Voerde. Bürgerinfo über das Flüchtlingsheim in Spellen war von Vorverurteilungen geprägt. Bis ein Händler das Wort ergriff – und vehement widersprach.

Der Bürgerinformationsabend zur geplanten Flüchtlingsunterkunft im Außenbereich von Spellen neigte sich dem Ende zu, da hielt es einen örtlichen Händler im Saal der Gaststätte Haus Wessel nicht mehr auf dem Stuhl: Andre Stepper bahnte sich den Weg durch die Stuhlreihen, ergriff das Wort und beschrieb seine Gefühlslage, nachdem zunächst vorverurteilende und pauschalisierende Kommentare aus dem Plenum über Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, die Debatte geprägt hatten. „Ich habe Magenschmerzen“, sagte der Inhaber des Edeka-Marktes.

Man habe ihn gefragt, ob er nicht Angst habe, dass ihm der Laden „leer geklaut“ werde, wenn auf dem Grundstück im Bereich der Scheltheide Wohncontainer zur Unterbringung von bis zu 152 Menschen aufgestellt werden. Andre Stepper berichtete von seinen Erfahrungen aus der Zeit, als er noch bei Marktkauf an der Grenzstraße tätig war und unweit davon für knapp ein Jahr in einem ehemaligen Baumarkt eine Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge betrieben wurde. Er trat der Äußerung entgegen: „Es war nicht der Fall, bitte!“ Sein Appell: „Verurteilt die Leute nicht vorher.“ Lauter Applaus.

Beifall hatte es vorher während der Debatte auch für jene Beiträge gegeben, die genau in die andere Richtung gingen. Warum die Stadt die Flüchtlingsunterkunft just an einer Stelle platziere, wo Kinder mit dem Fahrrad entlangfahren, fragte ein Bürger, der zudem das Szenario zeichnete, dass viele Fahrräder gestohlen würden. „Wir sind uns einig, dass die Leute Hilfe brauchen“, meinte der Mann, der angab, Inhaber einer Versicherungsagentur zu sein und in den vergangenen drei Jahren mit vielen Einbruchsdelikten zu tun gehabt zu haben. Die Aufzeichnungen auf den Kameras hätten gezeigt, dass die Täter keine deutschen Bürger gewesen seien.

Bürgermeister bittet, nicht zu pauschalisieren

Bürgermeister Dirk Haarmann, der zuvor die Notwendigkeit des Vorhabens und den auf der Stadt lastenden Druck bei der Unterbringung der Menschen ausführlich dargelegt hatte, hielt dagegen: Dass Fahrraddiebstähle stattfinden, sei keine spezielle Flüchtlingsthematik. Mit Bezug auf die angesprochenen Einbrüche konstatierte er: Es sei überhaupt nicht gesagt, „dass es Flüchtlinge sind, die das machen“. Immer wieder appellierte Haarmann, „nicht zu pauschalisieren“. Die Menschen bekämen Leistungen, die auskömmlich seien, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Haarmann versicherte, dass die Stadt die Sorgen und Ängste ernst nehme, machte aber auch deutlich: „Wir haben woanders diese Erfahrungen im Stadtgebiet nicht gemacht und sie lassen sich auch nicht belegen.“

Das Gleiche schilderte Caritasdirektor Michael van Meerbeck, dessen Verband nach einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag dafür bekam, sich in Voerde um die Betreuung und Integration von Flüchtlingen zu kümmern. Die Caritas verfügt auch auf diesem Gebiet über viel Erfahrung. In Dinslaken etwa liegt das Übergangsheim „An der Fliehburg“ mit zurzeit zirka 1000 Bewohnern in ihrer Obhut. Auch in Hamminkeln und Schermbeck ist der Verband in der Flüchtlingshilfe tätig. 3000 Menschen habe die Caritas in der Betreuung – aus den Erfahrungen könne er „die Sorgen nehmen“. Es sei ganz selten, dass Polizei oder Ordnungsbehörden rausgerufen würden. „Macht eine Unterkunft mehr Schwierigkeiten als andere, fahren wir die Betreuung hoch“, kündigte van Meerbeck an.

Anwohner forderte, Wohncontainer nicht weiter nach hinten zu verschieben

Der Caritasdirektor äußerte Verständnis für die persönlichen Befürchtungen eines Anwohners der Flüchtlingsunterkunft an der Scheltheide: Zur Zeit der Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahren hatte es an dem Standort schon einmal einen Containerstandort gegeben. Der Anwohner schilderte, von Bewohnern damals verprügelt worden zu sein. Der künftige nahe Nachbar der Flüchtlingsunterkunft, dem eine Frau aus dem Plenum zurief, doch mit dem Bürgermeister zu tauschen, forderte, auf dem Grundstück keine zweistöckigen Container aufzustellen und den Standort der Module nicht weiter nach hinten auf die Fläche zu verschieben. Genau dies prüft die Stadt derzeit, weil sie vorne, angrenzend an die Rheinstraße ein Feuchtigkeitsproblem ausgemacht hat, wie Bürgermeister Haarmann erklärte. Der Anwohner konterte: „Es ist nicht einmal Wasser auf der Wiese gewesen.“

Wenig später meldete sich seine Schwester zu Wort – mit einem oft gehörten Einleitungssatz, wenn es um das Thema Flüchtlinge geht: „Wir haben überhaupt nichts gegen Asylbewerber“, erklärte sie, „wenn die Menge kleiner wäre. Wir fühlen uns überrannt von so vielen Menschen.“ Zu der Frage, warum man die Flüchtlinge nicht auf mehrere kleinere Einheiten verteile, erklärte Haarmann, dass dies hinsichtlich der Betreuung „viel aufwändiger“ und darüber hinaus „kostenintensiver“ sei.

Bürgerin schildert Angriff „durch drei Schutzsuchende“

Eine Spellenerin berichtete, in Dinslaken „durch drei Schutzsuchende“ angegriffen worden und deshalb umgezogen zu sein. Das „Herunterspielen“ ekele sie an. Die Ängste, die ein Vater zuvor um seine Kinder geäußert hatte, die in Spellen eine Kita besuchen, seien berechtigt. Der Mann hatte nach einem Sicherheitskonzept gefragt und mit Hinweis auf die Hauptnationalitäten der Flüchtlinge (Syrien, Afghanistan) von einem „massiven Anstieg“ von Körperverletzungsdelikten gesprochen.

„Das sind dramatische Fälle – unbenommen“, kommentierte wenig später eine junge Frau die beiden Schilderungen über Angriffe, es gebe „immer und überall schwarze Schafe“. Sie selbst bestätigte die Erfahrungen von Andre Stepper: Ihre Familie habe an der Grenzstraße gewohnt, als die Landeserstaufnahmeeinrichtung dort in Betrieb war. Es sei nie etwas passiert.

Ich wünsche mir, dass wir mit den Menschen reden, sie kennenlernen und verstehen, warum sie hierher gekommen sind.
Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Kleiderkammer in Friedrichsfeld - meldete sich bei der Diskussion über die Flüchtlingsunterkunft im Außenbereich von Spellen zu Wort.

„Mir hat geholfen, mit den Menschen zu reden“, erklärte eine Frau, die in der Kleiderkammer in Friedrichsfeld ehrenamtlich mitarbeitet. Sie habe nicht einen erlebt, der gewalttätig sei. Männer meldeten sich bei der Kleiderkammer und helfen dort mit. „Ich wünsche mir, dass wir mit den Menschen reden, sie kennenlernen und verstehen, warum sie hierher gekommen sind“, sagte die Ehrenamtlerin, die sich nicht als Einzige etwas vom Einsatz der Caritas verspricht.

Caritasdirektor regt Patenschaften an

Deren Chef berichtete über die Flüchtlingsarbeit seines Verbandes. Dabei nahm er zunächst eine andere Perspektive ein, wonach die hiesigen Einheimischen selbst in der Situation wären, aufgrund von Krieg, Verfolgung, Hunger oder Dürre aus ihrem Land zu fliehen. Die Caritas versuche, Flüchtlingen „ein Schutzgefühl zu geben, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren, damit sie sich zurechtfinden“, sagte Michael van Meerbeck. Er regte an, „Patenschaften“ für Flüchtlinge zu übernehmen, und verwies auf den Sitz der Caritas am Laurentiusplatz, wo die Mitarbeitenden kontaktiert werden könnten. Das pädagogische Team kümmere sich im Verhältnis 1:130 um die Menschen. „Wir werden immer da sein, wenn Probleme aufkommen sollten. Wenn etwas ist, meine ich, ist es das Allerwichtigste, dass wir miteinander sprechen“, sagte van Meerbeck.

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