Hamburg. Der Herrenfriseur nahe der Davidwache besticht mit einer Einrichtung aus den 70er Jahren. Auch als Filmkulisse diente der Salon schon.

Vor allem sonnabends hat der Friseursalon Harry in der Davidstraße unweit der Davidwache viele Zuschauer. „Dann halten hier die Touristenbusse und die Insassen winken“, sagt Franz Stenzel, Inhaber des Friseursalons, einem echten Kultladen mit der Einrichtung aus den 1970er-Jahren: Mahagoniholz, schwere Friseurstühle mit Fußstützen, Spiegel mit goldfarbenen Rahmen und dunkle Waschbecken.

Selbst als Filmkulisse hat der Herrensalon schon gedient. Mit 74 Jahren arbeitet Stenzel von Dienstag bis Sonnabend in seinem Geschäft. Was der Touristenführer im Bus seinen Gästen erzählt, kann Stenzel nur ahnen. Aber sicher geht es um die Beatles, deren Platten und Fotos ebenfalls den Laden zieren.

Stenzel lebte 1961 noch in Danzig

Stenzel war damals, Ende 1961, noch nicht im Geschäft, lebte noch in Danzig. Dennoch muss er Kunden die Geschichte immer wieder erzählen. Manche dürfen auch eine Etage tiefer gehen, wo noch Überreste der Einrichtung von vor 1974 stehen. So befindet sich im Keller des kleinen Geschäfts noch der Friseurstuhl, auf dem die Beatles Platz nahmen.

Der Musikmanager und Mitbegründer des Star-Clubs, Horst Fascher, hat diesen Stuhl signiert und mit folgendem Text versehen: „Hier saßen die Beatles und ich schon Ende 1961 zum Beatles Haarschnitt, nachdem Astrid den ersten Schnitt versaut hatte.“ Die Fotografin Astrid Kirchherr schnitt damals den Beatles ihre Pilzkopffrisur, doch Fascher war nicht zufrieden und schickte die Musiker in den Salon Harry, wo er sich bis heute selbst die Haare schneiden lässt.

Der Laden in Kürze

 

Gegründet: 1906

 

Adresse: Davidstraße 23

 

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonnabend 10.00 bis 18.30 Uhr

 

Ladengröße: 25 Quadratmeter

 

Zahl der Mitarbeiter: eine

 

Günstigster Haarschnitt:  21 Euro

 

Teuerster Haarschnitt: 56 Euro

 

Online: Haben wir nicht, aber andere machen in den sozialen Medien gute Werbung für uns.

 

Zukunft des Ladens: Richtet sich nach der Gesundheit des 74 Jahre alten Inhabers

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Solche Geschichten erzählt Stenzel besonders gerne, denn er war es auch, der Teile der alten Ladeneinrichtung vor dem Sperrmüll rettete. Dabei war er damals nur ein Angestellter im Salon Harry, aber der Chef ließ ihn gewähren. Vier Friseurstühle, ein Waschbecken und zwei alte Spiegel blieben so von der ursprünglichen Ladeneinrichtung erhalten. Frisiert wird jetzt im Keller nicht mehr. Die Zeiten, in denen sich hier unten Kiez-Größen für bis zu 100 Mark die Minipli, also eine Dauerwelle mit sehr kleinen Locken, machen ließen, sind lange vorbei.

Zu den Stammkunden gehörte der „Schöne Mischa“ ebenso wie Walter „Beatle“ Vogeler, sagt Stenzels Lebensgefährtin Ute Bickeleit, die mit ihm zusammen im Salon arbeitet. Beide Kiez-Größen, die zur sogenannten GMBH-Bande gehörten, sind bereits tot. Andere haben den Absprung aus dem Milieu geschafft, gehen heute bürgerlichen Geschäften nach und lassen sich noch immer bei Franz Stenzel frisieren.

Bundeskanzler Willy Brandt half dem Friseurmeister

Nur der Zufall hat Stenzel nach Hamburg und in diesen Salon geführt. Er war der letzte der fünf Brüder, der sein Glück in Deutschland versuchen wollte. 1974 kam er von Danzig nach Bonn, den Meisterbrief als Friseur hatte er bereits in der Tasche. Bundeskanzler Willy Brandt hatte eine Ausreiseregelung für Deutschstämmige durchgesetzt. „Schon als Kind wollte ich Friseur werden, mit wenig Handwerkszeug kann man viel gestalten“, sagt Stenzel.

Die Wahl fiel zunächst auf Bonn, weil in der Nähe einer seiner Brüder lebte. Im Bundeshaus schnitt er Politikern und Prominenten wie Peter Glotz oder Frank Elstner die Haare. Aber das Klima im Rheinland gefiel ihm nicht. „Zu wenig Wind und Wasser“, sagt er. Mit seiner damaligen Frau machte er dann Urlaub in Travemünde und wollte sich in Kiel umsehen. Doch er verpasste die Autobahnabfahrt, landete in Hamburg.

Er war sofort begeistert von Hamburg

Er war so begeistert, dass er hier bleiben wollte. „Die Alster, die Elbe, die gesamte Stadt, da wusste ich, hier wollte ich leben“, sagt Stenzel. „Erst Jahre später war ich dann mal in Kiel und merkte schnell, dass ich die richtige Wahl getroffen habe.“ Der erste Job war bei einem Friseur im Hauptbahnhof. Dort wurde er von Harry Woldert, der damals den Salon Harry betrieb, abgeworben. „Er bot mir 300 Mark mehr im Monat, das war ein Wort“, sagt Stenzel. So kam er 1978 in den Salon Harry, den er zehn Jahre später selbst übernahm. „Ich bin der vierte Besitzer in dem 1906 gegründeten Geschäft“, sagt Stenzel.

Zeitdokument: Ende 1961 waren die Beatles im Salon Harry.
Zeitdokument: Ende 1961 waren die Beatles im Salon Harry. © Michael Rauhe

Die Kunden werden immer wieder von der Einrichtung ins Geschäft gezogen. „Touristen sagen, so etwas kennen sie aus ihrer Heimat nicht mehr. Sie sind begeistert und genießen das Ambiente“, so Stenzel. Wenn er dann laut über die Renovierung des Geschäfts nachdenkt, reagieren die Kunden allergisch. Alles soll so bleiben, wie es ist. „Die Kundschaft reicht vom Millionär bis zum Hausmeister“, sagt Ute Bickeleit.

Uwe Seeler schaute oft vorbei

Inzwischen ist er auch ein Promifriseur. Zwei dicke Gästebücher hat er. „Das hatte ich in Bonn noch nicht, weil ich nur angestellt war“, sagt Stenzel. Obwohl er auch dort schon berühmte Kunden hatte wie Dieter Thomas Heck oder den Versandhauskaufmann und Dressurreiter Josef Neckermann. Manchmal wird er auch etwas wehmütig, wenn er die Seiten des Gästebuches durchblättert. „Viele sind schon gestorben“, sagt er. Kiez-König Willi Bartels kam ebenso regelmäßig wie Gastronom Rüdiger Kowalke. Doch Stenzel freut sich, wenn inzwischen Sohn und Enkel von Rüdiger Kowalke auf den Friseurstühlen Platz nehmen oder auch die Enkel von Bartels. Uwe Seeler schaut nur noch gelegentlich vorbei. Zu den Kunden gehören auch Ex-Fußballer und -Trainer vom FC St. Pauli wie Thomas Meggle und Ewald Lienen. Conny Littmann kommt ebenso vorbei wie Tim Mälzer.

Bei allen großen Namen ist das Geschäft schwieriger geworden. Stenzel hat die Zahl der Mitarbeiter reduziert. Personal sei ohnehin schwer zu bekommen, sagt er. Er betreibt den Salon allein mit seiner Lebensgefährtin. Es gibt nun 13 Friseure rund um die Reeperbahn, früher waren es nur fünf. „Vor dem Geschäft fehlen Parkplätze“, sagt Bickeleit. Viele alteingesessene Geschäfte müssen wegen rückläufiger Umsätze und steigender Mieten aufgeben. „Wir haben zum Glück einen Vermieter, der sich an der Leistungsfähigkeit unseres Geschäfts orientiert“, sagt Stenzel. Deshalb will er auch so lange weiter arbeiten „wie es meine Gesundheit hergibt“.