Im August 2012 geht der JadeWeserPort in Betrieb. Die Reedereien großer Schiffe setzen auf den neuen Hafen in Wilhelmshaven.
Wilhelmshaven. Der neue Hafen ist verschwunden. Dichte Nebelschwaden ziehen über den JadeWeserPort in Wilhelmshaven und verschlucken jedes Licht auf der gigantischen Baustelle. Minutenlang geht die Fahrt im Minibus über leere, asphaltierte Flächen, dann zeichnet sich die neue Kaimauer ab. Ein schwarzer, wagenradgroßer Poller taucht auf, dann noch einer und noch einer.
"Unsere 1,7 Kilometer lange Kaje ist komplett fertig", sagt Axel Kluth und deutet mit der Hand ins Nichts. Der hagere Geschäftsführer der JadeWeserPort Realisierungsgesellschaft ist mit seiner grellgelben Sicherheitsweste der einzige Farbtupfer im Grau dieses November-Tages. Ein wenig enttäuscht ist er, dass der Nebel heute die wahren Ausmaße des neuen Hafens verschleiert. Doch dies nimmt dem Diplomingenieur, der schon für den Bau des Berliner Hauptbahnhofs verantwortlich war, nichts von seiner Ruhe und Selbstsicherheit. "Die ersten Schiffe können im August nächsten Jahres kommen."
Die größten Containerfrachter der Welt sollen von 2012 an in Wilhelmshaven festmachen. Die "Emma Maersk" könnte hier ihre Ladung löschen, ein Gigant mit fast 400 Meter Länge und einer Kapazität von 14 700 Standardcontainern (TEU). Aber auch die Abfertigung noch weitaus größerer Schiffe mit bis zu 23 000 Stahlboxen wäre möglich - Frachter, die heute lediglich auf den Skizzen der Schiffbauer existieren. "Wir sind für die nächste und übernächste Generation von Containerschiffen gerüstet", sagt Kluth.
Keine Hamburger Beteiligung am Jade Weser Port
Hamburg schlägt Wilhelmshaven in fast allen Bereichen
Was den JadeWeserPort so zukunftssicher macht, ist die Tiefe seines Hafenbeckens. 18 Meter geht es in die schwarzen Fluten hinab, das reicht, damit jede Art von Frachter den JadeWeserPort auch bei Niedrigwasser anlaufen kann. In Hamburg werden es selbst nach der Elbvertiefung tideunabhängig lediglich 13,50 Meter sein - viereinhalb Meter weniger, die im Kampf um die künftigen Containerströme den entscheidenden Unterschied ausmachen könnten.
Um auf die begehrte Tiefe zu kommen, haben sie in Wilhelmshaven einen enormen Aufwand getrieben. Ein Gelände von 550 Fußballfeldern haben sie mit Schwimmbaggern und Spundwänden dem Meer abgetrotzt, 46 Millionen Kubikmeter Sand aufgespült. "Das reicht, um den Pariser Eiffelturm zuzuschütten", sagt Geschäftsführer Kluth nicht ohne Stolz. "Das war eine gewaltige Materialschlacht."
Mit der Kaimauer ist die Landgewinnung abgeschlossen, was folgt, ist der Bau des eigentlichen Containerterminals. Überall auf dem Gelände ragen halb fertige Bauten in den grauen Himmel, die Kontrollzentrale entsteht gerade, auch ein Werkstattgebäude. In ihm werden künftig die Van-Carrier repariert, jene hochbeinigen Ungetüme, die die Container vom Kai zu ihren Stellplätzen an Land transportieren.
Irgendwo im Nebel rattert eine Asphaltiermaschine. Beißender Teergeruch hängt in der Luft, während Arbeiter mit roten Nasen das Gefährt auf Kurs halten. Bahn um Bahn versiegeln sie die noch offenen Flächen, auf denen später die Container lagern werden. "Die Kälte macht unsere Arbeit nicht gerade einfacher", sagt ein junger Mann mit rotblondem Bart und Stoppelhaarschnitt. "Bei diesen Temperaturen kühlt der Asphalt sehr schnell aus, wir müssen sehen, dass wir zügig vorankommen."
Schweißer Axel Hahn, ein bulliger Typ um die 50, hat sich gegen die Kälte mit dicker Jacke, Mütze und Handschuhen gewappnet. Funken sprühen aus seiner Schleifmaschine, während er das Verbindungsstück einer Schiene glättet. Auf ihr werden künftig die Containerbrücken gleiten und die Stahlboxen von den Schiffen an Land hieven. Ein wenig einsam findet Hahn seinen Job auf dem riesigen Terminal schon. "Aber hier redet mir auch keiner in die Arbeit rein", sagt der Schweißer, der gerade 22 Tage am Stück auf der Baustelle verbracht hat und sich nun auf ein paar freie Tage mit seiner Familie freut.
Trotz der großen Zuversicht der Verantwortlichen ist in den vergangenen Jahren längst nicht alles glattgelaufen auf der Megabaustelle am Jadebusen. Der Hafen werde durch "schlechte Verträge, Vergabemängel und miserables Verhandlungsmanagement" nicht nur neun Monate später eröffnet, sondern auch noch rund 100 Millionen Euro teurer als geplant", ätzten vor wenigen Wochen SPD und Grüne im niedersächsischen Landtag. Zudem sei die Hinterlandanbindung des JadeWeserPorts unzureichend.
Solche Kritik will Projektleiter Kluth nicht auf sich sitzen lassen. Die Verzögerung habe sich im Zuge der Wirtschaftskrise ergeben. "Wir haben auf die Wünsche unserer Auftraggeber Rücksicht genommen", sagt er. "Das hatte nichts mit technischen Problemen zu tun." Von Mehrkosten könne zudem keine Rede sein. Die Kosten beliefen sich nach wie vor auf eine Milliarde Euro, von denen 650 Millionen von den Ländern Bremen und Niedersachsen getragen würden und 350 Millionen vom Terminalbetreiber Eurogate. Und was die Hinterlandverbindung angehe: "Der Bahnanschluss ist fertig, die Anbindung zur Autobahn ebenfalls."
Der JadeWeserPort ist nicht zuletzt ein Prestigeprojekt, das sich Organisatoren und Landespolitiker nicht zerreden lassen wollen. 1000 neue Arbeitsplätze sollen allein auf dem Containerterminal entstehen. Dringend notwendig sind diese Jobs für Wilhelmshaven, das mit seinen gedrungenen, dunklen Backsteinbauten und streng geplanten, schnurgeraden Straßen stets ein wenig düster und abweisend wirkt. Mit 13 Prozent Arbeitslosigkeit kämpfen sie hier im nordwestlichen Zipfel der Bundesrepublik. Auch deshalb wurde die Vergabe des Projekts schon 2006 fast wie eine Erlösung gefeiert. Marzipantorte in Terminalformat gab es damals im Rathaus und Hubschrauberrundflüge über das Revier.
Ob der JadeWeserPort aber tatsächlich zu einem Aufschwung in der Region führt, hängt stark davon ab, ob die Container in Wilhelmshaven nur umgeschlagen werden oder ob Waren direkt vor Ort auch weiterverarbeitet werden. Eine eigene Gesellschaft kümmert sich daher um die Vermarktung einer Logistikfläche, die direkt an den Hafen angrenzt. Hier sollen noch einmal 1000 Arbeitsplätze entstehen.
"Das Interesse an den Grundstücken ist groß", sagt Jan Miller, Geschäftsführer der sogenannten Logistics Zone. Als erstes Unternehmen wird der Tiefkühlspezialist Nordfrost auf dem Gelände ein Lager errichten, daneben wird sich auch eine Außenstelle der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ansiedeln, die für die Kontrolle eingeführter Lebensmittel zuständig ist.
Im Februar kommenden Jahres sollen die ersten vier Containerbrücken aus China am JadeWeserPort eintreffen. Mit acht dieser Brücken wird der neue Hafen an den Start gehen, nach dem kompletten Ausbau 2013 sollen es 16 sein. Vier Liegeplätze für moderne Frachter mit bis zu 430 Meter Länge wird es dann in Wilhelmshaven geben. Die Umschlagkapazität wird bei 2,7 Millionen Standardcontainern liegen. Verglichen mit Hamburg ist diese Zahl ziemlich bescheiden, immerhin werden an der Elbe in diesem Jahr etwa neun Millionen Stahlboxen umgeschlagen. Doch längerfristig könnte sich Wilhelmshaven sehr wohl zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung für Hamburg entwickeln. Zu verlockend ist es für die Reeder, ihre Ladung unkompliziert löschen zu lassen, anstatt die lange Revierfahrt auf der Elbe in Kauf nehmen zu müssen und dabei auch noch auf die Tide zu achten.
In einer Umfrage unter Reedereien, die zwei Drittel aller Großcontainerschiffe mit mehr als 12 500 Stellplätzen auf sich vereinen, kam Hamburg als europäischer Anlaufhafen für diese Dickschiffe jüngst nur noch auf Rang drei - hinter Rotterdam und Wilhelmshaven. Aus Sicht der Schifffahrtsexperten der UniCredit Bank, die die Untersuchung in Auftrag gaben, hat dies auch mit den schleppenden Planungen für die Elbvertiefung zu tun. Nach zahlreichen Verzögerungen soll sie nun Anfang des kommenden Jahres beginnen.
"Die Reedereien haben Wilhelmshaven jetzt auf dem Zettel", sagt der Geschäftsführer des Terminalbetreibers Eurogate, Emanuel Schiffer. Derzeit befinde man sich in Vorgesprächen mit den Kunden über die künftigen Routen, endgültig festgelegt würden diese aber erst mit dem Sommerfahrplan 2012.
Ein offenes Geheimnis ist, dass vor allem die weltgrößte Reederei Maersk den JadeWeserPort ansteuern wird. Die Dänen verfügen über die gewaltigsten Schiffe und sind zudem an dem Terminal beteiligt. Nach der Vorstellung der Planer soll Wilhelmshaven vor allem zu einer Drehscheibe für den Verkehr mit Osteuropa und Skandinavien werden. Die großen Containerfrachter könnten von Asien kommend den JadeWeserPort ansteuern, dort würde ihre Ladung dann auf kleinere Feederschiffe umgeladen, die über die Ostsee Stockholm, Tallinn oder St. Petersburg ansteuern. Hamburg bliebe in diesem Szenario weitgehend außen vor.
Eurogate-Chef Schiffer will von einer Konkurrenz der beiden Häfen allerdings nichts wissen. Schließlich managt Eurogate nicht nur den JadeWeserPort, sondern ist auch der zweitgrößte Terminalbetreiber in Hamburg. "Wir haben ein großes Interesse daran, unsere Kapazitäten an der Elbe gut auszulasten", sagt Schiffer. "Wir machen doch kein Harakiri."
Demonstrativ gelassen gibt man sich im Hamburger Rathaus. Die Chance, sich neben Niedersachsen und Bremen an dem Milliardenprojekt zu beteiligen, schlug der Senat schon 2002 aus. Der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) entschied, dass Hamburger Steuergelder lieber in den eigenen Hafen gesteckt werden sollte. Auch unter dem jetzigen SPD-geführten Senat hat sich an der Position wenig geändert. "Eine Beteiligung Hamburgs am Tiefwasserhafen Wilhelmshaven ist zurzeit nicht vorgesehen", sagt Wirtschaftssenator Frank Horch. "Selbstverständlich werden wir aber die Fortschritte verfolgen und den Eintritt des JadeWeserPorts in den Markt analysieren."
In Wilhelmshaven denkt Projektleiter Kluth schon mal über Erweiterungsmöglichkeiten für den neuen Hafen nach. Der Geschäftsführer steht jetzt am nördlichen Ende der 1,7 Kilometer langen Kaimauer, wo gerade ein zusätzlicher kleiner Hafen für die Schlepper entsteht. "Wir könnten die Kaje auf bis zu sieben Kilometer erweitern", sagt Kluth und zeigt mit der Hand einmal mehr in den dichten Nebel. Das würde dann ausreichen, um mit der Umschlagkapazität deutlich näher an Hamburg heranzurücken.