Kleve. Der Klever Prinz hat nicht nur 25.000 Afrikaner versklavt, sondern sich auch auf eigene Rechnung bereichert. Wie viel Ehre gebührt ihm noch?
Auch 343 Jahre nach seinem Tod wird Prinz Johann Moritz von Nassau-Siegen in Kleve auf Händen getragen. Der einstige Statthalter des brandenburgischen Kurfürsten hat zwischen 1647 und 1679 viel Gutes für die Stadt am Niederrhein getan. Prächtige Gärten ließ er anlegen und viele Gebäude errichten. Im Kreishaus erinnert der Prinz-Moritz-Saal an den Adeligen, in Emmerich wurde jüngst eine Straße nach ihm benannt und die Stadt Kleve verleiht den prestigeträchtigen Johann-Moritz-Kulturpreis. Doch Johann-Moritz hatte auch eine dunkle Seite: Er legte den Grundstock für den niederländischen Sklavenhandel in Brasilien und er bereicherte sich am Menschenhandel. Eine neue Studie des Historikers Erik Odegard rückt das Wirken des Grafen in ein anderes Licht.
NRZ: Wir wussten bislang, dass Johann Moritz von Nassau-Siegen sich in seiner brasilianischen Zeit auch am Sklavenhandel beteiligt hat. Aber ihr Buch legt einen noch deutlicheren Akzent auf diese menschenverachtende Praxis. Kann man Johann Moritz als Gründer des niederländischen Sklavenhandels betrachten?
Erik Odegard: Die gesamte Wirtschaft Brasiliens basierte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf dem Sklavenhandel. Die Niederländer haben versucht, das vorhandene portugiesische System vollständig zu übernehmen. Wenn Johann Moritz 1636 nach Brasilien kommt, dann gibt es bereits Zuckerplantagen mit afrikanischen Sklaven, die meisten Menschen stammten übrigens aus Angola. Johann Moritz versuchte als Gouverneur für die Westindische Compagnie (WIC) diese Zuckerplantagen von den Portugiesen zu erobern.
Und dies setzte er auch mit Gewalt durch.
Ja. Erste große Eroberungszüge von Zuckermühlen gab es zwar bereits kurz bevor er seinen Dienst antrat, 1633 bis 1635. Aber der Graf schaffte es, die Grenzen der Kolonie zu verstärken und die portugiesischen Truppen zu vertreiben. Dadurch wurde eine sichere Zuckerproduktion möglich. Zu Beginn seiner Regentschaft sieht man auch, dass viele Zuckermühlen wieder in Betrieb genommen werden.
Johann Moritz hat in Westafrika mehrere neue Posten für den Sklavenhandel eröffnet – auch das war sehr wichtig für die Westindische Compagnie.
Johann Moritz hat selbst in Briefen geäußert, dass man in Brasilien ohne Sklavenhaltung nichts ausrichten kann. Darum sei es so wichtig, in West-Afrika – in Elmina (heute Ghana) und später in Luanda – Posten zu erobern, um den regelmäßigen Nachschub von versklavten Menschen zu garantieren.
Sie schreiben, dass sich Johann Moritz an diesem Sklavenhandel auch persönlich bereichert hat. Er hat hunderte Menschen an der Administration der Westindischen Compagnie vorbei auf eigene Rechnung geschmuggelt.
Er hat dies in erster Linie für den eigenen Vorteil gemacht. Zugleich war dies für ihn auch ein Anliegen, um seinen Status gegenüber der portugiesischen Elite zu stärken. Die Schmuggelei kennen wir aus portugiesischen Quellen.
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Wurde er durch diesen illegalen Sklavenhandel vermögend?
Er hatte mehrere Einkommensquellen, aber der Sklavenhandel war gewiss ein wichtiger Posten für ihn. Wir wissen aus einer notariellen Akte, dass Sklaven in Luanda auf ein Schiff gebracht wurden und auf einem gesonderten Ladungsvermerk notiert wurden. Dies geschah auf Geheiß von Johann Moritz. Diese Menschen verschwinden quasi aus der offiziellen Buchhaltung. Wir wissen auch, dass am Ende seiner Gouverneurschaft in Brasilien die Kosten für die Hofhaltung in Form von versklavten Menschen beglichen wurden. Und es gab in seiner brasilianischen Zeit auch immer wieder Geschenke: Der König von Kongo schenkte ihm 200 Sklaven, die Königin von N’Dongo Matamba in Angola schenkte ihm 300 versklavte Afrikaner. Wenn man diese Aktivitäten zusammenzählt, dann kommt man zum Schluss, dass dieser Handel ihm mehr Geld eingebracht hat als sein Salär bei der Westindischen Compagnie.
Und das Gehalt der WIC war schon üppig bemessen. Johann Moritz hat unglaublich viel Geld für seinen Hofstaat ausgegeben.
Er hatte mit 2000 Gulden ein gutes Einkommen ausgehandelt und mit 10.000 Gulden im Monat eine großzügige Unkostenregelung vereinbart. Das war ein enormer Betrag in dieser Zeit. Seine Hofhaltung gab auch häufig Anlass zum Streit mit der WIC.
Wofür hat er all das Geld denn ausgegeben?
Zum Teil natürlich für seinen Hofstaat, dann für die Errichtung seiner Paläste in Brasilien und auch für die Errichtung und Einrichtung seines Hauses in Den Haag (heute Mauritshuis). Er verhält sich in Brasilien wie ein Edelmann von hohem Stand – nur, dass er sich in Brasilien viel mehr leisten konnte für sein Geld.
Sie sagen, dass Johann Moritz mehr mit dem Sklavenhandel verdient hat als mit seinem eigentlichen Salär. Ist er dadurch dann reich geworden?
Er war sehr reich. Aber er hatte auch sehr viele Schulden. Der damalige Adel hat sich in der Regel wenig um eine gute Buchführung gekümmert und nicht darauf geachtet, ob die Einkommen auch immer die Ausgaben decken. Johann Moritz war vor allem damit beschäftigt, seine Reputation zu festigen. Das sieht man später auch in Kleve. Wir wissen zum Beispiel, dass nach seinem Tod sofort die Gläubiger das Mauritshuis in Den Haag in Beschlag nahmen, um die angehäuften Schulden zu decken.
Ist die Schmuggelgeschichte eigentlich neu?
Vor drei Jahren habe ich bereits mit einem Kollegen einen wissenschaftlichen Artikel zu diesem Thema geschrieben. Das Interessante ist, dass die Quelle schon sehr alt ist und im 17. Jahrhundert auch in einem Buch veröffentlicht worden ist. Diese Fakten lagen also auf dem Tisch. Nur, man muss sie auch sehen wollen. Bislang lag der Fokus bei Johann Moritz vor allem auf seine Aktivitäten als Wissenschaftler, als Kunstmäzen und als Bauherr. Diese dunkle Seite seiner Persönlichkeit ist bislang wenig zur Kenntnis genommen worden.
Wie viele Sklaven gehen eigentlich auf das Konto von Johann Moritz?
Unter seiner Leitung wurden für die WIC gut 25.000 Afrikaner als Sklaven nach Brasilien verschifft. Die Zahl der geschmuggelten und geschenkten Sklaven, die Johann-Moritz für sich deklarierte, wird sich auf 600 belaufen.
Wie viel Geld konnte man für einen versklavten Menschen auf dem Markt erzielen?
Zwischen 350 und 400 Gulden.
Da kommen also enorme Beträge zusammen.
Ja, in der Tat. Das eigentliche Geld verdiente man in Brasilien nicht mit den Zuckermühlen, sondern mit dem Verkauf von Sklaven.
Was hat Johann Moritz selbst über den Sklavenhandel gedacht? Hatte er ein Problembewusstsein oder ist das als allgemeines Phänomen der Zeit zu betrachten?
Wir wissen aus Verwaltungsakten, dass man Kritik am Sklavenhandel gerne zur Seite wischte. Denn ohne Sklaverei, das wusste auch Johann Moritz, konnte man in Brasilien kein wirtschaftliches System aufbauen. Wenn er Brasilien verlässt, sagte er in einer WIC-Sitzung, dass man die Sklaven gut behandeln solle. Aber dies müssen wir eher aus einer wirtschaftlichen und nicht aus einer humanitären Perspektive sehen: Sklaven waren ein Wirtschaftsgut, eine Investition. Johann Moritz ist zudem als Adliger natürlich so erzogen worden, dass Menschen von Natur aus nicht die gleichen Rechte haben. Insofern ist ein Adliger in dieser Zeit sicherlich die letzte Person, die sich gegen die Sklaverei aussprechen wird.
Gleichwohl gibt es in der niederländischen Republik des 17. Jahrhunderts hörbare Kritik an der Sklavenhaltung – auch innerhalb der WIC. Es ist nicht so, dass die Sklaverei seinerzeit nicht problematisiert wurde. Aber diese Diskussion wurde in den Niederlanden geführt, nicht in Brasilien.
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Johann Moritz hatte ein gespanntes Verhältnis zur WIC. In Holland kritisierte man vor allem seinen teuren Lebenswandel.
Je länger er in Brasilien verweilte, desto kritischer wurden die Stimmen. Das Spannungsverhältnis zwischen seinen Aufgaben als Gouverneur einerseits und seiner adligen Repräsentation als Graf andererseits wurde immer größer. Als Graf hatte er Recht auf einen Hofstaat. Doch diese Kosten explodierten förmlich und die Leitung des WIC war nicht gewillt, das alles zu bezahlen.
Letztendlich wird Johann Moritz entlassen. Das war für sein Ego nicht förderlich.
Das ist sicherlich ein neuer Aspekt. Es gab immer wieder Diskussionen darüber, ob er entlassen worden ist oder ob er aus eigenen Stücken zurück nach Europa wollte. Wenn man die Verwaltungsakten des WIC liest, dann sieht man sofort, dass der Vorstand bereits 1641 über Johann Moritz diskutierte – er kostete ihnen zu viel Geld. Es gibt auch noch andere, spannungsgeladene Punkte aus denen ersichtlich wird, dass er entlassen wurde.
Nach seiner Zeit in Brasilien wurde ihm recht schnell die Statthalterschaft in Kleve angeboten. Wie viel Sklavengeld lässt sich in den Klever Aktivitäten des Johann Moritz wiederfinden?
Das ist sicherlich ein interessanter Aspekt, aber leider sehr schwer zu beantworten. Johann Moritz hatte eine extrem schlechte Buchhaltung. Wir wissen aber, dass sein Mauritshuis in Den Haag und auch die Einrichtung ohne die erzielten Einnahmen aus dem Sklavenhandel nicht möglich gewesen wären. Als er nach Kleve ging, bekam er vom Brandenburgischen Kurfürsten ein gutes Salär und wiederum eine Unkostenerstattung. Er war zudem recht schnell wieder als Militär in niederländischen Diensten aktiv und er leitete die Garnison in Wesel. Er hatte also auch neue Einnahmequellen. Aber letztlich können wir nicht sagen, wo das Geld aus dem Sklavenhandel überall geblieben ist. Das ist die Aufgabe für künftige Forschung.
In Kleve ehrt man Johann Moritz mit einem prestigeträchtigen Kulturpreis und in der Stadt ist man sehr stolz auf die historischen Gartenanlagen. Wie sollen wir künftig mit mit dem Erbe Johann Moritz umgehen?
Wir sollten nicht versuchen, die Geschichte zu polarisieren. Wir sehen in den Niederlanden, dass Diskussionen über die Sklaverei sehr viele Emotionen auslösen können. Mittlerweile meine ich erkennen zu können, dass wir uns differenzierter mit dem Thema auseinandersetzen. Man kann das „Goldene Jahrhundert“ der Niederlande nicht verstehen, wenn man nicht auch die Sklaverei betrachtet. Früher haben wir dies als die schwarze Blattseite der niederländischen Geschichte dargestellt. Heute sehen wir weniger die singuläre, schwarze Blattseite, sondern diese ist integraler Bestandteil unserer Geschichte.
Ich denke, dass sich dies auch auf Johann Moritz übertragen lässt. Er war nicht nur der erfolgreiche Militär, der Kulturfreund und Gartenliebhaber, sondern er legte auch den Grundstein für den Sklavenhandel und er bereicherte sich daran. Das kann man nicht trennen und man muss es einordnen.
Wenn man Johann Moritz vor dem Hintergrund der niederländischen Historie beurteilt: Ist er einer der größeren Sklavenhändler gewesen?
Das kann man so nicht sagen. Was man aber sagen kann ist, dass der niederländischen Sklavenhandel mit Johann Moritz in Brasilien beginnt. Er hat diesen Handel als Gouverneur nicht nur administrativ in die Wege geleitet, sondern sich auch persönlich damit beschäftigt – und bereichert. Später, im 18. Jahrhundert, reden wir über viel mehr Menschen, die der Sklaverei zum Opfer fallen.
>> Erik Odegard
Erik Odegard war Historiker an der Leiden University und er hat unter anderem über das Wirken von Johann Moritz in Brasilien promoviert. Odegard war auch als Wissenschaftler am Mauritshuis in Den Haag beschäftigt, und er arbeitet seit 2021 für das Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (IISG). Hier forscht er jetzt über private Investoren in Brasilien des 17. Jahrhunderts.
Erik Odegaard, Graaf en gouverneur. Nederlands-Brazilie oder het bewind van Johan Maurits van Nassau-Siegen. 245 Seiten. Walburg-Pers, 24,99 Euro.