Moers. Kindesmissbrauch und Prävention waren Thema einer Diskussionsrunde in Moers. Eine Politikerin machte einen Selbstversuch - und war schockiert.
Es sind erschreckende Zahlen: Aus der polizeilichen Kriminalstatistik geht hervor, dass 2022 bundesweit 15.520 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch strafrechtlich verfolgt wurden. Die Zahl der Fälle, die nicht zur Anzeige gebracht werden, dürften um einiges höher sein. Bundesweit gab es im letzten Jahr mehr als 200.000 Hinweise auf Kindeswohlgefährdung. In Moers gab es laut Angaben der Stadt 340 Fälle, bei denen der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung bestand. „Und jeder Fall ist einer zu viel“, eröffnet Sonja Volkmann, stellvertretende Redaktionsleiterin der NRZ Moers und Moderatorin des Abends, die Diskussionsrunde. Am Dienstag, 16. April, hat die Frauen Union Moers zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ in das Haus der interkulturellen Begegnung in Asberg eingeladen.
Als Gäste bereicherten Christina Schulze Föcking, Landtagsabgeordnete und Mitgestalterin des Kinderschutzgesetzes in NRW, Dr. Ralf Kownatzki, Kinderarzt und Begründer von Riskid e.V., Elke Pickel, Vorsitzende der Frauen Union Moers und Mitglied des Vereins Weißer Ring e.V., sowie Andreas Bögner, Vorsitzender des Moerser TV und des Stadtsportverbands, die Gesprächsrunde mit ihrer jeweiligen Expertise.
Die Abgeordnete hat den Test im Internet gemacht
Christina Schulze Föcking klärte über die verschiedenen Formen von Kindeswohlgefährdung auf, zu denen neben der sexualisierten Gewalt auch psychische Gewalt wie das Kleinmachen von Kindern und physische Gewalt, „also da, wo Kinder geschlagen oder ihnen Knochen gebrochen werden“, wie die Landtagsabgeordnete ausführt, gehören. Um sich vollumfänglich dem Kampf für den Kinderschutz widmen zu können, begab sich Schulze Föcking selbst vielfach als „Praktikantin“ ins Feld.
So gab sie sich beispielsweise im Internet unter Betreuung des Landeskriminalamts als zwölfjährige Marie aus, die einen Job als Babysitterin suche. Die Reaktionen aus dem Netz schockierten sie: „Ich hatte innerhalb von Sekunden erste Täterkontakte.“ Oftmals erlebe man es, dass Kinder und Jugendliche sich schämen, wenn es darum gehe, mit dem Erlebten an Ansprechpartner heranzugehen. „Ein Kind muss sich sieben bis acht Mal an einen Erwachsenen wenden, bevor es ernst genommen wird“, berichtet die Landtagsabgeordnete.
„Wir müssen das Sicherheitsnetz um unsere Kinder enger spannen, ohne dass sie dieses spüren“, lautet Schulze Föckings Appell. Mit der Erarbeitung des Landeskinderschutzgesetzes für NRW hat das CDU-Mitglied einen großen Beitrag dazu geleistet. Doch – da sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig – „Kinderschutz hört nie auf“. Im Zusammenhang mit dem Kinderschutzgesetz sind unter anderem Sportvereine dazu verpflichtet, Kinderschutz durch entsprechende Konzepte und Schulungen aktiv zu leben. Das Problem der Unsicherheit, wie man mit Verdachtsfällen von Kindesmissbrauch umgehen solle, habe man in NRW erkannt: „Wir haben dazu in NRW ein Hilfetelefon eingerichtet, an das man sich neben vielen weiteren Anlaufstellen wie dem Weißen Ring wenden kann“, so die Landtagsabgeordnete. Die Nummer lautet 0800 0431 431.
Elke Pickel, die lange Zeit als Erzieherin tätig war, ist da direkter: „Ich persönlich würde den Verdacht der Polizei melden und die melden das dann dem Jugendamt.“ Der Missbrauch würde sich sonst immer weiter in die Länge ziehen, berichtet sie aus ihrer Erfahrung.
Für Ärzte ist es oft schwer, Missbrauch zu erkennen
Auch für Ärzte sei es oft sehr schwer, den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung zu melden. „Wir Ärzte stellen lediglich Diagnosen mit Verdachtsfällen; das Jugendamt oder Familiengericht entscheidet schließlich, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt“, erklärt Dr. Ralf Kownatzki. Mithilfe der von ihm und Heinz Sprenger gegründeten Plattform Riskid wird es Ärzten ermöglicht, sich untereinander zu vernetzen, ohne gegen Datenschutznormen zu verstoßen. Auf der Plattform werden Name und Geburtsdatum des Kindes registriert. Ärzte können im Falle eines Verdachts Gesprächsbedarf bei dem entsprechenden Kind vermerken. Stellt nun ein anderer Arzt bei demselben Patienten Anzeichen auf Kindeswohlgefährdung fest und trägt diesen Verdacht ebenfalls im Portal ein, können sich die Ärzte vernetzen. So soll die Gefahr des sogenannte „Doktor-Hoppings“ geschmälert werden. Bei Erhärtung des Verdachts kann dieser dem Jugendamt gemeldet werden.
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Im Anschluss an Fragen und Wünsche aus dem Publikum nach mehr Kinderschutz sind sich die vier Podiumsgäste einig: Man gehe zwar schon in die richtige Richtung, für Kinderschutz im Bereich der sexualisierten Gewalt müsse jedoch weiterhin sensibilisiert werden. „Das Schutzkonzept in meinem Verein lautet: ‚Wir schauen nicht weg, wir hören nicht weg‘“, betont Andreas Bögner eindrücklich. „Mein Wunsch: Erzählen Sie fünf weiteren Personen von diesem Abend! Wir brauchen mehr Kinderschützer“, appelliert Christina Schulze Föcking an das Publikum.