Die Krisenländer im Euroraum, die EZB und andere Hilfsgeber kämpfen weiter gegen die Eurokrise. Doch wie sehen die Perspektiven aus?
Frankfurt/Main. Die Rettungsbemühungen um den Erhalt der Eurozone gehen in eine weiter Runde: Spanien verhandelt Insidern zufolge hinter den Kulissen über die Bedingungen für ein europäisches Hilfspaket, Griechenland wirbt um mehr Zeit, um seine Reformvorgaben erfüllen zu können – und die Europäische Zentralbank (EZB) bereitet sich auf neue Einsätze an den Anleihemärkten vor.
Madrid habe einen Hilfsantrag aber eigentlich gar nicht nötig, zeigt sich Norbert Walter, der ehemalige Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, zuversichtlich. „Spanien hat bereits seit mehreren Jahren ernstzunehmende Reformen auf den Weg gebracht. Die Wirkungen sind beeindruckend.“ Die Fortschritte würden von Investoren aber ignoriert .
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Anders ist die Lage in Griechenland. Das Land hängt seit Jahren am internationalen Finanztropf. Nun rückt ein wichtiger Stichtag näher: Die Troika aus Europäischer Union, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) will in den kommenden Wochen ihren Bericht zu den Spar- und Reformfortschritten vorlegen. Vom Ergebnis hängt ab, ob Athen weitere Gelder bekommt oder endgültig kollabiert und womöglich sogar die Eurozone verlassen muss.
Am Freitag besuchte Griechenlands Ministerpräsident Antonis Samaras Bundeskanzlerin Angela Merkel, um für einen zeitlichen Aufschub zu werben, am Samstag wird er mit dieser Bitte beim französischen Präsidenten Francois Hollande vorstellig. „Ein möglicher Nachverhandlungsspielraum besteht“, schätzt Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise. „Insbesondere da die Neuverschuldung des Zentralstaates im bisherigen Jahresverlauf tendenziell etwas niedriger war als geplant.“
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Was sagen Ökonomen zu den Perspektiven der beiden hoch verschuldeten Länder? Es folgt ein Überblick mit den Meinungen von drei renommierten Experten:
Michael Heise, Chef-Volkswirt der Allianz
„Die Probleme im spanischen Bankensektor sind mit den von der Eurogruppe zugesagten bis zu 100 Milliarden Euro Hilfe zu bewältigen. Fraglich ist jedoch, ob die Kapazitäten des Staates für die Unterstützung der Regionen ausreichen, wenn zudem die Finanzmärkte die staatlichen Finanzierungskosten nach oben treiben. Damit das Land ohne über die 100 Milliarden Euro hinausgehende Hilfe auskommt, ist es wichtig, dass das Land den entschlossenen Reformkurs fortsetzt.“
„Der Verbleib Griechenlands im Euro-Raum erscheint nach wie vor wahrscheinlicher als ein 'Grexit', auch wenn letzterer als Risiko deutlich zugenommen hat. Wir halten Griechenlands Verbleib im Euro-Raum unter Abwägung aller Aspekte für die bessere Lösung für alle Beteiligten. Eine weitere Streckung der Rückzahlungsverpflichtungen von Hilfskrediten sollte nur unter der Voraussetzung zugestanden werden, dass ausgebliebene Strukturreformen glaubhaft in Gang gesetzt werden.“
Jörg Krämer, Chef-Volkswirt der Commerzbank
„Wenn Spanien nicht um einen klassischen ESM-Kredit, sondern um Kreditlinien oder Sekundärmarktkäufe bittet, dann müsste es nur die meist laxen Auflagen der EU zum Abbau übermäßiger Haushaltsdefizite und makroökonomischer Ungleichgewichte erfüllen. Draghis Plan wird nicht aufgehen, die Peripherieländer dadurch auf den Weg der Tugend zu zwingen, dass er EZB-Anleihekäufe an Auflagen des ESM knüpft.“
„Ich glaube eher nicht, dass die Troika Griechenland bereits jetzt neues Geld verweigert. Aber bis zum Frühjahr nächsten Jahres bleibt der Staatengemeinschaft wegen der Reformverweigerung der Griechen wohl nichts anderes übrig. Ohne Geld von außen bräche die griechische Wirtschaft rasch zusammen. In dem dann entstehenden ökonomischen Chaos würden die Griechen wohl von selbst die Zwangsjacke des Euro abstreifen und sich mit einer schwachen Drachme aus dem Schlamassel herausarbeiten.“
Norbert Walter, Volkswirt
„Ich hielte es für besser statt der Sonderhilfe für den spanischen Finanzsektor einen Hilfsantrag Spaniens und eine entsprechende umfassende Konditionierung der Hilfe für Spanien zu bekommen. Sonderlösungen werden immer als Nachgiebigkeit interpretiert und erzeugen nicht das notwendige Vertrauen.“
„Griechenland ist das am umfassendsten in einer Strukturkrise steckende Land. Ohne Schuldenschnitte und Zinssubvention kommt es nicht wieder auf die Beine. Aber das reicht nicht: Es bedarf der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft zu passender technischer Hilfe für Griechenland und der griechischen Bereitschaft diese Hilfe zu begrüßen und zu nutzen. Es gibt eine 75-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland im Euro bleibt.“