Tausende Mitarbeiter protestieren. Doch der Vorstand will weiterhin die Reifenwerke in Hannover und Clairoix schließen. Bildergalerie: Aufgeheizte Stimmung unter Conti-Protestlern.

Hannover. Diese Hauptversammlung sollte eigentlich ihr großer Tag werden - die offizielle Machtübernahme von Maria-Elisabeth Schaeffler beim Continental-Konzern in Hannover. Doch Kursverfall, Wirtschaftkrise und Milliardenschulden haben die Großaktionärin längst zur Getriebenen gemacht.

So gab gestern nicht die feine Dame aus dem Süden den Ton an. Vielmehr mahnte Conti-Chef Karl-Thomas Neumann in einem dramatischen Appell binnen 100 Tagen ein "tragfähiges Zukunftskonzept" an und erhöhte einmal mehr den Druck auf die Mittelständlerin aus Herzogenaurach. Ohne grundlegende Weichenstellungen sei der Handlungsspielraum von Conti sehr eingeschränkt, bis hin zu "starken Lähmungserscheinungen".

Auch die übrigen Aktionärsvertreter griffen Schaeffler hart als "egoistisch", "selbstherrlich" und "verantwortungslos" an. Vorsichtiger in der Wortwahl, aber inhaltlich genauso scharf warnte der Vorstandschef Neumann vor Egoismus und forderte, "Partikularinteressen hintan zu stellen", um die Existenz des Konzerns mit weltweit 133 000 Beschäftigten nicht zu gefährden.

Der mittelständische Maschinenbauer Schaeffler hatte sich im vergangenen Jahr bei der auf Pump finanzierten Übernahme des dreimal größeren Continental-Konzerns überhoben. Die hoch verschuldete Gruppe bittet mittlerweile um Staatshilfen und arbeitet seit Monaten an einem Zukunftskonzept. Nicht nur Schaeffler, auch Conti sitzt wegen der Milliardenübernahme von Siemens VDO auf einem riesigen Schuldenberg von jeweils zehn Milliarden Euro. Für beide Unternehmen ist eine Lösung dringend nötig.

Neumann nennt für eine mögliche Lösung mehrere Optionen: Verkauf der Reifensparte, Kapitalerhöhung oder Ablösung von Krediten durch neue Kredite. Für den Vorstandschef bleibt zum Ärger der Beschäftigten jedoch auch die Schließung von Reifenwerken am Stammsitz Hannover sowie im nordfranzösischen Clairoix alternativlos. "Unser Haus ist zu groß. Wir müssen unsere Kapazitäten an den tatsächlichen Bedarf der kommenden Jahre anpassen." Von den Schließungen wären insgesamt rund 1900 Beschäftigte betroffen - davon 700 in Hannover.

Neumanns energisches Auftreten wurde auch durch die niedersächsische Landesregierung flankiert. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) übernahm wörtlich seine Warnung vor Partikularinteressen und forderte ebenfalls in maximal 100 Tagen ein "tragfähiges Zukunftskonzept".

Unterdessen wird über die Fusion der beiden Unternehmen neu spekuliert: Nach Informationen der "Hannoverschen Allgemeine" favorisieren Banken und Politik derzeit eine Fusion der Gruppe unter Führung von Conti statt unter Schaeffler. Bei dieser Lösung würden der Familie Schaeffler lediglich bis zu 25 Prozent der Anteile verbleiben.

Dass die Conti ihrerseits alles tun werde, um auch in der Krise die nötigen Gewinne zur Bedienung von zehn Milliarden Euro Schulden zu machen, daran ließ Neumann keinen Zweifel. Rund 14 000 Beschäftigte hat der Konzern seit Beginn der Krise bereits abgebaut. Und weil er von einer nachhaltigen Erholung der Märkte auf das Niveau von 2007 erst in fünf Jahren ausgeht, werden weitere Entlassungen folgen: "Das Haus Conti muss kleiner werden auch über Restrukturierungen."

Solche klaren Botschaften beeindrucken zwar die Börsen, aber sie mobilisieren auch die Betroffenen. 1200 Conti-Mitarbeiter waren aus Clairoix mit dem Sonderzug angereist. Krawalle blieben aus, auch Reifen wurden, wie von der Polizei auf Flugblättern gewünscht, nicht verbrannt. Dafür beschimpften die Mitarbeiter den Conti-Vorstand als "kriminelle Bande": "Wer den Arbeitnehmern den Stuhl vor die Tür stellt, der muss sich auf eine Eiszeit einrichten."


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