Schermbeck/Hünxe. Das Lanuv hat die Aufnahme eines Welpen bestätigt. Er ist wohl ein Jungtier von Gloria. Aber was bedeutet das für Schäfer und Anwohner?
Es ist eine Nachricht, die bei Anwohnern, Schäfern und Landwirten für viele Fragen sorgt: Im Wolfsgebiet Schermbeck ist wieder ein Wolfsrudel ansässig. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (Lanuv) bestätigte am Dienstag Videoaufnahmen, auf denen ein Welpe zu sehen ist. Er ist wohl ein Jungtier der Wölfin Gloria. Doch was bedeutet das für Menschen und Nutztiere? Welche Schutzmaßnahmen sind jetzt sinnvoll? Und könnte den Wölfen bald der Abschuss drohen?
Wie reagieren Schäfer und Naturschützer?
„Die Nachricht hat mich nicht überrascht“, sagte Maik Dünow am Mittwoch. Dass sich am Niederrhein ein Wolfsrudel ansiedeln würde, sei nach Ansicht des Weseler Schäfers nur eine Frage der Zeit gewesen. Auch Peter Malzbender, Nabu-Kreisvorsitzender in Wesel, zeigte sich unbeeindruckt. „Ich habe schon vor einem Jahr gesagt, dass über kurz oder lang ein Rudel im Wolfsgebiet Schermbeck sein wird.“ Nie zuvor seit der Datenerfassung seien die Bedingungen in NRW so gut gewesen. „Die Wälder sind voller Futter“, so Malzbender. Und wo es Rotwild gebe, sei auch der Wolf nicht weit.
Verschärft der Welpe das Risiko für Nutztiere?
„Aufgrund von persönlichen Gesprächen mit betroffenen Tierhaltern weiß ich, dass bereits vor Auftreten des Rudels Verunsicherung bei Einzelnen bestand“, so Wesels Landrat Ingo Brohl auf NRZ-Anfrage. Laut Schäfer Dünow steige mit der Anzahl der Wölfe auch die Gefahr für Nutztiere. „Wenn ein größeres Rudel umherstreift, wird auch der Druck größer.“ Einzelne Tiere könnten durch Herdenschutzhunde abgeschreckt werden, „aber zwei Hunde pro Herde schützen nicht, wenn irgendwann acht Wölfe vor dem Zaun stehen.“
NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser widerspricht: „Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen, dass die ‚Gefahr‘ für Landwirte durch Welpen nicht ansteigt.“ Die Zahl der Übergriffe auf Weidetiere im Jahr 2020 entspreche mit bislang 18 nachgewiesenen Vorfällen in etwa der Zahl der Übergriffe in den vergangenen beiden Jahren. Außerdem müsse im Fall des Schermbecker Wolfsrudels berücksichtigt werden, „dass die Region sehr wildreich ist und damit die Wölfe in der Regel in der Natur ausreichend Nahrung finden“.
Wie bedrohlich ist das Wolfsrudel für Menschen?
„Deutschlandweit gibt es rund 1800 Wölfe und 135 Rudel“, so Malzbender. Aber noch nie seit der Neuansiedlung der Wölfe vor rund 20 Jahren habe es einen Übergriff auf Menschen gegeben. Daran werde auch der Welpe nichts ändern. Zudem beschwichtigt der Nabu-Kreisvorsitzende die Sorge, die Wölfe könnten sich im Wolfsgebiet Schermbeck ungebremst vermehren. „Wölfe haben riesige Futterreviere und verhalten sich sehr territorial. Wenn sich ein Rudel ansiedelt, wird es im Umkreis von 30 km² keinen weiteren Wolf geben.“
Könnte den Wölfen bald der Abschuss drohen?
Der Rat der Gemeinde Schermbeck sprach sich am Mittwoch mehrheitlich für den Abschuss von Wölfin Gloria aus. Man wolle die zuständigen Behörden und das NRW-Umweltministerium auffordern, Gloria zu einem „Problemwolf“ zu erklären und deren Entnahme anzuordnen. „Ich finde, wir sollten alle staatlichen Behörden endlich auffordern, Farbe zu bekennen“, sagte Rainer Gardemann, Fraktionsvorsitzender der CDU.
In der Vergangenheit hatte es immer wieder Debatten um einen möglichen Abschuss von Gloria gegeben. Auch Wesels neuer Landrat Ingo Brohl plädierte im November für eine Entnahme der Wölfin. Auf NRZ-Anfrage bekräftigte der CDU-Politiker am Mittwoch erneut, dass es sich bei Gloria und dem Wolf GW1587m aufgrund der vielen bestätigten Nutztierrisse um Wölfe „mit einem problematischen Verhalten“ handle. Der Kreis Wesel sei jedoch in seinem Handeln an rechtliche Vorgaben gebunden. „Wölfe sind gemäß Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt“, so ein Kreissprecher.
Die Entscheidungshoheit, ob eines oder mehrere der Tiere zum Abschuss freigegeben werden, liege laut NRW-Umweltministerium beim Kreis. Nach allen bisher vorliegenden Daten sei eine „Entnahme“ aber nicht rechtssicher begründbar. „Das ändert sich auch durch die Welpen nicht, von denen bisher einer nachgewiesen wurde“, so Heinen-Esser. Laut Wilhelm Schult, Sprecher der Jagdgemeinschaft Gahlen I, sei ein Abschuss sehr unwahrscheinlich. „Da sind wir tausend Meilen von entfernt.“ Zumal es ohnehin äußerst schwierig sei, ein einzelnes Tier ausfindig zu machen und zweifelsfrei zu identifizieren.
Wie gut schützen Zäune und Hunde vor Angriffen?
Das Lanuv schreibt laut Schult für Herdenschutzzäune eine Höhe von 1,20m vor. Das Problem: „Es gibt Fälle, bei denen der Wolf nachweislich über 1,60m hohe Zäune gesprungen ist“, erklärt der Sprecher der Jagdgemeinschaft Gahlen I. Nicht umsonst seien Schutzzäune in Zoos und Tierparks drei bis fünf Meter hoch. Auch Malzbender zweifelt am Nutzen. Dass Wölfe reihenweise über die Barrieren springen, sei zwar unwahrscheinlich. „Aber eine Höhe von nur 1,20m ist fragwürdig und aus meiner Sicht ein Fehler.“
Dünow setzt deshalb seit 2018 auf Herdenschutzhunde. „Seitdem habe ich Ruhe. Was bringt mir ein geförderter Zaun, wenn der Wolf eh drüber springt.“ Schult teilt jedoch die Sorge des Weseler Schäfers, dass es bei steigender Wolfspopulation trotz Herdenschutzhunden in Zukunft zu Angriffen auf Schafsherden kommen könnte. Malzbender sieht das anders: Sobald die Tiere den Geruch der Hunde riechen würden, gingen sie ungeachtet der eigenen Rudelgröße auf Abstand.
Wie unterstützt das Land Schäfer und Landwirte?
„Das Land bietet Tierhaltern umfangreiche Hilfestellungen, finanziert Zäune, Elektrogeräte, Wildkameras und unter bestimmten Voraussetzungen auch Herdenschutzhunde“, so Heinen-Esser. Für die Versorgung der Hunde müssen die Halter jedoch selbst aufkommen. Schäfer Dünow hat 20 Herdenschutzhunde. Bei einem jährlichen Unterhalt von 2.500 Euro pro Tier falle so ein Gesamtbetrag von 50.000 Euro an. „Ich habe ja nichts gegen den Wolf, aber ich habe die Rückkehr des Wolfes immer als Gemeinschaftsaufgabe gesehen“, sagt Dünow. „Es gibt den Wolf nicht zum Nulltarif.“
„Die Schäfer kriegen eindeutig zu wenig“, bestätigt Malzbender. Wenngleich es in den vergangenen Jahren einige Verbesserungen gegeben habe. Den Tierhaltern müssten alle Kosten, die durch Herdenschutzmaßnahmen anfallen, erstattet werden, fordert der Nabu-Kreisvorsitzende. „Auf Bundesebene gibt es mit Unterstützung NRWs derzeit Bemühungen, laufende Kosten für die Zaunpflege und die Unterhaltung von Herdenschutzhunden zu fördern“, stellt die Umweltministerin Heinen-Esser weitere Hilfsleistungen in Aussicht.