Politiker und Experten kritisieren die Rating-Drohung von Standard & Poor's. Auch der europäische Rettungsfonds gerät unter Druck.
Hamburg. Mit der Drohung, die Bonitätsnoten praktisch aller Euro-Länder herabzustufen, hat die US-Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P) scharfe Kritik auf sich gezogen. Dieser Schritt sei "maßlos überzogen und auch ungerecht", sagte der Chef der Euro-Gruppe, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, im Deutschlandfunk. Die Drohung sei ein "Keulenschlag" für alle Staaten, die sich bemühten, ihre Haushaltsdefizite zu senken.
Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück warf den Bonitätswächtern unverantwortliches Handeln vor. "Es kann nicht sein, dass das Wohl und Wehe der europäischen Staaten von der Daumenhaltung demokratisch nicht legitimierter Rating-Agenturen abhängig gemacht wird", sagte der SPD-Politiker. Am Montagabend hatte S&P entschieden, die Einstufung der Kreditwürdigkeit von 13 Euro-Ländern innerhalb der nächsten 90 Tage zu überprüfen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Verschlechterung der Note liege jeweils bei mindestens 50 Prozent. Damit ist auch Deutschlands Bestnote akut gefährdet, ebenso das AAA weiterer fünf Euro-Länder. Von der Überprüfung ausgenommen sind nur Griechenland, dessen Bonität ohnehin aktuell die schlechteste der Welt ist, und Zypern, dessen Kreditwürdigkeit bereits überprüft wird. Das Abendblatt erklärt Hintergründe und mögliche Auswirkungen der S&P-Ankündigung.
+++ HIntergrund: Ratingagenturen sollen reguliert werden +++
+++ Jean-Claude Juncker: Ankündigung von Standard & Poor’s ein "Keulenschlag" +++
Wie begründet S&P die drastische Warnung an die komplette Euro-Zone?
Der "systemische Stress" in der Euro-Zone habe in den vergangenen Wochen zugenommen und ein Niveau erreicht, das eine Überprüfung der Bonitätseinstufungen der kompletten Währungsunion rechfertige, hieß es von der Agentur. Konkret führt sie unter anderem den Anstieg der Renditen von Staatsanleihen etlicher Euro-Länder an - sogar solcher mit AAA-Einstufung. Zudem liege die Wahrscheinlichkeit für eine Rezession in der Euro-Zone im nächsten Jahr bei 40 Prozent.
Explizit geht S&P auch auf den Zeitpunkt der Ankündigung ein: Am kommenden Wochenende treffen sich abermals die EU-Staats- und Regierungschefs. Nach einer Phase offener Meinungsverschiedenheiten werden Beschlüsse zur Eindämmung der Schuldenkrise erwartet. "Wir glauben, dass der Krisengipfel eine ganz maßgebliche Chance ist, diesen Prozess umzukehren", sagte der Europa-Chefanalyst von S&P, Moritz Kraemer, im "ARD-Morgenmagazin".
Welche Länder sind jetzt besonders von einer Herabstufung gefährdet?
Das lässt sich schon an der Ankündigung von S&P ablesen: Nach Angaben der Agentur könnten die Einstufungen von Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Irland, Slowenien, Slowakei, Estland und Malta sogar um bis zu zwei Noten gesenkt werden, sofern es zu Veränderungen kommt. Deutschland droht somit allenfalls eine Herabstufung um eine Note. Frankreich jedoch sieht sich mit Blick auf die gefährdete Bestnote selbst ganz besonders im Fokus: "Wir wissen, dass wir uns mehr anstrengen müssen als andere, das steht fest", sagte Außenminister Alain Juppe dem Radiosender RTL.
Steigen nun die Zinsen der deutschen Staatsanleihen?
Am Anleihemarkt hatte die S&P-Mitteilung gestern kaum Auswirkungen, die Rendite italienischer Papiere sank sogar. Ohnehin folgen die Renditen nicht immer der Rating-Logik: Obwohl die USA von S&P um eine Note schlechter bewertet werden als Deutschland, liegt derzeit die Rendite von US-Anleihen spürbar niedriger als die der entsprechenden Bundesanleihen. "Japan und die USA haben ihre Bestnote von AAA bereits verloren, ohne dass dies zu ernsthaften Problemen geführt hätte", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Wie berechtigt ist die teils heftige Kritik an der Rating-Agentur S&P?
"Es hilft wenig, dem Überbringer der schlechten Nachricht mit Enthauptung zu drohen", sagte Kai Carstensen, Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts. "Es muss doch allen klar sein, dass irgendwann auch das Rating Deutschlands gefährdet ist, wenn die Bundesrepublik in großem Maße Verpflichtungen im Rahmen der Rettungspakete übernimmt."
Ähnlich argumentiert der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel. Die Ankündigung von S&P sei "völlig überflüssig" und enthalte - so wie auch viele Urteile der Wettbewerber Moody's und Fitch - keine neuen Informationen: "Die Anleger sind zum Teil klüger als die Rating-Agenturen", sagte Hickel. "Deren Ländereinstufungen sollte man einfach nicht mehr ernst nehmen", rät der Experte.
Muss jetzt endlich eine europäische Rating-Agentur kommen?
"Das ist ein sehr enger Markt und insofern hätte ich nichts dagegen, wenn ein weiterer Wettbewerber hinzukäme", sagte Carstensen. Man solle sich allerdings auch nicht zu viel davon versprechen, zumal ein Bonitätswächter, der in Verdacht geraten könne, unter staatlichem Einfluss zu stehen, nicht glaubwürdig sei. EU-Politiker wie auch Gewerkschafter hatten in den vergangenen Monaten die Gründung einer Rating-Agentur, die an die Europäische Zentralbank angebunden sein könne, gefordert. "Eine solche Agentur würde aber an den Märkten nicht ernst genommen", vermutet Hickel.
Viel wichtiger wäre es nach seiner Auffassung, endlich eine Haftung für die Folgen von Fehleinschätzungen der bestehenden Rating-Agenturen gesetzlich zu verankern.