Finanzloch in Athen fast drei Milliarden größer als gedacht. Deutschland lehnt weiteres Hilfspaket ab. Intensive Reisediplomatie startet.
Berlin. Ein ungleiches Paar sitzt da am Sonnabend auf der Bühne im sommerfestlich geschmückten Innenhof des Bundesfinanzministeriums in Berlin. Und die beiden Ungleichen wollen Europas vielleicht größtes Problem diskutieren: Links die mittlerweile 77 Jahre alte griechische Schlagersängerin Nana Mouskouri mit ihrem Markenzeichen, der großen schwarz umrandeten Brille. Und rechts der badische Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, nur ausnahmsweise und witterungsbedingt im leichten Sommerhemd.
Mouskouri, die griechische Patriotin, und Schäuble, Hüter der deutschen Finanzen - die beiden sind am Tag der offenen Tür der Bundesregierung im schönsten Berliner Spätsommer zusammengekommen, um über die Euro-Krise zu reden. Eine Konstellation, die durchaus Sprengstoff birgt. Denn es ist nicht so, dass der Schlagerstar Nana Mouskouri ("Weiße Rosen aus Athen") kein politisches Anliegen hätte: Mouskouri, das wissen wenige, saß von 1994 bis 1999 für die griechische Nea Dimokratia im Europaparlament.
Das Gespräch entpuppt sich aber vor allem als ein Treffen von Idealismus und Pragmatismus: Bei Mouskouri, das wird schnell klar, klingt Politik - anders als bei Schäuble - immer ein wenig nach Lyrik und großen Ideen: "Griechenland hat viele Probleme überlebt und sie immer mit Mut und Kraft und Leiden akzeptiert", berichtet die Sängerin: "Ich habe Hoffnung, dass das Land auch diese Schwierigkeit überlebt."
+++ Staatspleite droht – "Müssen unter Euro-Schirm bleiben" +++
Sicher ist das aber keineswegs. Denn für Griechenland geht der Kampf um die Abwendung der Staatspleite und den Verbleib in der Euro-Zone in dieser Woche in die Endrunde. Gestern schon reiste der griechische Außenminister Dimitris Avramopoulos nach Berlin ab. Er wollte das in Athen als außerordentlich wichtig eingestufte Treffen von Regierungschef Antonis Samaras mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag vorbereiten. In der griechischen Presse wurde betont, Samaras' Reise werde entscheidend für den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone sein. Die Athener Sonntagszeitung "To Vima" schrieb von der "Agonie-Reise" (Todeskampf-Reise) nach Berlin.
Finanzminister Ioannis Stournaras machte keinen Hehl daraus, was den Griechen bevorsteht: weitere schmerzhafte Einsparungen. "Wir müssen unter dem (Euro-)Schirm bleiben", zitierte die Zeitung den Finanzminister. "Nur das wird uns vor einer Armut bewahren, die wir noch nie erlebt haben", sagte der Minister dem Blatt weiter.
Aus Kreisen des griechischen Finanzministeriums verlautete, das neue, gut 11,5 Milliarden Euro schwere Sparpaket sei fast unter Dach und Fach. Es soll Anfang der Woche von den Chefs der drei Koalitionsparteien gebilligt werden. Nach Informationen des "Spiegels" ist die Finanzierungslücke aber noch größer als zuletzt bekannt. Der Regierung fehlten in den beiden kommenden Jahren nicht wie bislang eingeräumt 11,5 Milliarden Euro, sondern bis zu 14 Milliarden Euro. Das sei das Ergebnis der jüngsten Erkundungstour der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds in Athen.
Laut "Welt am Sonntag" dringt Frankreich zusammen mit anderen südeuropäischen Ländern darauf, Athen notfalls neue Hilfen zu gewähren, um ein Ausscheiden des Landes aus der Währungsunion zu vermeiden. Die Bundesregierung lehnt aber ein drittes Rettungspaket ab und wird in dieser Haltung nach Angaben der "Welt am Sonntag" auch von Staaten wie Finnland, Estland und der Slowakei unterstützt. "Natürlich können wir den Griechen helfen, aber wir können nicht verantworten, Geld in ein Fass ohne Boden zu werfen", sagte Schäuble.
Nach Einschätzung von Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker gibt es allerdings keinen Grund zu der Annahme, dass es zu einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone kommen könnte. "Es wird nicht passieren. Es sei denn, Griechenland verletzt alle Auflagen und hielte sich an keine Vereinbarung", sagte er der "Tiroler Tageszeitung". Ein griechischer Euro-Austritt sei zwar "technisch gestaltbar", politisch aber nicht. Laut "Welt am Sonntag" wappnet sich die Euro-Zone aber für genau diesen Fall. Der dauerhafte Rettungsschirm ESM könnte demnach in einer Allianz mit der Europäischen Zentralbank (EZB) Staatsanleihen von Italien und Spanien kaufen und diese Länder so stützen. Bei Irland und Portugal werde geprüft, ob die laufenden Rettungsprogramme aufgestockt werden müssten, um die Staaten vor den Auswirkungen einer Griechenland-Pleite zu schützen. Bevor der ESM eingesetzt werden kann, muss jedoch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 12. September abgewartet werden. In den nächsten Tagen und Wochen wird es für Griechenland nun Schlag auf Schlag gehen. Am 22. August will sich Juncker in Athen persönlich ein Bild vom Sparprogramm machen. Am 23. August werden sich in Berlin der französische Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen. In Athen geht man davon aus, dass es auch um die Lage in Griechenland gehen wird. Und dass Hollande sich für mehr Verständnis für die griechischen Probleme einsetzen werde. Einen Tag danach ist Samaras in Berlin bei Merkel. Schließlich wird Samaras am 25. August nach Paris zu Hollande reisen.
Samaras will in Berlin und Paris etwas versprechen und auch etwas fordern: Er will die Sparzusagen einhalten, aber mehr Zeit dafür bekommen. Mit einer Arbeitslosigkeit von über 23 Prozent und einer Wirtschaftsleistung, die in vier Jahren um mehr als 20 Prozent geschrumpft ist, könne man nicht wirtschaften. Nicht wirtschaften könne man auch nicht, solange diese "Kakofonie vor allem aus Deutschland weitergeht, bei der jeden Tag aus innenpolitischen Gründen die Katastrophe für Griechenland herbeigeredet wird", hieß es aus Kreisen des Finanzministeriums.
Am 3. September kommen die Chefs der Geldgeber-Troika nach Athen. Von ihrem Bericht hängt ab, wie es mit Griechenland weitergeht. Erste Signale könnte es am 14. September beim Treffen der Eurogruppe auf Zypern und nach dem nächsten Eurogruppen-Treffen am 8. Oktober geben. In Athen geht man davon aus, dass bis spätestens 18. und 19. Oktober Klarheit über das Schicksal Griechenlands herrschen wird. Dann wird der nächste EU-Gipfel stattfinden.