Berlin. Die Debatte über die Zukunft der syrischen Gemeinschaft in Deutschland läuft. Diese Fakten sollten Sie kennen, um sie zu verstehen.
Der Sturz von Machthaber Baschar al-Assad und die unberechenbare Lage in Syrien lenken den Blick auf die syrische Community in Deutschland und ihre Zukunft. Grünen-Politiker Anton Hofreiter warnt im Gespräch mit dieser Redaktion davor, jetzt die deutsche Migrationspolitik gegenüber Syrern zu verändern. FDP-Generalsekretär Marco Buschmann will „eine internationale Syrien-Konferenz, die von Deutschland ausgehen sollte“. Und die ersten Forderungen, jetzt die Rückkehr von Menschen zu beschleunigen, gibt es längst. Welche Fakten und Hintergründe zur Debatte Sie jetzt kennen müssen:
1. Zahl der Syrer in Deutschland
Knapp unter einer Million Syrerinnen und Syrer leben in der Bundesrepublik, Ende Oktober waren es laut Innenministerium 974.136 Menschen. Die allermeisten von ihnen kamen als Geflüchtete, im Schnitt sind sie seit knapp sechs Jahren hier. Syrien ist seit 2015 Jahr für Jahr das Herkunftsland, aus dem die meisten geflüchteten Menschen nach Deutschland kommen. Auch in diesem Jahr wurden noch viele Anträge auf Schutz gestellt: Das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) verzeichnete zwischen Januar und November 2024 72.420 Erstanträge auf Asyl. Fälle, die aktuell noch offen sind, werden so bald allerdings nicht entschieden werden. Das BAMF verhängte am Montag einen Entscheidungsstopp für laufende Verfahren.
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2. Aufenthaltsstatus
Angesichts der Lage im Land haben Menschen aus Syrien in den vergangenen Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit Schutz in Deutschland erhalten. Die sogenannte Gesamtschutzquote, die nicht nur Asyl, sondern auch andere Arten von Schutz umfasst, lag zuletzt bei 83,6 Prozent der Antragstellenden.
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Der häufigste Status ist dabei der subsidiäre Schutz, der greift, wenn den Menschen in ihrem Heimatland ernsthafter Schaden droht. In den Anfangsjahren des Bürgerkriegs bekamen Syrer diesen Status häufig wegen des Konflikts, in späteren Jahren war vor allem die verheerende Menschenrechtslage im Land ausschlaggebend. Nach drei Jahren wird überprüft, ob die Gefahr im Herkunftsland noch besteht und der subsidiäre Schutz verlängert wird oder nicht. Wie sich der Sturz Assads auf diese Entscheidungen auswirken wird, lässt sich jetzt noch nicht sagen.
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Viele Syrerinnen und Syrer fallen inzwischen gar nicht mehr unter das Asylsystem. Nach dem alten Staatsbürgerschaftsrecht hatten Menschen nach acht Jahren in Deutschland die Möglichkeit zur Einbürgerung. Viele, die 2015 kamen, haben das genutzt. 2023 machten sie mit 38 Prozent der Einbürgerungen die größte Gruppe unter neuen deutschen Staatsbürgern aus, damals bekamen rund 75.000 Menschen den deutschen Pass. Nach dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht sind Einbürgerungen nach fünf Jahren Aufenthalt möglich, bei besonderen Integrationsleistungen sogar nach drei Jahren. Viele Syrerinnen und Syrer kommen dafür also infrage.
3. Geschlecht und Alter
Rund 60 Prozent der Menschen aus Syrien in Deutschland sind männlich, 40 Prozent weiblich. Im Schnitt sind sie mit einem Durchschnittsalter von 26,2 Jahren deutlich jünger als die deutsche Bevölkerung. Allein 378.370 sind unter 20 Jahre alt, nur knapp 17.000 sind älter als 65 Jahre.
4. Arbeitsmarkt und Ausbildung
Derzeit sind nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 222.610 Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Hinzu kommen noch einmal rund 65.000 Minijobber. Das entspricht einer Beschäftigungsquote von 51,9 Prozent bei Männern und 18,9 Prozent bei Frauen. Rund 44 Prozent der syrischen Arbeitskräfte sind ungelernte oder angelernte Helfer. Mehr als die Hälfte haben eine Facharbeiterqualifikation oder sogar einen höheren Ausbildungsstand.
Allein rund 5000 Mediziner aus Syrien arbeiten dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit zufolge in Deutschland. Laut dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, spielen sie vor allem in kleineren Städten eine wichtige Rolle für die Versorgung. „Verlassen sie in größerer Zahl Deutschland wieder, wird dies in der Personaldecke ohne Zweifel spürbar sein“, sagte Gaß dem Magazin „Spiegel“.
Längst sind syrische Familien auch Teil des deutschen Bildungssystems: Im Schuljahr 2023/24 besuchten 206.000 syrische Kinder und Jugendliche allgemeinbildende Schulen in Deutschland, weitere 56.000 waren auf einer beruflichen Schule.
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5. Kriminalität
In den Kriminalitätsstatistiken ist der Anteil ausländischer Tatverdächtiger aus einer Reihe von Gründen überproportional hoch. Syrische Tatverdächtige sind laut dem jüngsten Lagebild des Bundeskriminalamts „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ allerdings unterrepräsentiert: Sie machen 21,4 Prozent aller Geflüchteten in Deutschland aus, aber nur 19,2 Prozent der Tatverdächtigen. Weil viele Syrer in Deutschland leben, führen sie die Statistik in absoluten Zahlen trotzdem häufig an, etwa bei Rohheitsdelikten wie Körperverletzung oder Sexualstraftaten.
6. Perspektive
Vertreter von CDU und CSU hatten schon am Wochenende eine Debatte darüber angestoßen, ob jetzt die Schutzbedürftigkeit von Syrern entfalle und – damit ihre Aufenthaltsberechtigung in Deutschland. Der stellvertretende Chef der Unionsfraktion, Jens Spahn, schlug vor, Flugzeuge für Rückkehrwillige zu chartern und ihnen 1000 Euro „Startgeld“ mitzugeben. Innenministerin Faeser sagte, konkrete Rückkehrmöglichkeiten seien im Moment nicht vorhersehbar, „und es wäre unseriös, in einer so volatilen Lage darüber zu spekulieren“.
Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl, hält die Diskussion über Rückführungen nach Syrien für eine „Wahlkampfdebatte“. „Politiker in Deutschland wissen genau, dass Syrien kein stabiles Land ist“, sagte Alaows dieser Redaktion. „Es gibt dort im Moment keinen Staat, mit dem man kooperieren kann, um die Frage von Rückkehr zu diskutieren.“ Realistisch seien Abschiebungen im Moment nicht umsetzbar. Aber die Debatte löse große Angst unter Syrern in Deutschland aus, sagt Alaows, der 2015 selbst aus dem Land geflüchtet ist: „Ich bekomme viele Anrufe von Menschen, die glauben, sie verlieren jetzt ihre Aufenthaltserlaubnis.“