Der griechische Regierungschef fordert mehr Zeit zur Umsetzung von Reformen. „Wir fordern kein zusätzliches Geld“, betonte er. „Mehr Zeit bedeutet nicht automatisch mehr Geld.“
Athen. Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker wird am (heutigen) Mittwoch zu Gesprächen mit dem griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras in Athen erwartet. Dabei werde es vor allem um die notwendigen Kürzungen in dem schuldengeplagten Land sowie um einen Sanierungsplan der Regierung gehen, teilte Junckers Büro am Dienstag mit. Ergebnisse des Treffens sollen demnach am Abend um 19 Uhr (Ortszeit) bekannt gegeben werden. Auch ein Treffen Junckers mit dem griechischen Finanzminister Yannis Stournaras sei geplant, hieß es.
Die Troika mit Vertretern der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds soll im September ihren neuen Bericht zur Situation in Griechenland fertigstellen. Seit Wochen gibt es Gerüchte, dass die Experten der Regierung in Athen ein verheerendes Zeugnis ausstellen könnten.
+++ Samaras will mit Charmeoffensive mehr Zeit kaufen +++
Samaras fordert vor seinem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr Zeit für die mit der EU vereinbarten Reformen. „Alles, was wir wollen ist ein wenig 'Luft zum Atmen', um die Wirtschaft rasch in Gang zu bringen und die Staatseinnahmen zu erhöhen“, sagte der Regierungschef in einem Interview der „Bild“-Zeitung laut Vorabbericht aus der Mittwochausgabe. „Wir fordern kein zusätzliches Geld“, betonte er. „Mehr Zeit bedeutet nicht automatisch mehr Geld.“ Samaras kommt am Freitag nach Berlin, einen Tag zuvor berät Merkel mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande über die Schuldenkrise.
Der konservative Politiker warnte zugleich vor Unruhen in seinem Land, sollte es die Euro-Zone verlassen und zur Drachme zurückkehren. „Ein Alptraum für Griechenland: wirtschaftlicher Kollaps, soziale Unruhen und eine nie dagewesene Krise der Demokratie“, sagte er. Dann drohe seinem Land ein Schicksal wie in der Weimarer Republik, nach der die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Nach seinen Worten ist nach einem Euro-Ende mit einer Arbeitslosigkeit von mehr as 40 Prozent zu rechnen, mit fünf weiteren Rezessionsjahren und einem drastischen Rückgang des Lebensstandards. „Welche Gesellschaft, welche Demokratie könnte das überleben“, fragte er.
Einem hochrangigen Vertreter des griechischen Finanzministeriums zufolge muss die Regierung in Athen in den kommenden beiden Jahren jedoch mehr Geld auftreiben als bislang gerechnet. Der Staat müsse weitere zwei Milliarden Euro einsparen oder zusätzlich zusammenbekommen, um die mit seinen Geldgebern im Gegenzug für die Hilfe vereinbarten Ziele zu erreichen, sagte der Vertreter der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag. Wegen der schlechten Wirtschaftslage und schleppender Steuereinnahmen seien insgesamt 13,5 Milliarden Euro nötig, damit netto der verabredete Effekt von 11,5 Milliarden Euro erreicht werde.
Samaras will mit Sparzusage mehr Zeit kaufen
Bei seiner Besuchsdiplomatie in Berlin und Paris fährt Antonis Samaras eine gewagte Doppelstrategie: Zunächst muss der Ministerpräsident den von den Geldgebern ungeduldig eingeforderten Sparplan liefern. Im Gegenzug will er mehr Zeit zur Umsetzung der Reformen erkaufen: „Oberste Priorität hat, dass wir Glaubwürdigkeit durch entschiedenes Handel wiedergewinnen“, heißt es in Athener Regierungskreisen.
Die Zeit drängt. Samaras muss noch vor der Inspektionsreise der Troika aus EU, IWF und EZB im September die versprochenen Einsparungen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro gegen Widerstand im eigenen Land durchboxen, ansonsten drohen die Kreditgeber den Geldhahn des von der Pleite bedrohten Landes endgültig zuzudrehen. Doch bei den bereits im März in Aussicht gestellten Privatisierungen von Staatsunternehmen und der Verwertung des öffentlichen Vermögens hakt es gewaltig. Zugleich muss der konservative Regierungschef den Zorn der Straße fürchten, sollte er mit Lohn- und Rentenkürzungen ernstmachen und zudem Pläne zur Entlassung von 40.000 Staatsbediensteten angehen.
Bislang stocken die Initiativen, den personell üppig ausgestatteten Staatsapparat in dem Ägäis-Staat zurückzustutzen. Nach Berechnungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) wurden 2011 statt einer immer noch zwei von fünf frei werdenden Stellen wiederbesetzt. In der Kommunalverwaltung steigt sogar die Beschäftigtenzahl. Angesichts dieser halbherzigen Reformschritte wächst die Ungeduld mit Hellas unter den Gläubigern. Dennoch will Samaras das Kunststück fertigbringen, von ihnen mehr Zeit für Reformen zu ertrotzen. Er steht dafür bei seinen Wählern im Wort. Vor den Wahlen am 17. Juni hatte er sich dafür stark gemacht, das Defizitziel von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erst 2016 und nicht wie mit den Gläubigern vereinbart 2014 zu erreichen.
Samaras und sein Finanzminister Yannis Stournaras setzen dabei auf ein vermeintliches Schlupfloch, das sich in einer Klausel der Vereinbarung zum zweiten Rettungspaket im Volumen von 130 Milliarden Euro verbirgt: Darin heißt es, die Frist zur Umsetzung der Reformen könne verlängert werden, falls die Rezession tiefer als erwartet ausfällt. Die konjunkturelle Durststrecke in Hellas ist in der Tat die längste und härteste, die die Griechen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges durchmachen mussten. Die Finanzierungslücke dürfte daher noch größer als bislang angenommen sein, wie „Der Spiegel“ von der Gläubigertroika erfahren haben will. Unter anderem wegen der wegbrechenden Steuereinnahmen beträgt der Fehlbetrag demnach nicht 11,5 Milliarden Euro, sondern bis zu 14 Milliarden Euro.
Vor diesem Hintergrund mutet der griechische Wunsch, die Reformen noch länger zu strecken, eigentlich illusorisch an. Denn eine Verlängerung verursacht zusätzliche Kosten. Die „Financial Times“ berichtete jüngst unter Berufung auf Regierungsdokumente in Athen, Samaras veranschlage die Mehrkosten auf 20 Milliarden Euro. Die wolle der Regierungschef jedoch ohne direkte Hilfe der Europartner aufbringen: Die Finanzierung könnte über die Ausgabe von Geldmarktpapieren, das Anzapfen einer IWF-Kreditlinie sowie eine verspätete Rückzahlung von Geldern aus dem ersten Rettungspaket aus dem Jahr 2010 gelingen.
Mit Material von rtr