Kreis Kleve. Die Erdbeben schockieren viele Menschen mit Verwandten in der Türkei und in Syrien. Jesidische Gemeinde sammelt Sachspenden für Hilfstransport.

Ibram Sharo sitzt in der kleinen Küche seines Friseursalons Marmaris in der Klever Innenstadt und tippt mit ernstem Blick auf seinem Handy. Der 47-Jährige versucht bereits den ganzen Morgen, Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern aufzunehmen, die in seinem Heimatdorf Shader im Norden von Syrien stark von den katastrophalen Erdbeben betroffen sind. Doch seine Anrufe und Nachrichten über WhatsApp versanden. „Es gibt dort im Moment kein Netz“, stellt Sharo am Dienstagvormittag fest.

Am Montag, dem Tag, als mehrmals im türkisch-syrischen Grenzgebiet die Erde bebte, konnte Ibram Sharo mit seiner Familie sprechen. „Zum Glück waren sie da unverletzt oder nur leicht verletzt. Sie sagten, dass wir uns keine Sorgen machen sollen. Aber viele, viele Häuser wurden zerstört. Und in den Nachbarstädten gibt es auch viele Tote“, berichtet er.

Das Geburtshaus von Ibram Sharo ist zerstört

Das Haus des Großvaters, in dem Ibram Sharo geboren wurde, ist nach den Erdbeben zerstört.
Das Haus des Großvaters, in dem Ibram Sharo geboren wurde, ist nach den Erdbeben zerstört. © Ibram Sharo

Den Syrer erreichten auch Bilder des mehr als 200 Jahre alten Hauses seines Großvaters: Eingestürzte Wände und Risse in der Decke sind darauf zu sehen. „In diesem Haus wurde ich geboren. Ich habe dort als Kind gespielt und kenne jeden Stein“, erzählt Ibram Sharo und schüttelt ungläubig den Kopf. „Wir sind alle sehr traurig.“ Dann zeigt er auf seinem Handy ein Video vom zerstörten Haus, in dem bislang der Cousin seines Vaters wohnte. Platten der Terrasse sind einen Abhang hinabgestürzt, Steinbrocken liegen überall verteilt.

Seine Verwandten erzählten ihm von den Sekunden, als der Boden unter ihren Füßen bebte. „Sie konnten kaum laufen und dachten: ,Das ist unser letzter Moment.’ Aber sie haben es aus den Häusern geschafft und auch meinen 92-jährigen Großvater gerettet“, sagt der Familienvater, der mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kindern in Bedburg-Hau lebt. Ein Moment der Erleichterung in schweren Stunden.

Hilfe gelangt bislang nicht in das Dorf

In der Nacht auf Dienstag habe er kaum schlafen können, sagt Ibram Sharo, und doch steht er am Morgen in seinem Friseursalon auf der Hagschen Straße 50-52, den er seit 2009 führt. Er spricht beim Haareschneiden mit seinen Kunden über die Katastrophe in der Heimat. „Ich muss das erzählen. Meine Kunden helfen mir, sie kennen mich.“

Sein Heimatdorf Shader gehört zur Stadt Afrin, die nordwestlich von Aleppo liegt. Syrische Rebellen kontrollieren dieses vom Krieg geschundene Gebiet, was die Hilfe vor Ort enorm erschwert. „Es gibt dort keine Freiheit. Internationale Rettungskräfte sind bisher nicht angekommen. Die Menschen sind auf sich alleine gestellt. Sie helfen sich zwar gegenseitig, aber sie brauchen auch große Hilfe“, sagt der Jeside Ibram Sharo.

I.S.A.R. Germany: Helfer aus dem Kreis Kleve sind im Krisengebiet

Vor Ort im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind auch Helfer aus dem Kreis Kleve als Teammitglieder von I.S.A.R. Germany. Sieben speziell ausgebildete Trümmersuchhunde und ihre Hundeführerinnen gehören laut der gemeinnützigen Hilfsorganisation zum Einsatzteam.

Mit dabei sind Cornelia Wagner und ihre Riesenschnauzerhündin Datura. Die hauptberufliche Feuerwehrfrau kommt aus Keppeln und ist die Gruppenführerin der Ortungsgruppe, die mit Hunden und modernen Ortungsgeräten versucht, Verschüttete zu finden und zu retten. Ebenfalls aus Keppeln kommt Norbert Helpenstein, der zum Management- und Logistikteam zählt. Er ist hauptberuflich Chemie- und Lateinlehrer am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Kleve. Der Klever Michael Lesmeister, I.S.A.R.-Germany-Gründer – und mit Präsidentin Daniela Lesmeister Kopf der Organisation –, sowie Dr. Steven Bayer aus Pfalzdorf leiten den Einsatz im Katastrophengebiet.

Ein Bild der Zerstörung im türkischen Şanlıurfa.
Ein Bild der Zerstörung im türkischen Şanlıurfa. © AFP | Remi Banet

Friseur Ibram Sharo kennt einige von ihnen aus seinem Salon. Er hofft, dass seine Familie in Syrien professionelle Unterstützung erfährt. „Es ist dort sehr kalt“, sagt der Mann, der seit 23 Jahren in Deutschland lebt. Er versucht weiter, seine Verwandten zu erreichen, denn die Nachricht über ein Nachbeben besorgt ihn. „Die Menschen verbringen die Nacht in Autos, weil sie Angst haben, in ihre Häuser zurückzukehren.“

Cengiz Korkmaz: „Wie in einem TV-Katastrophenfilm“

Die Eltern von Cengiz Korkmaz harren in der Türkei in einem Zelt aus.
Die Eltern von Cengiz Korkmaz harren in der Türkei in einem Zelt aus. © Cengiz Korkmaz

So geht es auch den Eltern des Kalkarers Cengiz Korkmaz. Sie leben in Şanlıurfa, einer türkischen Provinzhauptstadt östlich von Gaziantep. Die Familie hat durch die Erdbeben ihr Zuhause verloren und muss nun in Zelten ausharren, die auf der Straße aufgebaut wurden.

Cengiz Korkmaz, der den City Grill an der Monrestraße in Kalkar betreibt, ist froh, dass seine Eltern körperlich unversehrt sind und er mit ihnen regelmäßig telefonieren kann. „Aber sie stehen noch unter Schock. Für sie fühlt es sich wie ein Katastrophenfilm im Fernsehen an.“ Angesichts des Leids, das Millionen in der Region erleben, ruft Cengiz Korkmaz eindringlich zu Spenden auf: „Die Menschen brauchen Hilfe.“

Sammelstellen für Sachspenden

Das Jugendkomitee der jesidischen Gemeinde Emmerich organisiert einen Hilfstransport in das Krisengebiet und hat in Emmerich, Kleve und Weeze jeweils Sammellager für Spenden eingerichtet. Noch bis Samstag, 11. Februar, um 15 Uhr werden Sachspenden angenommen. Gebraucht werden vor allem Hygieneartikel, Verbandszeug, Winterbekleidung, Decken, Zelte, neue Dieselstromgeneratoren, Babynahrung und Schlafsäcke.

Das sind die Sammelstellen:

Kleve: Kelhok Internationale Zollagentur, Getrud-Boss-Straße 12, von 8 bis 17 Uhr.

Emmerich: Mala-Ezdia Emmerich, Oosenbruch 2, vorher bei Herrn Toru unter Telefon 0151/75483847 melden.

Weeze: Erkis Plast, Alte Heerstraße 76-78, von 8 bis 16 Uhr.