Kaltenkirchen/Leezen. In der Milchverarbeitung braucht Lactoprot in Leezen viel Gas. Wie der Großbetrieb auf drohende Gasknappheit reagiert.
Heizlüfter sind in Baumärkten ausverkauft, Ölradiatoren und Kohlenbriketts auch – denn viele Menschen in Norderstedt und Umgebung treibt die Sorge um vor einem kalten Winter, in dem Häuser und Wohnungen nicht mehr ausreichend mit Gas beheizt werden können und vor den zu erwartenden horrenden Energiepreisen.
Russlands Präsident Wladimir Putin, der Gas in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine längst als politische Waffe einsetzt, könnte die Gaslieferungen nach Deutschland stoppen oder drastisch reduzieren. Die Leute suchen also, bisweilen hektisch, nach Alternativen. Nicht viel anders ist es in der Wirtschaft im Kreis Segeberg. Gerade die sogenannten energieintensiven Betriebe, die viel Gas für ihre Produktion benötigen, müssen sich auf den Ernstfall vorbereiten.
Energiepreise: Wenn das Gas fehlt, gibt’s bald keine haltbare Milch mehr
Zu diesen Unternehmen zählt Lactoprot, eine mittelständische Firma aus der Milchwirtschaft. 212 Mitarbeiter sind an den drei Standorten Kaltenkirchen, Leezen und Lübeck beschäftigt. Pro Jahr werden 200 Millionen Liter Rohmilch verarbeitet.
Lactoprot macht daraus Vorprodukte für die Lebensmittelindustrie, die für die Herstellung von Dingen wie Speiseeis, Babynahrung oder Joghurt gebraucht werden. Dafür muss täglich sehr viel Milch erhitzt und getrocknet werden – und dafür braucht Lactoprot bisher große Mengen an Gas.
Unternehmen ersetzt Gas durch Öl – erst einmal
„Den Großteil unserer Energie brauchen wir am Standort Leezen. Und zu 80 Prozent kommt die aus Gas“, sagt Firmeninhaber Steffen Rode. Mit dem Gas werden zwei Blockheizkraftwerke betrieben, die die Anlagen mit Strom versorgen und außerdem Wärme liefern, etwa für heißen Dampf, der für die Produktion gebraucht wird.
Die Preissteigerungen beim Gas sorgen schon jetzt für ein Umsteuern: „Die Eigenstromerzeugung lohnt sich nicht mehr.“ Zwar könne Rode – zumindest bei einigen Prozessen – auf Gas verzichten und Strom von außen zukaufen, aber auch der Strompreis sei extrem gestiegen, „seit 2021 hat der sich ungefähr verneunfacht.“ Lactoprot setzt also kurzfristig auf einen anderen fossilen Energieträger, nämlich Erdöl.
„Für Leezen sind wir in der Planung, derzeit suchen wir einen Öltank. Und dann müssen wir zusehen, dass wir schnell eine Genehmigung für den Einbau bekommen.“ Das Problem: Öltanks seien im Moment extrem schwierig zu bekommen, und Genehmigungen können bis zu zwei Jahre dauern. Falle die Gaszufuhr aus Russland plötzlich aus, müsse man sich wohl anders behelfen: „Dann muss ein Tankwagen mit einem Schlauch kommen, dann werden wir schon kreativ.“
Die Holtseer Landkäserei hat schon einen neuen Öltank
Immerhin: An einem anderen Standort ist man schon weiter - nämlich in der Holtseeer Landkäserei, die auch zum Unternehmen gehört. In dem Betrieb, gelegen bei Eckernförde, ist der neue Öltank schon da. Die Produktion soll aber noch bis Ende des Jahres mit Gas laufen, da so lange noch ein günstiger Liefervertrag laufe. Anders ist es am Standort Leezen, „da müssen wir zu tagesaktuellen Preisen auf den Spotmärkten Gas einkaufen. Eine Umstellung auf Öl würde ökonomisch sofort Sinn ergeben.“
Außerdem wird bei Lactoprot derzeit geprüft, wie sich Abwärme nutzen lässt, die bisher ungenutzt verschwand. Bestimmte Technologien waren nämlich früher für Lactoprot nicht rentabel – doch das ändere sich gerade. „Es rechnen sich durch das teure Gas plötzlich Dinge, die sich früher nicht gerechnet haben. Im Moment schauen wir uns Hochtemperatur-Wärmepumpen an.“ Die könnten genutzt werden, um die Abwärme der Kühltürme zu nutzen. Ein Konzept werde gerade erstellt.
Leezen bekommt eine Solaranlage, aber es gibt Lieferprobleme
Und dann sind da natürlich noch erneuerbare Energien, etwa die Photovoltaik. Deren Nutzung wird jetzt bei Lactoprot ausgebaut: „Wir installieren nächste Woche eine neue 100-Kilowatt-Anlage auf unserem Dach in Leezen“, sagt Steffen Rode. Und auch die Holtseer Landkäserei eine neue Solaranlage bekommen, mit 200 Kilowatt.
Doch, wie bei den Öltanks, gebe es Lieferschwierigkeiten: „In Leezen bekommen wir zwar bald die Paneele, aber nicht die Wechselrichter. Das liegt daran, dass die Mikrochips auf dem Weltmarkt so knapp sind. Es gibt nicht einmal Liefertermine“, sagt der Unternehmensinhaber. Und deshalb könne er die Anlage wohl erst einmal gar nicht in Betrieb nehmen.
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Geht sie ans Netz, werde sie auch nur einen kleinen Teil des Energiebedarfs decken, „das sind eher Peanuts“, gibt Rode zu. Er würde gerne in viel größerem Stil auf erneuerbare Energie setzen. „Langfristig stellen wir uns einen Energiemix aus Photovoltaik, Windkraft und Biogas vor. Dann wären wir autark“, so der Firmenchef. Doch aus seiner Sicht gibt es in Deutschland immer noch viel zu viele bürokratische Hemmnisse, die die - jetzt umso nötiger gewordene - Energiewende an ganz vielen Stellen ausbremsen.
Firma möchte viel mehr Öko-Energie, klagt aber über Bürokratie
Beispiel Solarenergie: „Ich hätte in Leezen eigentlich am liebsten eine 300-Kw-Anlage. Aber dafür brauche ich die Zustimmung des Netzbetreibers.“ Man habe also auf eine kleinere Anlage gesetzt, weil da die Genehmigung einfacher sei. Beispiel Windkraft: „Wir würden uns durchaus für Windräder interessieren. Aber es kann nicht sein, dass es sieben Jahre dauert, bis so eine Anlage genehmigt wird.“
Beispiel Biogas: „Wir könnten uns gut vorstellen, selbst Biogas zu produzieren und damit nachts, wenn wir keine Solarenergie gewinnen, die Blockheizkraftwerke antreiben.“ Technisch wäre das möglich, denn Biogasanlagen könnten auch mit Milchzuckern, die bei der Lactoprot-Produktion anfielen, betrieben werden. Allerdings, so Rode, sei das gesetzlich bisher kaum möglich.
Erst einmal muss das Unternehmen mit der derzeitigen Lage fertig werden, zu den aktuellen Bedingungen. Und es muss dabei am Weltmarkt bestehen – Lactoprot exportiert in 67 Länder, hat aber auch weltweit Konkurrenten, etwa in den USA. „Durch die hohen Energiepreise haben wir im Moment international einen Wettbewerbsnachteil“, sagt Rode. Denn andere Konkurrenten seien eben nicht vom teuren Gas abhängig: „Wir haben zum Beispiel einen Konkurrenten in Neuseeland, der kann sehr viel Erdwärme nutzen.“
Rode: „Unsere Margen werden in Zukunft leiden, keine Frage.“
Lactoprot habe seine Preise im Vergleich zu 2020 verdoppelt, zum Teil wegen der Energiekosten. Bisher sei das durch eine sehr hohe Weltmarktnachfrage kompensiert worden. Die allerdings werde nun wieder geringer, „das dreht sich gerade.“
Was all das für seine Firma bedeutet? Steffen Rode umschreibt es so: „Existenzbedrohlich ist die Lage für uns nicht. Wir sind ein Spezialist, der gut aufgestellt ist. Aber unsere Margen werden in Zukunft leiden, das ist keine Frage.“ Und irgendwann werde es auch der Endverbraucher merken, dass die Grundstoffe teurer werden - etwa bei Produkten wie Kaffeeweißer.
Leezen: Wenn kein Gas mehr fließt, gibt es keine pasteurisierte Milch
Immerhin kann Lactoprot wichtige Anlagen relativ problemlos von Gas- auf Ölbefeuerung umstellen. Das sei allerdings nicht überall in der Branche so, betont Steffen Rode. Manche Anlagen im Land könnten ausschließlich mit Gas betrieben werden. Blieben die Lieferungen aus Russland von heute auf morgen aus, hätte das drastische Folgen: „Dann geht’s der Milchwirtschaft schlecht. Dann finden Sie in keinem Laden mehr pasteurisierte Milch.“