Emmerich. In Emmerich sind Straßen nach dem Mann, der Hitler zum Reichskanzler ernannte, und einem Profiteur des transatlantischen Sklavenhandels benannt.
Marie Curie, Johanna Sebus und Leni Braunmüller sind sich in ihrem Leben nie begegnet. Trotzdem haben die drei Frauen eine Gemeinsamkeit. Nach den Dreien ist jeweils eine Straße in Emmerich benannt worden.
Nur wenige Frauen haben die Ehre erhalten
Damit gehören sie zu einem exklusiven Kreis, denn gerade einmal ein Dutzend Straßennamen wurden nach weiblichen Persönlichkeiten benannt. „Eine Frauenquote gibt es bei der Benennung von Straßen in Emmerich nicht“, erklärt Tim Terhorst, Leiter der Stabsstelle Kommunikation und Archiv im Emmericher Rathaus.
Kleve hat einen Leitfaden zur Erinnerungskultur
Das wird etwa in Kleve seit neustem anders gehandhabt. In der Schwanenstadt wurde jetzt ein Leitfaden zur Erinnerungskultur im öffentlichen Raum aufgelegt. Darin heißt es: „Da die Straßennamen die Gesellschaft widerspiegeln sollen, soll Personengruppen der Vorzug gegeben werden, die bisher stark unterrepräsentiert sind. Dies trifft in Kleve besonders auf die Frauen zu.“
Wenn in Emmerich vom Rat, der neue Straßennamen beschließt, in eine ähnliche Richtung gedacht würde, müsste eigentlich auf dem ehemaligen Kasernengelände auch noch eine Sophie-Scholl-Straße entstehen, da einem anderen Widerstandskämpfer, Georg Elser, die Ehre bereits zuteil wurde.
Eine Voraussetzung gibt es zumindest in Emmerich: Nur nach Verstorbenen werden Straßen benannt.
Schreibweise kann falsch sein
Komplizierter wird die Sachlage bei der Umbenennung von Straßen. In Kleve wurde im Zuge des Leitfadens eine Analyse der vorhandenen Straßen durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass es dort gut 20 Straßennamen gibt, die falsch geschrieben sind. In Emmerich gibt es zumindest Auffälligkeiten wie den Spyker Weg, der in dieser Schreibform weder mit dem niederländischen Spijk noch dem linksrheinischen Spyck kompatibel ist.
Enormer Aufwand für Anwohner
Aber falsche Schreibweise hin oder her: Auch in Kleve werden die Straßennamen nicht korrigiert. Denn das würde einen enormen Aufwand für die Anwohner bedeuten, die ihre de facto neue Adresse bei allen öffentlichen Stellen melden müssten.
Deshalb werden Umbenennungen von Straßen auch nur sehr vorsichtig durchgeführt. Doch da gerade die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert einige dunkle Kapitel aufweist, gibt es immer wieder auch Persönlichkeiten, die nach neuster Forschung als historisch belastet gelten. In Rees wurde etwa im vergangenen Jahr die Erich-Feyerabend-Straße umbenannt. Der Künstler hatte eine NS-Vergangenheit.
Komplexe Vita von Paul von Hindenburg
Eine durchaus komplexe Vita hatte auch der zweite Reichspräsident der Weimarer Republik, Paul von Hindenburg. Im Ersten Weltkrieg führte der Generalfeldmarschall die Oberste Heeresleitung, trat dann später als Kandidat der Konservativen und Deutschnationalen erfolgreich als Präsidentschaftskandidat an, auch um die Wahl Adolfs Hitlers zu vereiteln. Hindenburg ernannte Hitler, den er selbst abfällig als „böhmischen Gefreiten“ titulierte, dann aber schließlich am 30. Januar 1933 doch zum Reichskanzler.
Städte entscheiden unterschiedlich
Dem Generalfeldmarschall mit Bürstenhaarschnitt und markantem Schnauzbart, mit Beiname „Der Sieger von Tannenberg“, sind etliche Denkmäler, Straßen und Plätze in Deutschland gewidmet. Oder besser: gewidmet gewesen. Denn in einigen Städten hat ein Umdenken stattgefunden. Anderenorts lehnten die Mehrheit der zuständigen Kommunalpolitiker dies ab. Eine klare bundeseinheitliche Linie gibt es nicht.
Am Eltenberg gibt es die Hindenburgallee. In Emmerich wurde dies bisher nicht thematisiert. „Wir sehen von Seiten der Verwaltung keine Notwendigkeit, da proaktiv zu werden“, sagt Terhorst. Sollte es eine entsprechende Eingabe geben, würden sich die Gremien dann damit beschäftigen.
Gesamtbiografie muss betrachtet werden
Die Empfehlung des Gutachtens für Kleve ist in diesem Punkt auch Auslegungssache, da die historischen Personen in verschiedene Kategorien eingestuft werden. Gilt die Gesamtbiografie einer Person als schwer belastet, lässt dies keine Ehrung zu, folglich muss eine Umbenennung erfolgen.
Es gibt aber auch Personen, die erst lange nach ihrem Ableben kritisch gesehen werden. Hier ist entscheidend, ob die Gesamtleistung der Person die Beibehaltung des Straßennamens zulässt, eventuell mit dem Hinweis heutzutage würde man solch eine Persönlichkeit nicht mehr für einen Straßennamen aussuchen.
Vor vier Jahren entschied der Ausschuss für Stadtentwicklung
So etwa „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn (1778 - 1852); oder auch Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604 - 1679). Letzterer, brandenburgischer Statthalter in Kleve, war Förderer und persönlich Beteiligter des transatlantischen Sklavenhandels zwischen dem afrikanischen Kontinent und der niederländischen Kolonie in Brasilien. Der Emmericher Ausschuss für Stadtentwicklung hat ziemlich genau vor vier Jahren entschieden, dass eine Straße auf dem ehemaligen Kasernengelände nach ihm benannt wird.