Kreis Wesel. Niederrhein-Wölfin Gloria gerät wegen der Nutztierrisse weiter in Bedrängnis. Entscheidet das Gericht am Donnerstag auf Abschuss? Eine Analyse.

Im Jahr 1826 haben die Menschen im Kreis Wesel zum letzten Mal im Hünxer Wald zur Jagd auf einen Wolf geblasen. So war es eine Sensation, als mehr als 190 Jahr später im Frühjahr 2018 wieder ein Wolf auftauchte und beschlossen hatte zu bleiben. Obwohl es damals schon Skeptiker gab, war die Freude anfangs groß, als im Kreis Wesel das erste Wolfsgebiet in NRW rund um Schermbeck eingerichtet wurde. Der damalige Landrat Ansgar Müller taufte die Fähe GW 954f auf den Namen Gloria. 60 Nutztier-Attacken später ist die Begeisterung deutlich gesunken.

Die Klage des Hünxer Schäfers Kurt Opriel auf Abschuss der Wölfin, die am Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf verhandelt wird, ist nicht der erste Versuch, den Beutegreifer loszuwerden. Durch Übergriffe auf Schafe und Damwild hat sich Gloria, die aus dem niedersächsischen Rudel Schneverdingen zugewandert ist, zunehmend Feinde gemacht.

Auch Pferdehalter im Kreis Wesel sind in Sorge

Spätestens seit der Tötung zweier Shetlandponys nachweislich durch einen Wolf im Oktober 2020 und Januar 2021 sind nicht nur Schaf- und Rinderzüchter, sondern auch die Pferdehalter in Sorge. Bei 59 Angriffen auf Nutztiere, die das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) seit April 2018 eindeutig bestätigen konnte, wurden mehr als 145 Tiere getötet oder verletzt – darunter sind elf Attacken bei Schäfer Kurt Opriel. Er ist im Januar mit einem Eilantrag zur Tötung von Gloria gescheitert.

Der Schäfer ist nicht der einzige, der die erste sesshafte Wölfin im Kreis Wesel für fehl am Platze hält: Der Schafzüchterverband, das Gahlener Bürgerforum, der Rat der Gemeinde Schermbeck, Politiker aus Hünxe und Voerde und der Kreis Weseler Landrat Ingo Brohl (CDU) haben bereits erklärt, dass GW 954f am Niederrhein unerwünscht ist.

Wölfin Gloria ist am Donnerstag ein Fall für den Richter.
Wölfin Gloria ist am Donnerstag ein Fall für den Richter. © NRZ | NRZ

Sie führen das Ende der Weidetierhaltung ins Feld, warnen vor hohen wirtschaftlichen Schäden und dem Rückzug von Schafhaltern, die ja am Niederrhein für die Deichpflege wichtig sind, und sogar vor Gefahren für Menschen. Mehrfach ist Gloria in Begleitung beobachtet worden – seit April 2020 gibt es auch genetische Spuren ihres Partners GW 1587m, der ebenfalls aus dem niedersächsischen Rudel stammt.

Kritik an der Dokumentation des Lanuv

Die Beteiligung des Rüden an Nutztierrissen konnte laut Lanuv bisher zweimal nachgewiesen worden. Mindestens ein Jungtier ist belegt, Augenzeugen wollen sogar vier Wölfe gesehen haben. Und es ist wahrscheinlich, dass in diesem Jahr wieder Nachwuchs heranwächst. Um das Thema Wolf wird am Niederrhein heftig gestritten. In den sozialen Medien und gelegentlich im Wald geraten Befürworter und Kritiker regelmäßig aneinander, jeder neue Riss befeuert die Diskussion aufs Neue.

Dabei ist auch das Lanuv in die Schusslinie geraten: Das Gahlener Bürgerforum zum Beispiel wirft dem Lanuv vor, Risse nicht sachgerecht und neutral zu dokumentieren. So soll in einigen Fällen der empfohlene Herdenschutz nicht anerkannt und Zaunhöhen falsch erfasst worden sein.

Für die Gahlener steht fest: Die Wölfin überwindet immer wieder auch Zäune, die deutlich höher als die empfohlenen 1,20 Meter mit Stromlitzen sind. Das werde sie auch an ihre Nachkommen weitergeben. Opriels Anwalt Stefan Steinkühler ist Mitglied im Gahlener Bürgerforum. Gloria habe mehrmals Stromzäune von 1,20 Meter überwunden und sei damit eigentlich verhaltensauffällig, sagt er.

DBBW sieht Lücken beim Herdenschutz

Doch die Kriterien, kritisiert er, würden ständig nach hinten verschoben. Erst hieß es, ein Problemwolf sei einer, der einen 1,20 Meter hohen Elektrozaun überwunden habe. Dann heiße es, er müsse das zwei Mal tun, dann müsse er es zwei Mal binnen vier Wochen tun.

Allerdings gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Die DBBW (Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf) hat auf Bitte des NRW-Umweltministeriums das Verhalten der Wölfin analysiert und Ende Januar festgestellt, dass bei 52 von 56 Übergriffen zwischen 2018 und 2020 der ausreichende Herdenschutz nicht erfüllt war. GW954f habe anhand von vielen Möglichkeiten gelernt, wenig oder gar nicht geschützte Nutztiere zu reißen und unter bestimmten Bedingungen empfohlenen Schutz zu überwinden – nicht in „eskalierender Form“, sondern als Ausnahme.

Zäune und Hunde als Abwehr gegen den Wolf

Als Fazit empfehlen die Verfasser, den Aufbau elektrischer Weidezäunen massiv auszuweiten und Herdenschutzhunde einzusetzen. Das hat zum Beispiel der Weseler Schäfer Maik Dünow mit Erfolg getan. Doch die Hunde sind aufwendig und teuer, so der Schäfer – und damit für kleinere Betriebe nicht die Lösung.

Die Biologin Katharina Stenglein vom Nabu-Landesverband NRW erklärte jüngst im NRZ-Interview: „Wir Menschen müssen wieder lernen, mit dem Wildtier Wolf umzugehen.“ Und Wölfe müssten durch effektiven Schutz lernen, dass Schafe fressen weh tut. Aber sie räumt auch ein: „Wichtig ist, immer vor Augen zu haben, dass es keinen 100-prozentig wolfssicheren Schutz gibt.“ Mit wie viel Risiko die Tierhalter im Wolfsgebiet Schermbeck durch Wölfin Gloria leben müssen, hat nun das Verwaltungsgericht zu entscheiden.