Düsseldorf. Häusliche Gewalt ist ein erschreckend häufiges Problem. In Düsseldorf soll Betroffenen bald besser geholfen werden. Worum es dabei geht.
Nach Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) und des statistischen Bundesamtes scheint es deutschen Kindern von Jahr zu Jahr schlechter zu gehen. Die Fälle von sexualisierter Gewalt steigen massiv – gegenüber 2019 haben die Fälle deutschlandweit um fast 3000 zugenommen. Statistisch betrachtet wurde 2023 jede halbe Stunde ein deutsches Kind Opfer sexualisierter Gewalt. In Düsseldorf kam es im gleichen Zeitraum zu einem Anstieg von 59 in 2019 auf 163 Fälle im Jahr 2023. Derweil ist die Aufklärungsquote in der Landeshauptstadt zuletzt um gute sechs Prozent auf 78,5 Prozent gefallen.
Die erschreckende Entwicklung zeigt sich auch bei den registrierten Kindeswohlgefährdungen, die die Jugendämter erfassen: 2019 lag deren Anzahl noch bei 55.500, 2022 waren es schon über 62.200 – eine Zunahme von deutlich mehr als 10 Prozent. Genauso erschreckend: Jede Stunde werden 14 Frauen in Deutschland Opfer von Gewalt, die von ihrem Partner ausgeht. Zwischen 2021 und 2022 ist die Anzahl von Fällen um 8,5 Prozent gestiegen. Fast eine Viertelmillion Menschen wurden 2022 Opfer häuslicher Gewalt. Zeit, dass sich was tut.
Uni-Klinik Düsseldorf als erste Anlaufstelle nach Gewalterfahrung
Es liegt wohl auch an diesen Zuständen, dass das neueste Projekt des Düsseldorfer Universitätsklinikums (UKD) rasch Fahrt aufnehmen konnte. Die Rede ist vom vollständig aus Spenden finanziertem Trube-Becker-Haus: Ein interdisziplinäres Zentrum auf dem UKD-Campus für den Kinder- und Gewaltopferschutz. Genaue Zahlen wurden mit Rücksicht auf die Spender nicht genannt, es soll sich aber um einen zweistelligen Millionenbetrag handeln, wie ein UKD-Sprecher mitteilte.
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Laut UKD schafft der Bau „neue Möglichkeiten in der Versorgung gewaltbetroffener Menschen“. Hier werden die Rechtsmedizinische Ambulanz, das Sozialpädiatrische Zentrum und das Childhood-Haus Düsseldorf zusammengeführt. Die drei Standorte sind bisher getrennt, arbeiten aber auch jetzt schon eng zusammen. Die Rechtsmedizinische Ambulanz etwa ist der Ort, an dem Beweise am Körper von Geschädigten festgestellt werden: Art und Beschaffenheit von Wunden, Spermaspuren bei Vergewaltigungsopfern. Damit ist das UKD die erste Anlaufstelle für Opfer von Gewalt.
Das Sozialpädiatrische Zentrum kümmert sich zum Beispiel um Entwicklungsstörungen bei Kindern oder um Störungen der Interaktionen zwischen Eltern und Kind. Kinder die Gewalt erfahren, leiden in der Folge oft auch unter sozialen Störungen: Anpassungsstörungen, Ängste, Aggressionen. Das Zentrum kann hier Hilfe bieten.
Kinder- und Opferschutz gebündelt am Klinikum Düsseldorf
Das Childhood-Haus wiederum ist bereits ein interdisziplinäres Zentrum mit Fokus auf Gewalt an Kindern. Hier werden im geschützten Rahmen Untersuchungen durchgeführt und dafür gesorgt, dass betroffene Kinder und Jugendliche ins Hilfesystem eingebunden werden können. Außerdem können die hier getätigten Aussagen der Kinder vor Gericht verwendet werden. Das bedeutet, dass die Kinder nicht vor Gericht erscheinen müssen, sie ihre Aussage nicht wiederholen müssen. Die Idee ist, dass sich Retraumatisierungen dadurch vermeiden lassen.
All dies findet sich also in naher Zukunft – geplant ist die Eröffnung für 2026 – unter einem Dach. Das UKD erwartet: „Durch die Synergien stellen sie eine ganzheitliche, interprofessionelle Versorgung von Menschen, die Missbrauch und Gewalt erlebt haben sicher und entwickeln auch neue Wege für Prävention und Nachsorge.“
UKD-Chefarzt: „Europaweit einzigartig“
Dabei geht es aber auch um „wissenschaftliche Daten zu Themenbereichen wie Kindesmisshandlung, Kindesmissbrauch, häusliche Gewalt und Versorgungskonzepte für gewaltbetroffene Menschen“. Die Praxis des Trube-Becker-Hauses soll also auch die Theoriebildung befeuern – und umgekehrt: „Dieses Konzept ist für ganz Europa einzigartig. Ich freue mich daher sehr, dass die Zivilgesellschaft sich hier so großartig eingebracht hat und dieses Projekt auch durch die großzügigen Spenden überhaupt erst ermöglicht. Dank des hohen Engagements und vieler Unterstützerinnen und Unterstützer entsteht das Trube-Becker-Haus nun an zentraler Stelle im UKD, in unmittelbarer Nähe zur Kinderklinik und dem Institut für Rechtsmedizin“, so Frank Schneider, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Düsseldorf.
Düsseldorferin als Namenspatronin
Das UKD will der zunehmenden Problematik also etwas entgegensetzen. Dass die Fälle von Misshandlungen steigen, kann indes sogar ein gutes Zeichen sein, so paradox es auch klingen mag. Schon die Namenspartonin des neuen Zentrums schrieb: „Heute gibt es vermeintlich mehr Fälle – weil glücklicherweise mehr erkannt wird.“ Dass heute mehr zur Anzeige gebracht wird und dass Jugendämter mehr Kindeswohlgefährdungen erkennen, kann auch Ausdruck gewachsener Sensibilität sein.
Für die Ausstattung des Trube-Becker-Hauses werden von der Uniklinik gerne noch große und kleine Spenden angenommen. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Internetseite www.uniklinik-duesseldorf.de/tbh.
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