Hamburg. Matthias Boxberger spricht über Gaspreise und Folgen für Arbeitsplätze. Er hält den Sparplan des Senats für keinen großen Wurf.
Es sind ungemütliche Zeiten für die Hamburger Industrie. Noch ist die Auftragslage gut, doch wie geht es weiter mit Blick auf teure Energie, Lieferengpässen und hohe Lohnforderungen? Das Abendblatt sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden des Industrieverbands Hamburg (IVH), Matthias Boxberger.
Ukraine-Krieg, hohe Inflationsraten, unterbrochene Logistikketten – ist die Lage in der Hamburger Industrie so schlecht, wie die äußeren Umstände es vermuten lassen?
Matthias Boxberger: Auch Hamburgs Industrie kann sich dieser schwierigen Gemengelage nicht entziehen. Noch sind die Auftragsbücher erfreulich gefüllt. Das aktuelle Umsatzplus liegt aber auch an den gestiegenen Preisen. Bei der Produktion leiden die Unternehmen dagegen stark unter den Lieferengpässen. Sie könnte bei funktionierenden Lieferketten nach Expertenschätzungen um bis zu sieben Prozent höher liegen. Zudem trifft die Betriebe nun auch das Niedrigwasser in den Flüssen. Insgesamt bewegt sich die Produktion in der Industrie aktuell auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau wie seit 2013 nicht mehr.
Die Gaspreise steigen und steigen – nun schlägt der Staat auf die hohen Preise noch eine Umlage von 2,4 Cent pro Kilowattstunde oben darauf – auch für Industriebetriebe. Was werden aus Ihrer Sicht die Folgen sein?
Matthias Boxberger: Der Energiestandort Deutschland – also auch Hamburg – wird mit einem Schlag teurer. Für die Industriebetriebe in Hamburg führt die Umlage zu Mehrkosten von über 100 Millionen Euro. Insbesondere unsere international tätigen Unternehmen haben durch die Umlage einen weiteren Wettbewerbsnachteil gegenüber der ausländischen Konkurrenz.
Droht aus Ihrer Sicht ein Abbau von Arbeitsplätzen?
Matthias Boxberger: Das werden wir in den kommenden Monaten sehen. Fakt ist: Die Unternehmen haben ihre Produktionsprozesse in den vergangenen Jahren bereits äußerst energieeffizient umgestellt, sehr viel mehr Gas können sie nicht mehr einsparen. Wenn die Kosten nun zu hoch werden und Preisanpassungen wettbewerbsbedingt nicht durchsetzbar sind, müssen zwangsläufig ganze Prozess- und Produktionslinien heruntergefahren oder abgeschaltet werden. Das würde dann auch Auswirkungen auf die Beschäftigung haben.
Mit Moorburg wurde eines der modernsten Kohlekraftwerke Deutschlands stillgelegt. Nun könnte man den Strom aus dem Kraftwerk wieder gut gebrauchen. Wie stehen Sie zu einer Reaktivierung Moorburgs?
Matthias Boxberger: Es war ein Fehler der Politik, den Kraftwerksbetrieb von Moorburg durch den Ausschluss der Fernwärmeeinspeisung unattraktiv zu machen. Wären die Probleme von heute bereits vor zwei Jahren bekannt gewesen, hätte man Moorburg sicherlich nicht vom Netz genommen. Ich sehe aber, dass es heute auch ausreichend andere Optionen gibt, Strom zu gewinnen, als über eine Reaktivierung von Moorburg zu sprechen.
Also selbst wenn das Kraftwerk technisch wieder ans Netz gehen würde, wäre das Hochfahren für Sie keine Option?
Matthias Boxberger: Ich nehme zur Kenntnis, dass dieser Zug abgefahren ist. Moorburg wird wohl nicht mehr ans Netz gehen, egal was ich darüber denke. Wir müssen uns um Alternativen kümmern, um Strom für den Standort Hamburg zu sichern. Und in diesem Punkt strengt sich der Senat aus meiner Sicht viel zu wenig an.
Was heißt das konkret?
Matthias Boxberger: In vielen Bundesländern haben sich die Landesregierungen bereits mit den wichtigsten Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft zusammengesetzt, um gesamthaft über Energiesicherung in dieser Lage zu reden. Das hat in Hamburg bisher nicht stattgefunden.
Sie wünschen sich eine runden Tisch zu dem Thema Energie – mit der Industrie?
Matthias Boxberger: Solche regelmäßigen Treffen sind überfällig. Für Hamburg steht als Deutschlands größte Industriestadt viel auf dem Spiel.
Der Senat hat am Dienstag 25 Punkte vorgestellt, wie die Stadt Energie sparen will. Unter anderem wird die Alsterfontäne abgeschaltet und das Rathaus nachts nicht mehr angestrahlt. Überzeugen Sie die Pläne?
Matthias Boxberger: Ich bin zunächst einmal froh, dass der Senat selbst Maßnahmen zum Energiesparen ergreift, nachdem wir in der Industrie schon viel weiter sind. Wenn dieser Plan nun das Ergebnis ist, so möchte ich das mit dem Satz kommentieren: Jede Kilowattstunde zählt.
Würden Sie von einem großen Wurf sprechen?
Matthias Boxberger: Die 25 Punkte sind allenfalls ein Anfang, aber ein großer Wurf ist dieses Konzept nicht.
Wie können Privatpersonen und Unternehmen in dieser Energiekrise finanziell zusätzlich entlastet werden? Schließlich drohen extreme Kostensteigerungen.
Matthias Boxberger: Die hausgemachten Standortkosten müssen jetzt reduziert werden. Ich denke dabei unter anderem an die Verkürzung von Genehmigungsverfahren oder die Beschleunigung von Digitalisierungsprozessen. Zudem ist es ein erster vernünftiger Schritt, dass die Bundesregierung nun die Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf sieben Prozent senken will. Meiner Meinung nach sollte diese Reduzierung auch für Strom gelten, also auf die gesamte Energierechnung. Denn auch dort ziehen die Preise stark an und sind für Privatpersonen und Unternehmen eine Belastung.
Die Debatte über eine Verlängerung der Laufzeiten für die drei noch in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke verstummt nicht – sollte man die Meiler länger als geplant am Netz lassen?
Matthias Boxberger: Wir haben in Deutschland drei zuverlässige Anlagen, die sicher Strom produzieren und länger als geplant lauffähig wären. Ich erwarte, dass nun eine vorbehaltsfreie Bewertung dieser Kraftwerke vorgenommen wird. Und dann könnte am Ende das Ergebnis stehen: Die drei Kernkraftwerke werden noch länger betrieben. Ich erwarte in diesem Punkt zügiges und ideologiefreies Handeln von Politik und Behörden.
Würden Sie es begrüßen, wenn in Deutschland wieder neue Meiler gebaut würden? In Frankreich und anderen Ländern gilt Atomkraft als Energie der Zukunft.
Matthias Boxberger: Atomkraft ist eine Energie mit Zukunft – das sehen zumindest andere Länder so. In Deutschland wurde das hingegen anders entschieden. Man muss das Ergebnis einer langen gesellschaftlichen Diskussion hierzulande nicht gut finden, aber akzeptieren. Ich glaube nicht, dass selbst nach zwei harten, teuren Wintern die Meinung in der Bevölkerung eine andere sein wird.
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Neben den steigenden Energiekosten drohen auf Hamburgs Industrie bald auch deutlich höhere Lohnkosten zuzukommen. In der für die Industrie so wichtigen Metallbranche mit bundesweit 3,8 Millionen Beschäftigten verlangt die IG Metall acht Prozent mehr Lohn. Eine aus Ihrer Sicht akzeptable Forderung?
Matthias Boxberger: Als Industrieverband führen wir keine Tarifverhandlungen. Nur so viel: Ich kann nachvollziehen, dass Beschäftigte wegen der hohen Inflationsraten Tariferhöhungen erwarten und ihre Vertreter mit hohen Lohnforderungen an den Start gehen. Wir dürften aber nicht vergessen, dass deutlich steigende Löhne eine Weitergabe der Kosten auf die Preise zur Folge hätte, was die ohnehin schon hohe Inflation weiter anheizen würde. Damit würde der Produktionsstandort noch teurer, die Wettbewerbsfähigkeit würde durch weitere Mehrkosten neben denen für Energie und Logistik belastet – und das bereitet mir große Sorgen.