An Rhein und Ruhr. Hochwirksames Gift soll gegen Blattläuse an Zuckerrüben eingesetzt werden. Die EU hatte Thiamethoxam im Freiland bereits 2018 verboten.

Das hochwirksame Insektengift Thiamethoxam kehrt per Sondergenehmigung auf Felder in Nordrhein-Westfalen zurück. Die Behörden haben grünes Licht dafür gegeben, dass der von der EU bereits 2018 verbotene Wirkstoff im Zuckerrübenanbau auf rund 40.000 Hektar zur Bekämpfung von Blattläusen eingesetzt wird. Umweltschützer laufen Sturm.

"Das konterkariert alle Bestrebungen zum Schutz von Insekten und der biologischen Vielfalt“, schimpfte Holger Sticht, Landesvorsitzender des Umweltverbandes BUND, an diesem Dienstag (12. Januar 2021). Thiamethoxam zählt zu den Neonikotinoiden - synthetische Nervengifte, die von Insekten über Blattsäfte aufgenommen werden. Sie gelten laut Studien als verheerend insbesondere für Wildbienen, von denen viele Arten bedroht sind.

Weitere Bundesländer könnten dem NRW-Vorbild folgen

Die EU hat den Freiland-Einsatz von Thiamethoxam sowie von zwei weiteren Neonikotimoiden seit 2018 verboten, eigentlich. Auf Antrag des Pflanzenschutzdienstes NRW hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) aber unter Auflagen eine Notzulassung für die Zeit vom 1. bis zum 30. April 2021 erteilt. Erwartet wird das andere Bundesländer mit starkem Blattlausbefall folgen.

Die Genehmigung gilt für die Anbauflächen im Einzugsgebiet der Zuckerfabriken in Appeldorn am Niederrhein, Euskirchen und Jülich. Rübensaatgut darf demzufolge mit Thiamethoxam behandelt, also gebeizt werden. Hintergrund ist die durch Blattläuse übertragende "Vergilbungskrankheit", die bei Zuckerrüben zu bis zu 60% Ertragsausfall führen kann. Sie war zuletzt in weiten Teilen des Rheinlandes aufgetreten.

Lausbefall an Rüben in weiten Teilen des Rheinlandes

Bernhard Conzen, der Präsident der Rübenbauer, verteidigt den geplanten Einsatz von Thiamethoxam. "Ich verstehe den Aufschrei nicht", sagte Conzen auf Nachfrage der Redaktion. Auf rund 35.000 Hektar in der Rheinschiene sei im vergangenen Jahr die Vergilbungskrankheit festgestellt worden. Um sie zu bekämpfen, habe man umfangreich herkömmliche Insektizide einsetzen müssen.

Der mit den Behörden abgestimmte Einsatz von Thiamethoxam sei im Kampf gegen Blattläuse die bessere Lösung: "Gerade auch aus Rücksichtnahme gegenüber anderen Insekten", zeigte sich Conzen überzeugt. Zumal sich die deutschen Rübenbauer in der EU im Nachteil sehen. Immer mehr Länder, nicht nur in Osteuropa, erlaubten wieder Neonikotinoide. Handlungsbedarf sei hierzulande da.

Keine blühenden Zwischenfrüchte im Jahr danach

Die Rübenernte habe 2020 nach der Trockenheit zwar "nochmal die Kurve bekommen". Bessere Erträge jedoch habe die Vergilbungskrankheit verhindert: "Und das in für uns Rübenbauern wirtschaftlich schwerer Zeit", klagte Conzen. Er verwies darauf, dass der Einsatz von Thiamethoxam mit umfangreichen Auflagen verknüpft sei.

Beispielsweise sei der Wirkstoffanteil deutlich reduziert worden. Rüben selbst blühen nicht - weil im Folgejahr aber noch Wirkstoff im Boden sein könne, dürfen dann auf der Fläche keine blühenden Zwischenfrüchte angebaut werden, damit Bienen keinen Schaden nehmen, wie Conzen betont. Nach Ansicht des BUND zeigt aber gerade dies, dass "Landschaft hier in die falsche Richtung läuft".

BUND fordert Pestizid-Strategie für NRW

Denn: Auf solchen Flächen finden Bienen eben auch keine Nahrung. "40.000 Hektar Ackerfläche sollten bewusst bienenfrei gehalten werden. Dies ist exakt das Gegenteil einer umweltverträglichen Landwirtschaft, die Anbau von Kulturpflanzen und Artenvielfalt miteinander vereint“, klagt BUND-Agrarreferent Ralf Bilke.

Laut Bilke wirkt Thiamethoxam ausdrücklich nicht selektiv gegen Blattläuse, sondern habe weitreichende Folgen: „Es werden Bestäubungsleistungen beeinträchtigt und Nahrungsketten für Feldvögel gestört“, so Bilke. Von NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) fordert der BUND eine Strategie, wie der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft verbindlich reduziert wird.

Giegold (Grüne): "Eine bittere Absage an den Artenschutz"

Sven Giegold, der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament nannte die Notzulassung des Neonikotiniods "eine bittere Absage an den Artenschutz". "Während Bundeskanzlerin Merkel diese Woche auf globaler Ebene die Bedeutung der Biodiversität betont, machen ihre Parteifreunde in NRW eine gegenteilige Politik", sagte Giegold im Gespräch mit der Redaktion. Giegold forderte eine "Pestizidwende für NRW und Deutschland".