Essen. Der Essener Bilal Hassan, einst gefürchtet als Serientäter „Pumpgun-Bilal“, will einen Schlussstrich ziehen und ein neues Kapitel aufschlagen.

Auf den ersten Blick ist die Neueröffnung des arabischen Spezialitäten-Restaurants „Al Hiba“ in der nördlichen Essener Innenstadt Anfang Juli ein Ereignis wie viele andere auch. Schwarze, gelbe und weiße Luftballons sind über dem Eingang drappiert und zu den Premierengästen gesellt sich der Rapper Manuellsen aus Mülheim, ein gern gesehener Gast bei solchen Events. Auch Ghazi, der Essener Rapper, gibt sich in der Rottstraße die Ehre.

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Tatsächlich handelt es sich bei der Restaurant-Premiere jedoch um ein bemerkenswertes Ereignis. Und das hat einzig und allein mit der Person des Inhabers zu tun, der an diesem festlichen Tag im Mittelpunkt steht: Bilal Hassan (42), ein Sproß der großen El-Zein-Familie und eine der schillerndsten Persönlichkeiten der nördlichen Innenstadt. Ein Mann mit reichlich Vergangenheit, der sich nun anschickt, sein Leben gründlich zu ändern und hier eine neue Zukunft zu bauen.

„Ich habe hier dreieinhalb Monate renoviert und malocht.“

Bilal Hassan
Restaurant-Inhaber

„Ich habe hier dreieinhalb Monate renoviert und malocht, alles ist kernsaniert“, berichtet Bilal Hassan mit viel Besitzerstolz. Sein Finger wischt über die Handyfotos, die ihn inmitten von Staub und Bauschutt zeigen. Ein Kampf sei das gewesen, fügt er hinzu, nun sei das Werk endlich vollbracht. Mehr als vier Jahrzehnte befand sich hier der beliebte Zagreb-Grill, jetzt geht‘s kulinarisch vom Balkan in den Orient.

Vinylboden in Natureiche-Optik, Tische aus Marmor und vergoldete Stühle, Platz für 60 Gäste

Das neue Restaurant ist geschmackvoll und gemütlich eingerichtet: Tische mit weißem Marmor, vergoldete Stühle, Vinylboden in Natureiche-Optik und ein warmes Licht.
Das neue Restaurant ist geschmackvoll und gemütlich eingerichtet: Tische mit weißem Marmor, vergoldete Stühle, Vinylboden in Natureiche-Optik und ein warmes Licht. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Das „Al Hiba“ ist alles andere als eine 08/15-Dönerbude, wie es sie hundertfach in Essen gibt. Das Lokal, in warmes Licht getaucht, überrascht durch eine wertige Innenrichtung: der Landhaus-Boden mit Natureiche-Vinyl ausgeschlagen, die Wände schwarz und mit Holzpaneel, Tische aus weißem Marmor und trendige Designerstühle aus vergoldetem Stahl, sogar das Besteck ist vergoldet. 30 Gäste finden in dem kleinen Lokal Platz und noch mal 30 draußen auf der Terrasse.

Das neue Restaurant auf der Rottstraße ist nach Bilal Hassans Tochter Hiba benannt. Vorher befand sich hier jahrzehntelang der Zagreb-Grill.
Das neue Restaurant auf der Rottstraße ist nach Bilal Hassans Tochter Hiba benannt. Vorher befand sich hier jahrzehntelang der Zagreb-Grill. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die Küche trägt die Handschrift von Hassans Kompagnon Abu Ali, der gelernter Koch und Geschäftsführer ist, hinzu kommen mehrere Servicekräfte. Hassan betont, dass er nicht bloß Inhaber sei, sondern selbst gerne koche. Dass Abu Ali ein Syrer aus Aleppo ist, verdient besondere Erwähnung. Denn es ist gerade erst ein Jahr her, dass der seit langem schwelende Streit zwischen der libanesischen und syrischen Community auf dramatische Weise eskalierte.

Etwa 300 Männer libanesisch-arabischer Herkunft aus der gesamten Region zogen in Regimentsstärke von der Grünen Mitte zum Salzmarkt und randalierten vor einem syrischen Restaurant. Nun arbeiten der Libanese Bilal und der Syrer Ali demonstrativ Hand in Hand - das soll vor diesem Hintergrund als Zeichen der Versöhnung verstanden werden.

Die Schatten der Vergangenheit sind immer noch lang, jetzt will er ein neues Kapitel aufschlagen

Bilal Hassan, der solide Restaurant-Besitzer: Diese Rolle haben dem 42-Jährigen wohl nur wenige in Essen zugetraut. Denn man hatte ihn lange Zeit abgespeichert als jemanden, der ständig mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Insbesondere in Polizei- und Justizkreisen gilt der massige und muskulöse Mann mit libanesisch-arabischen Wurzeln wohl noch immer als Prototyp des Serientäters und Berufsverbrechers - obendrein mit engen Verbindungen zur Clan-Kriminalität. Sein Onkel Mahmoud Hassan, der inzwischen in der Türkei lebt, war einst „der Pate von Berlin“.

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Als Hassan 2017 zum wiederholten Mal auf der Anklagebank sitzt, hat er bereits 14 Vorstrafen angehäuft und mehrfach hinter Gittern gesessen. Seit seinem 17. Lebensjahr steht er vor Gericht. Gefährliche Körperverletzungen, Widerstand, Angriffe auf einen Polizisten gehen ebenso auf sein Konto wie Beleidigungen.

Gefürchtet war Bilal Hassan, weil er einst in einer Geldstreitigkeit im Milieu eine durchgeladene Schrotflinte zur Hand nahm, um die mit Messern bewaffneten Widersacher in Schach zu halten. Seitdem kennt man ihn über die Grenzen von Essen hinaus als „Pumpgun-Bilal“. Ein Etikett, das genauso hartnäckig festsitzt wie Nikotin in der Gardine.

„Nach einer langen Haftzeit habe ich mich wieder ins gesellschaftliche Leben eingefunden und freue mich sehr darüber, nun in einer syrisch-arabischen Gemeinschaft leben zu dürfen.“

Bilal Hassan

Bei unserem Treffen in seinem neuen Restaurant beschönigt er die dunklen Kapitel seiner Vergangenheit nicht, doch nun wolle er nach vorne schauen. Das Gastro-Projekt sei die große Chance, von der Parallelgesellschaft überzutreten in die Mitte der Gesellschaft. „Nach einer langen Haftzeit habe ich mich wieder ins gesellschaftliche Leben eingefunden und freue mich sehr darüber, nun in einer syrisch-arabischen Gemeinschaft leben zu dürfen“, sagt er. Die Möglichkeit, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, sehe er als Bereicherung und als wichtigen Schritt in seinem persönlichen Integrationsprozess.

Der Essener Unternehmer Reinhard Wiesemann (re.) zählt zu den maßgeblichen Förderern des Restaurant-Projektes. Mit im Bild (v.l.) Monika Rintelen, Bilal Hassan, Mitarbeiter Halil Baykurt und Koch Abu Ali. Sie durchschneiden am Eröffnungstag symbolisch das rote Band.
Der Essener Unternehmer Reinhard Wiesemann (re.) zählt zu den maßgeblichen Förderern des Restaurant-Projektes. Mit im Bild (v.l.) Monika Rintelen, Bilal Hassan, Mitarbeiter Halil Baykurt und Koch Abu Ali. Sie durchschneiden am Eröffnungstag symbolisch das rote Band.

Zu den maßgeblichen Förderern des Al-Hiba-Restaurant-Projekts zählt der Essener Kreativ-Unternehmer und Gründer des Unperfekthauses, Reinhard Wiesemann, der ebenfalls auf die Chancen von Resozialisierung hinweist. Anstatt auszugrenzen plädiert Wiesemann dafür, „dass alle in unserer Gesellschaft legal mitmachen können“ - darunter eben auch Leute wie Bilal Hassan.

Der einflussreiche Mäzen aus der Nord-City weiß, dass das Projekt kein Selbstläufer sein wird und enormes Stehvermögen erfordert. „Jedes Gastronomie-Projekt, egal, wer es macht, hat ein großes Risiko zu scheitern. Aber man muss es versuchen, und es ist eine riesige Chance.“ Und er betont: „Auch Bilal und seine Frau tragen gewaltig dazu bei.“

Benannt hat Hassan das Lokal nach seiner Tochter Hiba, der Name prangt in goldenen Lettern an der Fassade. Als der 42-Jährige einen kurzen Einblick in sein Privatleben gibt, menschelt es plötzlich. So erwähnt er den Kummer und Schmerz, den ihm der frühe Tod seines schwerkranken Sohnes immer noch bereitet. Er ist im Alter von nur zwölf Jahren nach etlichen Operationen und vergeblichen Therapien an den Folgen eines unheilbaren Hirntumors gestorben. Seine Tochter Hiba, inzwischen 21 Jahre alt, sei sein ganzer Stolz. „Sie studiert Medizin und arbeitet im Krankenhaus“, sagt er und strahlt.

Bob Marley-Burger, Döner-Gerichte, Sandwiches und das Arabische Frühstück für 14,99 Euro

Im „Al-Hiba“ kommt eine frische arabische Küche auf den Teller. Unser Bild zeigt hausgemachte Weinblätterrollen. Die Küche trägt die Handschrift des syrischen Kochs und Geschäftsführers Abu Ali.
Im „Al-Hiba“ kommt eine frische arabische Küche auf den Teller. Unser Bild zeigt hausgemachte Weinblätterrollen. Die Küche trägt die Handschrift des syrischen Kochs und Geschäftsführers Abu Ali. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska
Der süße Ausklang: Die arabischen Eisspezialitäten mit Pistazien werden nach Originalrezepten in Bochum hergestellt.
Der süße Ausklang: Die arabischen Eisspezialitäten mit Pistazien werden nach Originalrezepten in Bochum hergestellt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auf die Teller im „Al-Hiba“ bringen sie eine frische arabische Küche: vom „Bob Marley“-Burger (12,50 Euro) und „Veggie“-Burger (11,50) über verschiedene Sandwiches (Menüs 10 bis 12 Euro), Döner-Gerichte und hausgemachte Hähnchenschnitzel (Menüs 10 bis 15 Euro) bis hin zum Frühstück Classic (11,90) und dem opulenten arabischen Frühstück Al-Hiba für 14,99 Euro. Arabisches Eis, nach Originalrezepten in Bochum hergestellt, sorgt für den süßen Schlusspunkt. Und alkoholische Getränke? Die stehen zwar nicht auf der Karte. „Aber auf besonderen Wunsch hole ich das Bier oder den Wein aus der Kneipe nebenan“, verspricht der Inhaber.

Er weiß, dass viele in Essen ihm die Wandlung zum guten Bilal von nebenan möglicherweise nicht abkaufen. Dass sie dieses ungewöhnliche Sozialexperiment bereits für gescheitert erklären, ehe es richtig begonnen hat. Aber Bilal Hassan hält trotzig und optimistisch dagegen: „Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen.“

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