Kreis Wesel. Für weitere sind die Flüge gebucht. Derweil warten mehr als 1000 auf den Asylentscheid. Hinter den Zahlen stecken Menschen und ihre Geschichten.
Flüchtlingspolitik ist ein viel diskutiertes Thema, Unterbringung und Verpflegung der Menschen bringen Kommunen an ihre Grenzen, Attentate wie das in Solingen schüren Ängste, der Ruf nach Abschiebung wird immer lauter, doch nicht immer gelingen sie. Wie ist die aktuelle Lage im Kreis Wesel? Hinter diesen Zahlen stehen Schicksale und Geschichten.
Mehr als 1000 Menschen warten auf den Ausgang ihres Asylverfahrens
Die nackten Fakten: 1046 Frauen und Männer in der Zuständigkeit des Kreises Wesel warten derzeit auf den Ausgang ihrer Asylverfahren, hinzu kommen 179 in Wesel, 475 in Dinslaken und 315 in Moers. Die drei Städte haben eigene Ausländerbehörden: 2015 laufende Asylverfahren gibt es demnach zusammen nach Auskunft der drei Kommunen und des Kreises. Diese Menschen, die noch Hoffnung auf einen guten Ausgang ihres Verfahrens haben, kommen mehrheitlich aus Syrien, der Tükei, dem Irak, Afghanistan, dem Libanon und dem Iran.
Da wären noch die Geduldeten: Ihr Asylverfahren ist abgeschlossen, sie sind zur Ausreise verpflichtet. Eigentlich, denn sie können oder sollen noch nicht abgeschoben werden: weil ihre Heimatländer sie nicht einreisen lassen, etwa, weil Dokumente wie der Pass fehlen, auch wenn die Sicherheitslage dort einen Abschiebestopp zur Folge hatte. Oder die Abschiebung ist aufgeschoben, weil die Geduldeten erst Schule oder Ausbildung abschließen dürfen. Es gibt viele mögliche Gründe für eine Duldung. Geduldete haben lediglich schriftlich, dass sie nicht illegal im Land sind, ansonsten sind ihre Rechte, etwa Arbeit aufzunehmen, stark beschnitten. Das betrifft insgesamt 977 Menschen im Kreis Wesel inklusive der drei größeren Städte. Für sie gibt es kaum noch Hoffnung.
Diesen Zahlen gegenüber sind die der Abschiebungen oder gescheiterten Abschiebungen eher überschaubar. Wer ausreisen muss, wird darüber informiert. Laut Kreisverwaltung Wesel unterstütze man diejenigen, die daraufhin freiwillig gehen. Wer sich weigert, soll abgeschoben werden. „Der Termin der Abschiebung darf der Person nach Ablauf der gesetzten Ausreisefrist nicht angekündigt werden. Die Person wird in der zugewiesenen Unterkunft aufgesucht, mit dem zulässigen Reisegepäck zum Flughafen gebracht und dort der Bundespolizei übergeben“, heißt es zum Prozedere. Heißt: Die Menschen wissen, dass sie abgeholt werden, sie wissen nur nicht, wann das geschehen wird.
Nicht alle Abschiebungen gelingen beim ersten Anlauf
2024 sind 67 abgelehnte Asylbewerber aus dem gesamten Kreis Wesel abgeschoben worden, bis Jahresende sollen noch weitere folgen, für einige sind die Flüge bereits gebucht. Dennoch, und auch das ist Teil der Asyldebatte, gelingt es den Behörden nicht immer, einen solchen Beschluss auch durchzusetzen. „Mitunter treffen wir die Menschen zu Hause nicht an“, nennt Swen Coralic, Wesels Pressesprecher, einen häufigen Grund. Weitere sind, dass die Abzuschiebenden krank sind oder das Unternehmen aus anderen Gründen scheitert. Im gesamten Kreis Wesel sind in diesem Jahr 69 versuchte „Rückführungen“ aus diesen Gründen nicht gelungen. Die Behörden werden es weiter versuchen.
„Die Frage ist doch auch: wohin abschieben? Es brennt überall auf der Welt.“
Was dieser im Grunde bürokratische Akt mit den Menschen macht, das weiß Bilgenur Zaman, Flüchtlingsberaterin beim Awo-Kreisverband Wesel, aus langjähriger Erfahrung. „Häufig kommen sie erst zu uns, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen und der Asylantrag abgelehnt ist und sie zur Ausreise verpflichtet sind“, sagt sie. Der Awo-Kreisverband berät Flüchtlinge in Wesel und in Moers und kann in diesem Fall nur abklopfen, ob alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft sind. „Wir machen keine Rechtsberatung, aber wir arbeiten mit Juristen zusammen“, so Zaman. Man müsse sich die Ablehnung und ihre Begründung genau ansehen.
Behutsam vorgehen, Vertrauen zu den Menschen aufbauen
Und wenn nichts mehr zu machen ist? „Die Leute sind traurig. Wir können sie dann nur noch beruhigen. Sie sind gekommen mit der Hoffnung, in Europa dem Krieg oder politischen Krisen zu entkommen“, sagt sie. „Wir müssen so behutsam wie möglich sein. Es sind keine Roboter und wir sind es auch nicht.“ Es habe in jüngster Zeit nicht mehr viele Fälle gegeben, in denen jemand abgeschoben werden sollte. „Die Frage ist doch auch: wohin abschieben? Es brennt überall auf der Welt.“
Für die betroffenen Frauen, Männer und Kinder sei auch das Dublin-Abkommen eine trübe Ausicht: Es bestimmt, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist, in der Regel das, in dem der Antrag erstmals gestellt wurde. „Aber in Griechenland und Italien sind sie auch nicht willkommen, und das wissen sie“, sagt Bilgenur Zaman. „Es ist bittertraurig, dass Menschen in diese Situation geraten müssen.“ Und solage die weltweite Politik nichts ändere, werde es immer wieder dazu kommen, da helfe auch der Ruf nach mehr Abschiebungen nicht. „Wenn in Deutschland Krieg herrschte, würde ich selbst alles tun um meine Kinder und Enkel in Sicherheit zu bringen“, sagt die 60-Jährige.