An Rhein und Ruhr. Die großen Umweltverbände Nabu, BUND und LNU sehen ihre NRW-Volksinitiative auf gutem Weg. Bis Sommer wird weiter gesammelt.

Zur Halbzeit ihrer "Volksinitiative Artenvielfalt" haben große Umweltverbände in Nordrhein-Westfalen bereits über 70.000 Unterschriften gesammelt. "Diese große Resonanz selbst unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie freut uns sehr", sagte Heide Naderer, die Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) an diesem Mittwoch (3. Februar 2021).

Nabu, BUND sowie die Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) wollen Druck machen für beherzten Artenschutz in NRW. Sie haben ein Acht-Punkte-Programm formuliert, das zum Beispiel mehr "wilde Wälder" und eine naturverträgliche Landwirtschaft fordert. 66.000 Unterschriften sind nötig, damit sich der Landtag in Düsseldorf mit ihren Forderungen beschäftigt.

Ökobauern unterstützen Volksinitiative Artenvielfalt

Diese Marke scheint schon jetzt erreicht, die Initiatoren wollen dennoch bis Juni weiter sammeln. "Wir setzen das Thema Artenschutz in Düsseldorf auf die Tagesordnung", erklärte BUND-Landeschef Holger Sticht. Unterstützung kommt von mittlerweile 88 Vereinen, Verbänden und Institutionen - darunter SPD und Grüne, die großen Zoos in Köln und Münster, die ökologischen Anbauverbände, ADFC und VCD, das Museum Koenig in Bonn, die Naturfreunde, die Imker und viele örtliche Initiativen.

Insgesamt 72.745 Unterschriften sind den Angaben zufolge bislang bei den Verbänden eingegangen, müssen freilich noch durch die Einwohnermeldeämter bestätigt werden. Die zahlenmäßig meisten Unterschriften kommen aus den großen Städten - angeführt von Köln (4638 Unterschriften), Dortmund (3091) und Düsseldorf (2873). Mit Essen (1474, 6. Platz), Bochum (1422, 7.) und Duisburg (1141, 10.) sind weitere Städte aus der Rhein-Ruhr-Region in der Top 10.

Umweltgruppen sind am Niederrhein rege

Gemessen an der Bevölkerungszahl kommen auffällig viele Unterschriften vom Niederrhein - etwa aus Xanten, Alpen, Emmerich Kevelaer oder Wesel. Und in Bedburg-Hau (440 Unterschriften) hat derzeit sogar schon fast jeder 25. Einwohner die Volksinitiative unterstützt - die kleine Gemeinde bei Kleve liegt damit nrw-weit vorn. Relativ viele Unterschriften kommen aber auch aus Haltern im Kreis Recklinghausen, Velbert-Langenberg, Hückeswagen im Oberbergischen Kreis sowie Attendorn im Sauerland.

Viele Tier- und Pflanzenarten in Nordrhein-Westfalen bedroht

Hirschkäfer gibt es zum Beispiel im Diersfordter Wald bei Wesel. Die stark gefährdeten Käfer lieben alte Eichenwälder, brauchen viel Totholz. Mehr Wälder sollten sich selbst überlassen werden, fordern die Naturschutzverbände.
Hirschkäfer gibt es zum Beispiel im Diersfordter Wald bei Wesel. Die stark gefährdeten Käfer lieben alte Eichenwälder, brauchen viel Totholz. Mehr Wälder sollten sich selbst überlassen werden, fordern die Naturschutzverbände. © Imago | Eric Baccega
Dramatisch sind die Rückgänge bei Feldvögeln: Beim Kiebitz ist der Bestand binnen 25 Jahren um 90% zurückgegangen auf jetzt weniger als 6000 Brutpaare in NRW, berichtet Birgit Königs vom Nabu. In der NRW-Volksinitiative wird ein Ausbau der naturverträglichen Landwirtschaft gefordert.
Dramatisch sind die Rückgänge bei Feldvögeln: Beim Kiebitz ist der Bestand binnen 25 Jahren um 90% zurückgegangen auf jetzt weniger als 6000 Brutpaare in NRW, berichtet Birgit Königs vom Nabu. In der NRW-Volksinitiative wird ein Ausbau der naturverträglichen Landwirtschaft gefordert. © Nabu | Nabu
Schmetterling des Jahres 2020: Der Grüne Zipfelfalter ist eigentlich anspruchslos, aber auch in NRW stark gefährdet. Er liebt lichte Wälder sowie die Waldmäntel an Wäldern und Heiden. Pestizid- und Düngeeinträge müssten verringert werden:
Schmetterling des Jahres 2020: Der Grüne Zipfelfalter ist eigentlich anspruchslos, aber auch in NRW stark gefährdet. Er liebt lichte Wälder sowie die Waldmäntel an Wäldern und Heiden. Pestizid- und Düngeeinträge müssten verringert werden: "Und wir brauchen ein Aufforstungsverbot für Naturschutzgebiete", sagt Holger Sticht vom BUND. © BUND | W. Schön
Die Speer-Azurjungfer ist
Die Speer-Azurjungfer ist "Libelle des Jahres 2020". Sie kommt in Moorgebieten vor, ist aber in NRW fast ausgestorben. "Wir haben zu wenige Moore unter Schutz gestellt", sagt Holger Sticht vom BUND. Zum Teil seien die Schutzgebiete auch in einem schlechten Zustand. © BUND | Michael Post / GdO
Ein Gartenschläfer: Für diese Art weist die Rote Liste eine Gefährdung unbekannten Unmaßes aus.
Ein Gartenschläfer: Für diese Art weist die Rote Liste eine Gefährdung unbekannten Unmaßes aus. "Gartenschläfer ernähren sich unter anderem von Insekten, das Insektensterben dürfte hier eine Rolle spielen", sagt Holger Sticht. Grünflächen in Stadt und Vorstadt müssten stärker nach Bioversitätskriterien gepflegt werden © BUND NRW | Pröhl, fokus-natur.de
Die gefährdeten Kreuzkröten bewohnen Binnendünen und Flussauen, ersatzweise Kiesgruben und Industriebrachen. Biotopverbünde und eine Begreenzung des Flächenverbrauchs würden ihnen helfen, sagen die Naturschützer.
Die gefährdeten Kreuzkröten bewohnen Binnendünen und Flussauen, ersatzweise Kiesgruben und Industriebrachen. Biotopverbünde und eine Begreenzung des Flächenverbrauchs würden ihnen helfen, sagen die Naturschützer. © Funke Foto Services | Volker Herold
83% der Orchideen-Arten in NRW sind gefährdet - auch das Breitblätterige Knabenkraut (Foto), das auf Feuchtwiesen beheimatet ist. Viele Standorte seien überdüngt oder entwässert worden, klagt Holger Sticht vom BUND. Eine Wiedervernässung würde helfen, ebenso die Förderung von extensiver Mahd und Beweidung.
83% der Orchideen-Arten in NRW sind gefährdet - auch das Breitblätterige Knabenkraut (Foto), das auf Feuchtwiesen beheimatet ist. Viele Standorte seien überdüngt oder entwässert worden, klagt Holger Sticht vom BUND. Eine Wiedervernässung würde helfen, ebenso die Förderung von extensiver Mahd und Beweidung.
Ein Mauersegler: Die Zahl der Brutpaare geht zurück, weil Nistmöglichkeiten an Gebäuden achtlos wegsaniert werden.
Ein Mauersegler: Die Zahl der Brutpaare geht zurück, weil Nistmöglichkeiten an Gebäuden achtlos wegsaniert werden. "In Städten muss mehr Rücksicht darauf genommen werden, dass dort eben nicht nur Menschen leben", meint Birgit Königs vom Nabu. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener
Eine Wildbiene fliegt eine Blume an: 50% der Wildbienenarten und Wespen in NRW sind gefährdet. Der Verlust von Lebensräumen setzt ihnen zu, sie reagieren auch sehr empfindlich auf Pestizide. Die von den Naturschützern geforderte Begrenzung des Flächenverbrauches sowie eine Dünge- und Pestizid-Reduktion dürfte auch ihnen helfen.
Eine Wildbiene fliegt eine Blume an: 50% der Wildbienenarten und Wespen in NRW sind gefährdet. Der Verlust von Lebensräumen setzt ihnen zu, sie reagieren auch sehr empfindlich auf Pestizide. Die von den Naturschützern geforderte Begrenzung des Flächenverbrauches sowie eine Dünge- und Pestizid-Reduktion dürfte auch ihnen helfen. © dpa | Maurizio Gambarini
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Die vielen Unterschriften vom Niederrhein kommen nicht von ungefähr. Umweltgruppen sind dort zahlenmäßig stark und außerdem sehr rege. Zudem gibt es wichtige Schutzgebiete und immer wieder auch Konflikte - etwa, wenn es um die Ausweisung neuer Kiesgruben oder neuer Baugebiete geht. Der Kampf gegen den Flächenfraß ist eines der Themen, bei denen die NRW-Landesregierung aus Sicht der Umweltverbände versagt.

Streit um hochwirksames Insektengift Thiametoxam

Tag für Tag werden in NRW unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen neun und zwölf Hektar Fläche zugebaut. Naturschützer beklagen seit Jahren den anhaltenden Flächenfraß - ein Dauerthema. Auch neue ploppen auf: So darf in NRW in diesem Frühjahr per "Notfallzulassung" das hochwirksame Insektengift Thiametoxam im Rübenaufbau eingesetzt werden, auf immerhin 40.000 Hektar. Die EU hat den Einsatz solcher "Neonikotinoide" im Freiland schon 2018 verboten, eigentlich. "In NRW geschieht das Gegenteil von dem, was gesellschaftlich nötig ist", klagte Holger Sticht vom BUND.

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Vorbild für die Unterschriftensammlung in NRW sind Initiativen in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachen und Brandenburg - mit breiten gesellschaftlichen Debatten und konkreten politischen Beschlüssen. "Ohne den Druck der Naturschutzverbände geschieht leider fast nicht", klagt LNU-Vorsitzender Mark vom Hofe. Seinen Angaben nach ist die NRW-Landesregierung seit Start der Kampagne am 23. Juli 2020 nicht gezielt auf die Initiatoren zugegangen, hat nicht das Gespräch gesucht.

"Ministerpräsident Laschet hat auf stumm geschaltet"

In anderen Bundesländern war das offenbar anders. "Unser Problem in NRW ist nicht die Umweltministerin", sagte BUND-Landesvorsitzender Holger Sticht mit Blick auf Ressortchefin Heinen-Esser (CDU). Das Problem sei die Landesregierung insgesamt - "eine Beton-Landesregierung". Nabu-Landeschefin Naderer beklagt, dass Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bei dem Thema "auf stumm geschaltet" habe - und das als "möglicher Kanzlerkandidat".

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Zum direkten Austausch mit der Landesregierung soll es offenbar jetzt kommen. Umweltministerin Ursula Heinen-Esser kündigte an, die Verbände "zeitnah" zu einem Gespräch einladen wollen. Sie begrüßte in einer Stellungnahme ausdrücklich den Zuspruch für die Volksinitiative: "Ich sehe darin eine Unterstützung gemeinsamer Ziele", so die CDU-Politikerin.

Heinen-Esser: "Breites gesellschaftliches Bündnis ist nötig"

Als mögliche Themen für das Gespräch nannte Heinen-Esser beispielhaft "weniger Schottergärten, mehr grüne Infrastruktur und weniger Pflanzenschutzmittel". Die Ministerin betonte allerdings, dass der Schutz der Artenvielfalt nicht im bilateralen Dialog mit Naturschutzverbänden verharren dürfe. "Ein breites gesellschaftliches Bündnis für den Naturschutz ist nötig", so die Ministerin. Das soll wohl heißen: Über kurz oder lang müssen weitere Akteure an den Tisch.

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Norwich Rüße, der umweltpolitische Sprecher der Grünen im NRW-Landtag, sieht die schwarz-gelbe Landesregierung in der Pflicht: "CDU und FDP längst den Hebel in Richtung Artenvielfalt umlegen müssen, stattdessen haben sie den Naturschutz zusätzlich geschwächt", so Rüße in einer Stellungnahme. „Die Landesregierung bremst leider alle Maßnahmen zum Artenschutz aus, wie etwa die Reduzierung von Pflanzenschutzmittel“, klagte Andrea Stinka, der Umweltexperte der SPD-Fraktion. Er sieht die Volksintiative schon jetzt als „großen Erfolg“.

Klar ist jedenfalls: Nabu, BUND und LNU wollen den Druck verstärken.In NRW wollen die Verbände mit ihrer Volksinitiative sofort wieder "auf die Straße gehen" - sobald es angesichts der Corona-Infektionslage wieder vertretbar erscheint. Die aktuellen Beschränkungen erschweren das Sammeln von Unterschriften - Wanderungen und Veranstaltungen fallen aus, Innenstädte sind menschenleer, weil Geschäfte geschlossen haben.

Nabu, BUND und LNU wollen Unterschriftenzahl noch erheblich steigern

Einstweilen können Sammellisten weiter aus dem Internet ausgedruckt und unterschrieben eingesandt werden, heißt es bei den Initiatoren. In nächster Zeit wollen sie verstärkt in Nachbarschaften und Hofläden um Unterstützung werben. Nabu, BUND und LNU sind überzeugt, die Unterschriftenzahl bis Sommer "noch erheblich steigern zu können".