An Rhein und Ruhr. „Es läuft doch trotzdem alles“, dachte sich Johanna aus dem Kreis Wesel, während sie viele Jahre lang täglich Cannabis konsumierte. Ihre Geschichte.
Johanna* strahlt Ruhe aus, ihre Bewegungen sind bedacht, der Blick klar und die Stimme ruhig. „Ich bin ein verträumter Mensch“, sagt die junge Frau aus dem Kreis Wesel und lächelt leicht. 15 Jahre lang bestimmte Cannabis den Alltag der Anfang Dreißigjährigen. Heute wirkt sie gelöst. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht öffentlich preisgeben und anonym bleiben.
Erinnern kann sich die junge Frau gut an die ersten Schritte: „Mit 12 habe ich immer häufiger Alkohol getrunken und geraucht. Nicht, weil ich es cool fand, sondern weil mir der Effekt gefallen hat.“ Der Rausch habe ihr damals schon geholfen, „der Realität zu entfliehen.“ Und statt Alkohol-Kostproben, die man unter jugendlichem Leichtsinn verbuchen könnte, ist die damals Minderjährige häufig schon „sehr stark berauscht“ gewesen.
Ex-Cannabis-Abhängige aus dem Kreis Wesel erzählt: „Haben täglich Gras geraucht“
Den ersten Kontakt mit Cannabis hat sie dann mit 15 Jahren gehabt. „Das war aber nur einmalig, weil ein Schulkollege Gras dabei hatte – und für mich auch kein besonderes Erlebnis“, sagt sie und zuckt mit den Achseln. Jedenfalls noch nicht. Später, mit 17, lernte sie ihren späteren Partner kennen. „Er hat täglich Cannabis konsumiert.“ Probleme im Elternhaus brachten Johanna schließlich dazu, von zu Hause auszuziehen – ab dem Zeitpunkt verbrachte das Paar jede freie Minute miteinander. Auch das Cannabis spielte zunehmend eine große Rolle im Alltag der beiden.
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„Wir bildeten eine Art Dreigestirn mit einem anderen Kumpel und haben täglich Gras geraucht“, erinnert sie sich. Auch andere Drogen wie Pilze oder Amphetamine probierte sie aus. „Das haben die anderen beiden öfter genommen, aber meins war das nicht“, stellt sie klar. „Das war für mich auch ein Grund zu sagen ‚so schlimm wie die beiden bin ich ja nicht‘.“
„Nach dem Feierabend ging es darum, das Cannabis zu beschaffen und zu konsumieren“
Stattdessen baute sich Johanna ein Doppelleben auf: Tagsüber die Arbeit, „und nach Feierabend ging es dann darum, das Cannabis zu beschaffen und zu konsumieren.“ Auch verkauft habe sie die Droge zwischenzeitlich gemeinsam mit den beiden. „Das Geld war natürlich häufig knapp.“ Kein schönes Gefühl, „wenn man am Ende des Monats am Automaten steht und hofft, dass noch etwas rauskommt.“
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Für die Kreis Weselerin sei das jedoch normal gewesen: „Ich dachte lange, ich hätte kein Problem und könnte jederzeit aufhören.“ Gedanken wie „wenn ich mich von ihm trenne, höre ich ja automatisch auf“ kreisten häufig in ihrem Kopf. Doch bis sie sich trennte, dauerte es zehn Jahre. „Irgendwann bröckelte die Beziehung und mir ist bewusst geworden, dass wir ein Problem haben.“ 2019 war Schluss – und Johanna schaffte es, ein halbes Jahr auf Cannabis zu verzichten.
Kreis Weselerin gab etwa 300 Euro im Monat für Cannabis aus
„Aber dann habe ich durch Zufall eine Freundin von früher getroffen, die auch Cannabis geraucht hat. Und das Doppelleben fing von vorne an.“ Für sie habe alles weiterhin mutmaßlich funktioniert. „Ich bin immer noch arbeiten gegangen“. Rückblickend, so sagt sie, hat sie der Konsum mit der Zeit abstumpfen lassen. „Ich bin eigentlich ein sehr emotionaler und empathischer Mensch, aber ich habe keine Beziehungen mehr gepflegt, Freundschaften sind in die Brüche gegangen und Hobbys habe ich wieder vernachlässigt.“ Etwa 300 Euro im Monat gingen erneut für das Cannabis drauf.
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„Ich wusste, dass ich etwas ändern muss.“ Im Jahr 2022 suchte sie sich erstmals Hilfe bei der Drogenberatung. Ein innerer Konflikt, „weil ich immer wieder dachte, ich brauche es ja zum Einschlafen oder Runterkommen.“ Der erste Versuch scheiterte. „Anfang des Jahres war für mich dann aber klar, dass es keine andere Möglichkeit mehr gibt.“ In den ersten sechs Monaten plagten die Anfang Dreißigjährige Schlafstörungen. „Und es war schwierig, das durchzuhalten.“ Doch sie schaffte es. Yoga, Sauna, Schwimmen stand statt des Kiffens wieder in ihrem Terminkalender. Hobbys, die sie lange Zeit vernachlässigte, begannen wieder Spaß zu machen. „Ich konnte für mich wieder die Dinge etablieren, die ich lange nicht geschafft habe.“
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„Ich merke, dass ich endlich wieder ehrlich lachen kann“
Den Kontakt zu ihren Eltern baut sie langsam wieder auf, auch Freunde, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat, trifft sie mittlerweile wieder. „Cannabis ist für mich überhaupt nicht mehr präsent“, daran ändere auch die Teillegalisierung im April dieses Jahres nichts. „Doch ich muss auf mich aufpassen. Ich neige zu Suchtverhalten und zu Dingen, die mich aufputschen, deswegen verzichte ich auch auf Kaffee und achte darauf, nicht zu viel Alkohol zu trinken.“
Seit fünf Jahren lebt sie nun in ihrer Wohnung, „aber ich habe es nie geschafft, sie gemütlich einzurichten. Jetzt habe ich lange gespart und mir eine neue Küche gekauft, das ist mein nächstes Ziel: Die Wohnung schön machen.“ Doch das wichtigste? „Ich merke, dass ich endlich wieder ehrlich lachen kann.“