Schermbeck. Die Sümpelmanns sind besorgt. Ein Video zeigt, wie ein Wolf mühelos über ihren Schutzzaun „aus dem Lehrbuch“ springt. „Was sollen wir noch tun?“
Markus Sümpelmann zeigt auf den Acker vor seiner Schafweide in Schermbeck-Bricht: „Diese Spuren hat der Wolf gekratzt.“ Auch mehr als eine Woche nach dem Vorfall sind die länglichen Muster in der Erde noch gut zu sehen. Das Video des Tieres, das am Abend des 7. Oktober den 1,40 Meter Herdenschutzzaun mit einem scheinbar mühelosen Satz überwindet, hat nach der Veröffentlichung im Internet für viel Aufsehen gesorgt.
Und es hat die Schermbecker Landwirt-Familien verblüfft. „Ein Zaun wie aus dem Lehrbuch“, so Sümpelmann, umrahmt seine Weide und ergänzt, er sei sogar höher als empfohlen und begutachtet von der Landwirtschaftskammer. Der Schermbecker fragt sich: „Was sollen wir denn noch tun?“.
An den Ecken des Zaunes, der an das Feld neben dem Bauernhof grenzt, stehen vier Meter hohe Masten, daran sind die Kameras befestigt. Sie zeichneten den Vorfall abends um kurz vor 23 Uhr auf: Das Tier betrachtet den Zaun, kratzt dann Spuren in den Boden, als wolle es die Erde für den Absprung vorbereiten – und springt mit einem federleichten Satz über den Zaun. Nur wenige Sekunden macht das Tier einen Sprung zurück aufs Feld, ohne ein Schaf angegriffen zu haben. Offenbar wurde es gestört.
Schaden hat es trotzdem angerichtet: Zumindest bei den Sümpelmanns ist das Vertrauen in den Herdenschutz damit dahin. Ein 80-Zentimeter-Untergrabungsschutz, Stromlitze, gespannter, fester Draht: „Wir wollten es vernünftig machen“, erzählt der Landwirt. 30.000 Euro habe die Installation gekostet, 10.000 Euro wurden vom Land gefördert, den Rest zahlte die Familie selbst.
Zeigt das Video aus Schermbeck Wölfin Gloria?
Er soll nun noch eine Stromlitze 20 Zentimeter vor dem Zaun installieren, habe man ihm geraten. „Einen Jungwolf schreckt das ab, aber das hilft nicht bei Gloria“, winkt Sümpelmann ab. Denn dass es die Schermbecker Rudelchefin GW954f war, die das Hindernis überwand, daran hat er keinen Zweifel. Er zeigt auf seinem Tablet das Video. „Sehen Sie, das ist ein großer Wolf, nicht füllig, mit schlanken Beinen.“ Schon häufiger hat er Wölfe in der Umgebung gesehen, berichtet er, auch den Rüden. Der war es nicht, ist er sicher.
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Das Lanuv (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz) macht auf NRZ-Anfrage keine Angaben dazu, ob es sich auf dem Video tatsächlich um Gloria handeln könnte. „Informationen zum Alter, zum Geschlecht oder gar das Individuum lassen sich damit in der Regel nicht bestimmen.“ Auch auf die Frage, ob es nach Lanuv-Einschätzung eindeutig ein Wolf ist, beantwortete das Amt nicht. Ergebnisse der Untersuchungen würden „zuerst mit den betroffenen Nutztierhaltern oder auch den Personen kommuniziert, die das Bildmaterial zur Begutachtung vorgelegt haben.“
Bevor das Video entstand, sind schon zweimal auf dem Horstkamps-Hof Schafe zu Schaden gekommen: Am 20. April verschwanden zwei Lämmer spurlos, am 7. August wurden ein Tier der kleinwüchsigen Rasse „Quessant“ getötet und eines verletzt. Dabei konnten Spuren von Wölfin Gloria nachgewiesen werden. Nun fürchten Silke und Markus Sümpelmann weitere Angriffe. Was können sie tun? „Wir sind ratlos.“
Für die zwölf Schafe bauen sie einen kleinen Unterstand auf der Weide. Aber diese Tiere sind Hobby, ihre eigentliche Sorge gilt den rund 250 Rindviechern des Hofes, darunter 65 Milchkühe und die Nachzucht. Diese seien auch potenzielle Beute, „das wissen wir aus Niedersachsen“, sagt Markus Sümpelmann.
Die Tiere bekommen viel frische Luft, stehen monatelang auf der Weide – und selbst im Winter sind sie in den Offenställen mit einem Laufhof für die Milchkühe gefährdet, befürchtet er. „Das ist nur eine Frage der Zeit.“ Seine Forderung: „Der Bestand muss reguliert werden.“
17 Angriffe auf Schafe in zwei Monaten
In den vergangenen Wochen hat die seit 2018 rund um Schermbeck ansässige Wölfin Gloria häufig Weiden „besucht“: Auf der Internetseite wolf.nrw.de erfasste das Lanuv allein in Zeit vom 19. Juli bis zum 18. September insgesamt 20 Nutztier-Risse im Wolfsgebiet. Bei 17 dieser Angriffe auf Schafe in Schermbeck, Raesfeld, Hünxe und Hamminkeln wurde die Wölfin GW954f nachgewiesen, in einem Fall war es der Rüde GW3616m, möglicherweise mit Gloria zusammen.