An Rhein und Ruhr. Mit wenigen Klicks können sich Menschen Gras verschreiben lassen. Das Geschäft mit Cannabis-E-Rezepten boomt. Warum Experten das auch kritisch sehen.

„In fünf Minuten Cannabis-Patient werden“, wirbt die eine Plattform. Eine andere Webseite verspricht: „99 % aller Patienten erhalten ihr Rezept oder AU-Schein wunschgemäß“. Seit der Teillegalisierung im April dieses Jahres und dem Streichen des medizinischen Cannabis‘ aus dem Betäubungsmittelgesetz boomt das Geschäft mit dem digitalen E-Rezept regelrecht. „Ein enormer Markt. Es ist keine Schwierigkeit mehr, Cannabis auf Rezept zu bekommen“, weiß Ralf Heyden von der Drogenberatung der Diakonie in Dinslaken.

Und das Konzept der Online-Unternehmen scheint simpel: Anmelden, Fragebogen ausfüllen und später soll das verpflichtende Erstgespräch mit dem Arzt folgen. Wenn als nötig angesehen, wird das E-Rezept ausgestellt und medizinisches Cannabis kann häufig direkt im Anschluss bestellt werden. Stichwort: Telemedizin.

Cannabis über Telemedizin: „Ärzte für unsere Ärztekammern nicht greifbar“

„Das ist an sich auch gut, weil wir zu wenige Ärzte vor Ort haben, die Cannabis-verschreibend sind und damit eine Lücke geschlossen wird. Wenn es seriös gemacht ist, ist das ein legitimer Weg“, sagt Dr. Christiane Neubaur, Apothekerin aus Düsseldorf und Geschäftsführerin des Verbandes der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA). Das Problem: Häufig säßen die Ärzte, die das Rezept ausstellen, im europäischen Ausland. Eine Kontrolle sei da nicht möglich, „weil die Ärzte für unsere Ärztekammern nicht greifbar sind“, so Ralf Heyden von der Drogenberatung.

Auch Lukas (Name geändert) aus dem Kreis Wesel hat die Erfahrung gemacht: Seit mehreren Monaten leidet der Mitte Zwanzigjährige aufgrund seiner Depressionen an Schlaf- und Appetitlosigkeit – vor kurzem hat er sich über eine der Online-Plattformen ein E-Rezept ausstellen lassen, das unserer Redaktion vorliegt. Die Unterschrift und der Stempel auf dem kleinen Zettel stammen von einem Arzt aus Polen. Das Folgerezept erhalte er mittlerweile mit nur einem Klick.

Ralf Heyden von der Drogenberatung der Diakonie in Dinslaken.
Ralf Heyden von der Drogenberatung der Diakonie in Dinslaken. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

„Ich musste zuerst meine Symptome angeben und danach einen Text mit weiteren Erklärungen hinschicken. Gesprochen habe ich mit dem Arzt aber nie“, sagt er im Gespräch mit der NRZ. Dabei ist ein telemedizinisches Erstgespräch verpflichtend: „Es gibt eine klare Verordnung, die angibt, wie eine telemedizinische Behandlung abzulaufen hat. Dazu gehört eine vollständige Anamnese, die Überprüfung von Voruntersuchungen der anderen Ärzte, der Medikation und ein telemedizinisches Erstgespräch muss stattfinden.“ Auch ein Patient würde sich mit Falschangaben strafbar machen.

Auch interessant

Düsseldorfer Apothekerin: „Solange das Rezept korrekt ausgestellt wurde, haben wir da wenig Handhabe“

Kontrollieren lasse sich das korrekte Ausstellen des Rezeptes anschließend jedoch nicht mehr. „In den Apotheken kommt nur das ausgestellte E-Rezept an. Wie es entstanden ist und ob alle Richtlinien befolgt wurden, sehen wir nicht. Solange das Rezept korrekt ausgestellt wurde, haben wir da wenig Handhabe, sondern gehen davon aus, dass es ein Patient ist, der Cannabis als Medizin benötigt“, sagt die Apothekerin. Erst, wenn ein offensichtlicher Missbrauch vorläge oder das Rezept nicht korrekt ausgestellt werde, würde der Patient nicht beliefert werden.

„Wir brauchen eine klare Trennung zwischen Genussmittel und Medizin. Wichtig dafür ist ein offizieller Zugang für Konsumenten. Nicht nur die Cannabis-Clubs, auch Fachgeschäfte.“

Dr. Christiane Neubaur
Apothekerin und Geschäftsführerin des Verbandes der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA)

„Auch als Nicht-Mediziner kann man sagen, dass es sehr einfach ist, ein Rezept zu bekommen. Ich kann aber auch nicht hingehen und sagen ‚Ich zweifle die Diagnose an‘. Ansonsten müsste ich auch jede andere Diagnose, die der Hausarzt gestellt hat, anzweifeln“, sagt Ralf Heyden. Das Ziel der Teillegalisierung sei eben gewesen, die Zugangsschwellen abzusenken. „Und das passiert.“ Für Christa Kalisch, Leiterin der Sucht-Selbsthilfegruppe „Hoffnung“ in Xanten, ist die freie Verfügbarkeit eine „riesige Gefahr“. „Je jünger die Konsumenten sind, umso leichter bekommen sie eine Psychose.“ Und die bleibe, auch wenn eine Abstinenz erreicht sei.

Auch interessant

Fehlende Grenze zwischen medizinischem Cannabis und Freizeitkonsum stigmatisiere Patienten

Lag der Anteil der Privatrezepte im Vergleich zu den Kassenrezepten vor April noch bei 60 zu 40 Prozent, machen die Selbstzahler-Rezepte mittlerweile einen Anteil von 80 Prozent aus. „Das Verhältnis hat sich verändert und die Nachfrage nach Cannabis in den Apotheken steigt stetig“, erklärt Neubaur im Gespräch mit der NRZ.

Währenddessen warten viele Cannabis-Clubs in der Region weiterhin auf die Lizenz, Cannabis anbauen zu dürfen. Ein Düsseldorfer Club zog erst vor kurzem die Reißleine – zu groß sei unter anderem der Bürokratieaufwand. Verzichtbar seien die Clubs laut der Apothekerin jedoch nicht: „Wir brauchen eine klare Trennung zwischen Genussmittel und Medizin. Wichtig dafür ist ein offizieller Zugang für Konsumenten. Nicht nur die Cannabis-Clubs, auch Fachgeschäfte.“

Die fehlende Grenze zwischen medizinischem Cannabis und Freizeitkonsum stigmatisiere Patienten, die auf eine Cannabis-Therapie angewiesen sind. „Das sind keine Kiffer auf Rezept, das sind ganz schwerkranke Menschen. Wenn nicht vernünftig geprüft wird, ob jemand auf medizinisches Cannabis angewiesen ist, ist das keine seriöse Telemedizin.“