Hamburg. Sollte das Kohlekraftwerk Moorburg reaktiviert werden, hätte das Auswirkungen auf den Zeitplan. Was Sie wissen müssen.

Michael Westhagemann, Hamburgs Wirtschaftssenator (parteilos), ist als äußerst engagierter Verfechter der Wasserstoff-Technologie bekannt. Er will die Hansestadt zu einem Zentrum der Herstellung und Nutzung dieses Energieträgers der Zukunft machen.

Angesichts der zunehmend spürbar werdenden Folgen des Klimawandels wird CO2-frei erzeugter Wasserstoff zwar immer dringender gebraucht. Doch nun hat Westhagemann ein Wiederanfahren des stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg – auf dessen Gelände die Hamburger Wasserstoff-Produktion entstehen soll – ins Gespräch gebracht, um die Energielücken bei einem drohenden Stopp der Gaslieferungen aus Russland füllen zu können. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen rund um dieses Thema.

Energie: Grüner Wasserstoff aus Hamburg

Wie wird Wasserstoff erzeugt?

Dafür gibt es verschiedene Methoden. Sogenannter „grauer Wasserstoff“ wird aus Erdgas oder Kohle gewonnen, wobei als Abfallprodukt klimaschädliches CO₂ in die Atmosphäre abgegeben wird. „Blauer Wasserstoff“ wird ebenso aus Erdgas erzeugt, hier wird das CO2 aber gespeichert oder industriell genutzt. „Grüner Wasserstoff“ hingegen, wie er in Hamburg entstehen soll, wird produziert, indem man Wasser mittels Wind- oder Solarstrom in Sauerstoff und Wasserstoff aufspaltet.

Dieses Verfahren namens Elektrolyse ist aber noch nicht weit verbreitet. „EU-weit wird aktuell der Wasserstoffverbrauch auf etwa zehn Millionen Tonnen geschätzt, aber erst etwa 20.000 Tonnen Wasserstoff werden mit Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt“, sagt Peter Lindlahr, Geschäftsführer von HySolutions, der Hamburger Projektleitstelle für Wasserstofftechnologie und Elektromobilität: „Von dieser Menge dürfte knapp die Hälfte in Deutschland hergestellt werden.“

Hamburg als führender Wasserstoff-Standort

Was macht Hamburg zu einem besonders geeigneten Wasserstoff-Standort?

„Unsere Region ist laut OECD besonders für den Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft geeignet“, heißt es dazu von der Wirtschaftsbehörde: „Hamburg mit der räumlichen Kombination als eines der größten Industriegebiete Nordeuropas, mit seinem Seehafen und seiner Nähe zu den windkraftstarken Küstenregionen bietet beste Voraussetzungen, um ein führender Wasserstoff-Standort zu werden – bei der Erzeugung, in der breiten Anwendung, für Import und Transport.“

Man sei sehr zuversichtlich, dass sich Hamburg zu einer führenden europäischen Region für Wasserstoff entwickeln wird, „mit positiven Effekten für die Wirtschaftskraft, Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand weit über Norddeutschland hinaus“.

Wie soll der Wasserstoff-Standort Hamburg künftig aussehen?

Kernstück der Strategie ist ein Elektrolyseur mit einer Kapazität von anfänglich 100 Megawatt (MW) im Hamburger Hafen auf dem Gelände des stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg. Er soll nach aktuellen Angaben der Wirtschaftsbehörde bis zum Jahr 2026 – bisher hieß es bis 2025 – durch ein Konsortium der Firmen Shell, Mitsubishi und Vattenfall sowie vom städtischen Betrieb Wärme Hamburg realisiert werden.

Bis Anfang der 2030er- Jahre ist eine Ausweitung der Kapazität „von weiteren 700 MW“ vorgesehen. Die Produktionsanlage soll durch den Aufbau eines Wasserstoffleitungsnetzes „sowie Anwendungen in Metallurgie, Hafenwirtschaft und Luftfahrt“ ergänzt werden.

Hamburgs Wasserstoff-Pläne wackeln

Würde die Reaktivierung des Kraftwerks Moorburg den Plan tangieren?

In der aktuellen Situation auf dem Gasmarkt müssten Prüfungen stattfinden, inwiefern die vorhandene Anlage „vorübergehend in ein krisenminimierendes Szenario einbezogen werden kann“, heißt es von der Wirtschaftsbehörde. „Jede auch nur vorübergehende Nutzung des Grundstücks führt dann natürlich zu Neubewertungen auf der Zeitschiene der Umnutzung zu einem Green Energy Hub.“

Die Behörde räumt somit ein, dass sich bei einer eventuellen Reaktivierung des stillgelegten Kraftwerks die Wasserstoff-Pläne verschieben würden. Allerdings hat der Vattenfall-Konzern, dem die Anlage gehört, bisher recht deutlich signalisiert, dass er von Überlegungen zu einer Wiederinbetriebnahme wenig hält. So sei die Betriebsgenehmigung nicht mehr gültig. „Ein Wiederanfahren wäre auch technisch und wirtschaftlich nicht mehr darstellbar“, teilte Vattenfall mit.

Wofür soll der „grüne“ Wasserstoff künftig eingesetzt werden?

Die Experten des Beratungsunternehmens Ludwig-Bölkow-Systemtechnik gehen davon aus, dass dieser Energieträger bis 2030 zunächst vor allem als Erdgas-Ersatz für das Heizen von Gebäuden und als Brennstoff in der Industrie eingesetzt wird. In den folgenden Jahrzehnten bis 2050 werde sich aber der Verkehrssektor zum wichtigsten Nutzer entwickeln.

Wasserstoff als Antrieb für Lkw und Busse

„Für den Antrieb schwerer Lkw und Busse ist Wasserstoff eine aussichtsreiche Option, ebenso für Flugzeuge im innereuropä­ischen Streckennetz“, sagt Lindlahr. Airbus will bis 2035 eine solche Maschine entwickeln. Weil Wasserstofftanks jedoch sehr viel Platz benötigen, wird man für Langstreckenflugzeuge wohl auf CO2-frei hergestelltes synthetisches Kerosin zurückgreifen müssen – das aber Wasserstoff für die Produktion erfordert.

Woher wird der in Deutschland benötigte Wasserstoff kommen?

Der größte bisher aktive Elektrolyseur für „grünen“ Wasserstoff in Deutschland steht in Wesseling südlich von Köln. Er hat eine Kapazität von gerade einmal zehn MW. Zum Vergleich: Ein Elektrolyseur von 100 MW, wie er in Hamburg geplant ist, würde nach Angaben von Siemens etwa zwei Tonnen Wasserstoff pro Stunde produzieren, womit ein Lkw 2500 Kilometer weit fahren könne.

Selbstverständlich werden für Deutschland sehr viel größere Mengen als diese benötigt. So peilt die Bundesregierung eine inländische Produktionskapazität von zehn Gigawatt bis 2030 an. Seit 2021 haben etliche Standorte ehrgeizige Ausbaupläne vorgelegt (siehe Grafik).

„Wir erleben gerade eine Menge Ankündigungen, die sich gegenseitig überbieten“, sagt Lindlahr dazu. Für ihn ist aber klar, dass die Eigenproduktion nicht ausreichen wird. In der Branche geht man davon aus, dass mindestens die Hälfte des künftig in Deutschland benötigten grünen Wasserstoffs importiert werden muss.

Nach Darstellung der Wirtschaftsbehörde ist es gerade die kürzlich veröffentlichte Wasserstoff-Importstrategie, „die uns von vielen anderen Standorten abhebt“. Hamburg setze bereits heute auf internationale Kooperationen mit Regionen, aus denen Wasserstoff oder verwandte Produkte – wie Ammoniak oder Methanol – nach Deutschland eingeführt werden können.

Mit Schottland sowie Groningen in den Niederlanden habe man schon entsprechende Vereinbarungen geschlossen. Weitere seien „konkret in der Anbahnung“, etwa mit Dänemark, Chile und Kanada. Intensiven Austausch gebe es zudem mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit Saudi-Arabien, Tunesien, Australien, Island und den USA.

Wie teuer wird der nachhaltig erzeugte Wasserstoff sein?

Nach Angaben der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma PwC kostet „grauer“ Wasserstoff ohne CO2-Steuer derzeit einen bis zwei Euro pro Kilogramm. Dagegen lägen die Produktionskosten für grünen Wasserstoff in Europa zwischen drei und acht Euro, bis 2030 würden sie sich voraussichtlich ungefähr halbieren.

Im Jahr 2050 seien in Europa Kosten von nur noch zwei Euro pro Kilogramm vorstellbar, heißt es von PwC. Doch in Weltregionen mit höherem Potenzial an Strom aus erneuerbaren Quellen, wie dem Mittleren Osten, Afrika oder den USA, könnten die Erzeugungskosten dann auf 1 bis 1,5 Euro pro Kilogramm gesunken sein, was für die Europäer Wasserstoffimporte aus solchen Regionen attraktiv mache.