Wesel. Zehntausende Geflüchtete in NRW werden „geduldet“ – oft trotz guter Integration. Familie Othman aus Wesel wird bald in diesen Status rutschen.
Der Krieg in der Ukraine rückt das Schicksal von Menschen auf der Flucht wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Auch in Wesel ist die Hilfsbereitschaft groß, die ersten Geflüchteten sind bereits angekommen. Weniger im Fokus stehen Menschen, die schon vor Jahren nach Deutschland gekommen sind, sich mittlerweile integriert haben – denen aufgrund des Asylrechts aber nur der Status als „Geduldete“ bleibt. Allein in NRW betrifft das mehrere Zehntausend Geflüchtete.
Nach der Flucht aus dem Irak: Seit 2019 in Wesel
Den Othmans droht genau dieses Schicksal. Die Familie ist vor fast vier Jahren aus dem kurdischen Nordirak geflüchtet, weil der Vater Riyadh Othman sich dort aufgrund seiner Arbeit als Filmemacher bedroht sah. Mehrfach sei er von bewaffneten Männern angegangen worden, erzählt er im Gespräch.
Irgendwann wurde die Angst ums eigene Leben zu groß, die Familie beschloss ihre Heimat in der Nähe der kurdischen Stadt Erbil zu verlassen. Erst ging es mit dem Flugzeug nach Istanbul, von dort weiter über die Balkan-Route bis nach Bulgarien. Dort wurd ihr Antrag auf Asyl abgelehnt, sie schaffen es trotzdem bis nach Deutschland und landeten letztlich Anfang 2019 in Wesel.
Auch weil die Familie bereits in Bulgarien den Asylantrag gestellt hat, erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Othmans nicht als Geflüchtete an – nachdem sie Ende Januar auf einen wohl aussichtslosen Rechtsstreit verzichteten, dürften sie bald als „geduldet“ gelten, denn niemand wird derzeit von Deutschland in den Irak abgeschoben. Wie lange das so bleibt, kann allerdings keiner sagen, die Familie lebt deswegen in ständiger Unsicherheit, wie es für sie in Zukunft weitergeht.
„Wir sind dankbar, dass wir hier einen Platz gefunden haben“, betont der 21 Jahre alte Sohn Hoka, der sehr gut Deutsch spricht. Er absolviert eine Ausbildung als Anlagenmechaniker bei einer Firma in Wesel und ist im zweiten Lehrjahr. Seine Schwester Honya hat den Hauptschulabschluss nachgeholt und strebt jetzt die Mittlere Reife an – danach will die 18-Jährige entweder ihr Abi oder eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten machen. Die beideren jüngeren Geschwister gehen zur Grundschule und in die Kita. Vater Riyadh, der im Irak zum Musiker ausgebildet wurde, hat einen Hilfsjob in einer Autowäscherei. Die 41 Jahre alte Mutter Badriyah ist gelernte Näherin und würde gerne in einer Änderungsschneiderei arbeiten, inzwischen hat sie in einer Firma in Wesel, die Segel herstellt, Arbeit gefunden.
„Der Familie bleibt nur eine Möglichkeit, dauerhaft und gesichert in Deutschland zu bleiben – und das ist die Einbürgerung“, sagt Ulrich Grundmann, der sich ehrenamtlich als Flüchtlingspate engagiert und im engen Kontakt mit den Othmans steht. „Bei den älteren Kindern wird das kein Problem sein, die werden ihren Weg gehen. Schwieriger ist die Lage allerdings bei den Eltern.“
Das Problem: Weil sie ohne Flüchtlingsstatus keinen Anspruch auf qualifizierte Deutschkurse hatten, sind ihre Sprachkenntnisse überschaubar. Doch ohne entsprechendes Sprachlevel und einen festen Job, ist wiederum die Einbürgerung unmöglich. „Wir wollen in Wesel bleiben, wir sind hier in Sicherheit“, sagt der 49 Jahre alte Riyadh Othman. Doch auch als Geduldete wird es schwierig, einen passenden Sprachkurs zu finden, sagt Grundmann – der müsste im Zweifel selbst finanziert werden und sei so umfangreich, dass die Eltern nebenher über mehrere Monate kaum arbeiten könnten. Und ständig schwebt die Sorge über der Familie, dass den Eltern doch die Abschiebung droht.
Weseler Familie bekommt Hilfe durch Flüchtlingspaten
Ulrich Grundmann und seine Frau Renate aus Voerde engagieren sich schon lange in der Flüchtlingshilfe – meisterten als Paten auch die Herausforderungen, die im Sommer 2015 durch den massiven Zuzug von Flüchtlingen entstanden sind. Grundmann übt grundsätzliche Kritik am System der Duldung. „Es gibt in NRW Menschen, die mehr als zehn Jahre in diesem Status hier leben“, sagt er. Integration ist für sie aus seiner Sicht kaum möglich, eben weil die Kosten für wichtige Kurse nicht übernommen werden.
Er und die Othmans hoffen nun, dass sich für die gesamte Familie ein Weg aufzeigt, um dauerhaft in der Hansestadt leben zu können. Als nächster Schritt in diesem Prozess steht ein Termin bei der Ausländerbehörde an, dort wird es auch darum gehen, ob die Eltern nicht doch die Möglichkeit auf einen qualifizierten Sprachkurs haben.