei zahlreichen Katastrophen in den verschiedensten Teilen der Welt geholfen. „Aber dieser Einsatz ist ungewöhnlich schlimm und groß. Die Situation der Menschen hier ist äußerst dramatisch“, stellt Lesmeister fest.

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Verschüttete Frau wird mit einem Schlauch versorgt

Vier der einst fünf Etagen des Gebäudes seien eingestürzt, das Haus zudem zehn Meter zur Seite verschoben, schildert er eine Zerstörung, die kaum zu fassen sei. „Die Frau liegt hinter einem Fahrstuhlschacht, über ihr zwei Betonplatten. Ihre Arme sind verschränkt, sie hat gerade einmal genug Platz zum Atmen.“ Zentimeter für Zentimeter kommt das I.S.A.R.-Germany-Bergungsteam der Verschütteten näher, doch es ist ein sehr mühsames Unterfangen. Ein wichtiger Zwischenerfolg: „Wir konnten die Frau inzwischen mit einem Schlauch versorgen. Sie hat eineinhalb Liter eines isotonischen Getränks getrunken und wird munterer“, sagt Michael Lesmeister.

Gut 40 Helfer von I.S.A.R. Germany sind in der Türkei im Einsatz.
Gut 40 Helfer von I.S.A.R. Germany sind in der Türkei im Einsatz. © I.S.A.R. Germany

Zusammen mit Dr. Steven Bayer aus Pfalzdorf leitet der Klever den schwierigen Einsatz in Kirikhan nahe dem Mittelmeer. Und in der gut 40-köpfigen Helfertruppe von I.S.A.R Germany, die sich vor Ort der schieren Zerstörung entgegenstemmt, steckt noch weitere Kraft aus dem Kreis Kleve. Cornelia Wagner, hauptberufliche Feuerwehrfrau aus Keppeln, ist Gruppenführerin der Ortungsgruppe und hat Riesenschnauzerhündin Datura dabei. Mit insgesamt sieben speziell ausgebildeten Trümmer-Suchhunden, ihren Hundeführerinnen und Bio-Radar, akustischem Ortungsgerät sowie einer Suchkamera versuchen die Retter, Verschüttete in bis zu zehn Metern Tiefe zu finden.

Cornelia Wagner aus Keppeln mit Riesenschnauzerhündin Datura bei der Ankunft in der Türkei.
Cornelia Wagner aus Keppeln mit Riesenschnauzerhündin Datura bei der Ankunft in der Türkei. © I.S.A.R. Germany

Lehrer vom Klever Freiherr-vom-Stein-Gymnasium hilft mit

Auch aus Keppeln kommt Norbert Helpenstein, der zum Management- und Logistikteam zählt. Er ist hauptberuflich Chemie- und Lateinlehrer am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve. „Meiner Schulleitung bin ich sehr dankbar, dass sie mich freigestellt hat, denn hier im Katastrophengebiet ist die Not unglaublich groß und unsere Hilfe wird dringend benötigt“, sagt Helpenstein, der bereits viele Auslandseinsätze erlebt hat.

„Hier kann man ohne Ende arbeiten. In der Stadt ist von 600 eingestürzten Gebäuden die Rede. Ich kann das nicht verifizieren, aber das Ausmaß der Zerstörung ist tatsächlich sehr groß“, berichtet Michael Lesmeister, der auch 1999 beim Erdbeben in der Türkei mit anpackte. „Das hatte mich damals schon in negativer Hinsicht beeindruckt, aber die Lage jetzt toppt dies noch einmal.“

Der Einsatz ist auch für die Helfer sehr gefährlich

Die Helfer von I.S.A.R. Germany kämpfen sich teilweise vier Meter unter die Trümmer. „Das ist sehr gefährlich, aber es ist halt unser Job“, sagt Lesmeister lakonisch. „Wir versuchen, die Gefahren zu minimieren und uns so gut wie möglich zu sichern, allerdings gibt es auch Nachbeben.“

In zwei Schichten arbeitet das deutsche Team, das von der vor wenigen Jahren gegründeten Partnerorganisation I.S.A.R. Turkey unterstützt wird. In einem selbst aufgebauten Camp kommen die Helfer wieder zu Kräften.

In den Tagen seit der Ankunft am Dienstagmorgen konnten sie bereits mehrere Leben retten – darunter zwei Frauen und einen 15-jährigen Jungen. „Die Männer und Frauen trainieren teilweise zehn Jahre auf diesen Fall hin. Wenn wir dann jemanden lebend aus den Trümmern ziehen, ist das etwas ganz Besonderes. Uns macht es große Freude, hier zu helfen“, sagt Michael Lesmeister.

Am Freitagmorgen schien ein Kampf dann endlich gewonnen. 104 Stunden nach dem Erdbeben und mehr als 50 Stunden seit dem Beginn der Bergung hatte die Rettungsmannschaft von I.S.A.R. Germany, I.S.A.R. Turkey und dem BRH (Bundesverband Rettungshunde) die Frau aus den Trümmern des Hauses in Kirikhan gerettet. „Die Frau wurde nach der Rettung umgehend von unserem medizinischen Team versorgt“, teilte die Hilfsorganisation am Freitagvormittag mit.

Einen Tag später dann die niederschmetternde Nachricht: Die Frau ist in der Nacht auf Samstag gestorben. „Unser Team ist geschockt und traurig. Wir trauern mit ihrer Familie. Unsere Gedanken sind in dieser Zeit auch bei all den Menschen, die durch diese Katastrophe Angehörige und Freunde verloren haben. Wir stehen in dieser schweren Zeit an eurer Seite“, so I.S.A.R. Germany am Samstagmorgen.

>> Weitere Unterstützung vom Niederrhein

Auch vom Niederrhein aus unterstützt I.S.A.R. Germany den Einsatz in der Türkei. Präsidentin Daniela Lesmeister aus Kleve, die Staatssekretärin im NRW-Innenministerium ist, und Peter Janssen aus Pfalzdorf sitzen im Informations- und Lagezentrum in Hünxe. Das Organisationsbüro befindet sich auf dem Gelände der Partnerorganisation BRH (Bundesverband Rettungshunde).