Düsseldorf. Anas Al-Qura‘an tritt bei der Bundestagswahl für die Grünen im Düsseldorfer Norden an. Das exklusive NRZ-Interview mit dem 21-jährigen Politiker.

Über die Grenzen von Düsseldorf bekannt geworden ist Anas Al-Qura‘an bei der Bundestagswahl 2021. Gerade 18 Jahre alt geworden, war der Grünen-Jungpolitiker damals für den Titel des jüngsten Bundestagsabgeordneten im Rennen. Letztlich verpasste er das Amt in der Hauptstadt, blieb jedoch dem politischen Betrieb in Nordrhein-Westfalen erhalten. Doch schon vor seiner aktuellen Stelle im NRW-Wirtschaftsministerium war Al-Qura‘an in der Düsseldorfer Jugendpolitik durch gleich mehrere Ämter bekannt.

Bei der kommenden vorgezogenen Bundestagswahl steht der heute 21-Jährige erneut für die Grünen-Partei als Direktkandidat im Düsseldorfer Norden im Rennen. Im NRZ-Interview spricht er über seine Erwartungen an eine mögliche Abgeordnetenkarriere, darüber, wie er sich als Betroffener für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung stark machen will und darüber, wann eine politische Karriere enden sollte.

Grünen-Jungpolitiker Anas Al-Qura‘an will in den Bundestag

Herr Al-Qura‘an, wir treffen uns in der Düsseldorfer Innenstadt, um uns herum läuft der Weihnachtsmarktbetrieb. Warum haben Sie sich diesen Treffpunkt ausgesucht?

Ich bin gerne hier. Gerade wenn es so belebt ist. Man trifft hier auf so viele Menschen, so viele Nationalitäten. Ich habe hier meine Kindheit und Jugend verbracht und heute arbeite ich hier in der Nähe für das NRW-Wirtschaftsministerium. Ich fühle mich wohl hier und deshalb war das hier der perfekte Ort für ein Treffen.

Gerade junge Politiker müssen häufig ihre Kompetenzen beweisen, während Ihre älteren Kolleginnen und Kollegen auf ihre Erfahrung verweisen können. Mit welchen Vorerfahrungen gehen Sie in Ihren zweiten Wahlkampf?

Ja, in der Vergangenheit habe ich das schon öfters erlebt. Aber wer nur auf das Alter schaut, kann manches übersehen. Vielleicht erstmal vorweg, ich habe nach meinem Realschulabschluss direkt eine Ausbildung in der öffentlichen Verwaltung gemacht. Einerseits hat das vom Typen her gepasst und weil ich eine Seheinschränkung habe, war das auch eine Frage der persönlichen Sicherheit für die Zukunft. Heute bin ich Betriebswirt und Verwaltungsfachangestellter und habe mich nach der Ausbildung 2020 entschieden, noch mein Abi zu machen und ein Studium anzufangen. Aktuell bin ich im gehobenen Dienst im Wirtschaftsministerium angestellt und starte eventuell bald ein Master-Studium.

Aber auch politisch bin ich schon länger aktiv. Etwa im Düsseldorfer Jugendrat, wo ich auch auch schon die Kommunalpolitik kennenlernen konnte. Nebenbei moderiere ich auch immer mal wieder Kongresse.

Gab es in Ihrer bisherigen politischen Laufbahn Erfahrungen und Erfolge, die für Sie herausstechen?

In meiner Zeit im Jugendrat der Stadt Düsseldorf und als Vorsitzender des Kinder- und Jugendrates NRW habe ich mich – natürlich nicht alleine, sondern mit vielen anderen – bei der Verhandlung der neuen Gemeindeordnung in NRW eingesetzt. Dabei ging es uns vor allem um die Rolle, die Jugend- und Kindervertretungen zukünftig einnehmen sollen.

Aber auch parteiintern konnte ich ein paar Entwicklungen anstoßen. Ich habe die Landesvereinigung InklusionsGrün mitbegründet, in der inklusionspolitische Themen besprochen werden. Daneben war ich Vorsitzender der Grünen Jugend hier in Düsseldorf und bin aktuell Teil des Kreisvorstandes.

In welchen Bereichen liegen Ihre politischen Schwerpunkte?

Ich bin Experte für Verwaltungs- und Wirtschaftsthemen. Das ist das, was mich aktuell im Beruf und im Studium beschäftigt. Die beiden Gebiete, die mich in meiner bisherigen politischen Laufbahn aber vor allem beschäftigt haben, sind jugendpolitische und Inklusionsthemen. Bei beiden gibt es große Probleme. Es gibt zum Beispiel keine einheitliche Regelung dafür, was Jugendparlamente und -vertretungen eigentlich mitbestimmen dürfen. Dürfen sie zum Beispiel in Ausschüssen sitzen oder Anträge einbringen. Das unterscheidet sich von Ort zu Ort.

Da konnten wir mit der neuen Gemeindeordnung jetzt einen großen Schritt nach vorne machen. Aber es bleiben noch so viele andere Baustellen, die Aufmerksamkeit verdienen. Beispielsweise Corona-Pandemie, Bildung, psychische Probleme der Jugendlichen. Ganz wichtig in den heutigen Zeiten ist auch politische Bildung – gerade, weil so viele Falschinformationen und Populismus kursieren.

Zu ihrem zweiten Punkt: Als Person, die selbst mit einer körperlichen Einschränkung lebt, wo sehen Sie Ihrer eigenen Erfahrung nach die größten Probleme?

Also große Problemfelder sind in Deutschland die ganzen Sonderstrukturen, die es gibt. Menschen mit Einschränkungen werden so ein bisschen zweiter Klasse behandelt. Zuletzt landete Deutschland bei einer UN-Untersuchung zu dem Thema auf einem nüchternen viertletzten Platz von 14. Deswegen finde ich Inklusion so wichtig. Also zum Beispiel Schulklassen in denen Kinder mit und ohne Einschränkung, Geflüchtete zusammen miteinander lernen. Dasselbe gilt auch für Förderschulen und Förderwerkstätten. Hier gibt es auch strukturelle Probleme, dabei machen einige der Städte um Düsseldorf vor wie es besser geht. Aber mit dazu gehört auch, dass man Dinge auf kommunaler, Landes- und Bundesebene ändern müssen. Und das ist nicht so einfach.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie meine Seheinschränkung bei mir begonnen hat. Ich war in der fünften Klasse und habe Jahre gewartet, bis ich endlich Hilfsmittel kriegen konnte. Das heißt, ich saß da ohne zum Beispiel Bildschirmlesegerät und habe zugehört. Ich musste dann andere Leute fragen, was jetzt aufgeschrieben wurde oder mir Sachen abfotografieren lassen. Hier könnte es konkrete Richtlinien für Schulen geben und dafür, dass sich nicht zehn verschiedene Träger streiten, wer denn jetzt die Kosten übernehmen soll.

„Natürlich war die Beziehung zwischen den Koalitionspartnern nicht immer einfach, das haben wir ja jetzt auch gerade zum Ende gesehen.“

Anas Al-Qura‘an,
Direktkandidat für die Grünen im Düsseldorfer Norden

Erst vor kurzem ist die Führungsebene der Grünen Jugend, bei der sie ja auch engagiert sind, geschlossen zurück und aus der Partei ausgetreten. Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein?

In der Grünen Jugend bin ich immer noch sehr gut verwurzelt und war da auch lange aktiv. Da habe ich so ein bisschen meine politische Heimat gefunden. Was ich nach dem Rücktritt der Führung dort erlebt habe, war aber eher eine Art Aufbruchsstimmung. Denn viele haben das damals so empfunden, dass diejenigen, die bei der Grünen Jugend in Führungspositionen aktiv waren, versucht haben, den Verband mit ihrer kompromisslosen Haltung gegen die Wand zu fahren.

Auf der anderen Seite kann ich natürlich auch die Frustration derjenigen verstehen, die die Jugend jetzt verlassen haben. Wir mussten in der Regierung viele Kompromisse eingehen. Zum Beispiel bei der Bezahlkarte und jetzt zuletzt beim Sicherheitspaket. Das waren für viele rote Linien, die überschritten wurden. Daher verstehe ich den Frust, kann aber die Art und Weise, wie damit umgegangen wurde nicht nachvollziehen. Man hat Verantwortung in diesen Ämtern und durch diese Kompromisse konnte man viele politische Ziele durchsetzen.

Jungpolitiker aus Düsseldorf

Anas Al-Qura‘an ist Verwaltungsfachangestellter und Betriebswirt aus Düsseldorf. Nach seinem Realschulabschluss konzentrierte er sich zunächst auf eine Ausbildung und holte im Anschluss sein Studium zum Betriebswirt. Heute arbeitet er im gehobenen Dienst für das Wirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen. Al-Qura‘ans Eltern stammen aus Jordanien, er selbst ist Deutscher und lebt in Oberbilk. Außerdem hat er eine Seheinschränkung.

Bereits bei der Bundestagswahl 2021, nur wenige Tage nach seinem 18. Geburtstag, wollte der heute 21-Jährige in den Bundestag einziehen. Dies gelang damals jedoch nicht. Er konzentrierte sich deshalb zunächst auf seine berufliche Laufbahn im NRW-Wirtschaftsministerium.

Die NRZ Düsseldorf stellt in den nächsten Wochen in loser Reihenfolge die Düsseldorfer Bundestagskandidaten der für uns relevanten Parteien vor.

Sind Sie also mit der Bilanz der Ampelkoalition zufrieden?

Laut den letzten Quartalszahlen kamen mehr als 60 Prozent des in Deutschland gewonnenen Stroms aus erneuerbaren Energien. Sowas kommt nicht von irgendwoher. Sondern wir konnten unsere Themen setzen. Auch zum Beispiel beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der Staatsangehörigkeitsreform. Hier haben es Fachkräfte jetzt sehr viel leichter, sich ihre Abschlüsse anerkennen zu lassen, direkt in den Beruf zu starten und sich einbürgern zu lassen. Das ist für mich gelungene und schnelle Integration. Und das finde ich auch wichtiger, als jetzt wieder eine Abschiebedebatte zu führen. Wir brauchen Fachkräfte und viele Menschen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, sind jetzt Kollegen, Freunde und Nachbarn.

Natürlich war die Beziehung zwischen den Koalitionspartnern nicht immer einfach, das haben wir ja jetzt auch gerade zum Ende gesehen. Aber wenn man in eine Position gewählt wurde, in der man so viel Verantwortung hat, muss man versuchen Kompromisse zu finden und für alle Politik zu machen und nicht nur für das eigene Klientel, wie es ja die FDP jetzt zuletzt gemacht hat. Auch sehe ich ganz ehrlich schwarz, wenn ich auf die Konkurrenz schaue. Was ein Friedlich Merz teilweise für Aussagen tätigt, etwa über Flüchtlinge, die Zahnarztplätze stehlen, finde ich sehr schwierig. Da werden öffentlich Personengruppen ausgegrenzt. Kein Verhalten, dass ich von jemandem erwarte, der Bundeskanzler werden will.

Jetzt steht die Bundestagswahl vor der Tür. Wie führt Anas Al-Qura‘an Wahlkampf?

Indem ich unterwegs bin. Ich habe eine Tour angefangen – 300 Kilometer durch meinen Wahlkreis. Ich habe Anfang Dezember begonnen, also 300 Tage vor dem eigentlichen Wahltermin und will damit auch zeigen, dass die 300 Kilometer die halbe Strecke ist, bis nach Berlin. Und die laufe ich jetzt eben hier, klopfen an Türen, stehe an Ständen und führe Gespräche. Ich habe auch zwei Wahlkampfmobile, mit denen ich unterwegs bin. Einmal eine Rikscha für die innenstädtischen Gebiete, weil ich mit meiner Sehkraft nicht selbst Fahrradfahren kann. Aber hier können sich Leute gerne für Gespräche mit dazu setzen. Und für alles außerhalb der Innenstadt habe ich einen Van, der auch sehr wohnzimmermäßig eingerichtet ist und wo man zusammen einen Glühwein trinken oder eine Waffel essen kann.

Und wenn Sie es diesmal nach Berlin schaffen – was steht dann an?

Ich habe einen Auftrag in Berlin, ich möchte das Leben von Jugendlichen, von Menschen mit Einschränkungen in Deutschland verbessern. Und wenn ich die Punkte umgesetzt habe, die ich vorhin angesprochen habe, wenn ich weiß, mein Auftrag ist erledigt, dann gehe ich auch gerne wieder zu meinen Job im Wirtschaftsministerium zurück. Denn ich bin der Meinung, diesen Typ Berufspolitiker sollte es nicht geben. Wenn man nach Berlin geht, dann für eine gewisse Sache, die man umsetzen möchte. Da will ich mir treu bleiben, denn Düsseldorf ist meine Heimat und ich will mein Leben hier verbringen und nicht in Berlin.

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