Wirtschaftssenator Ian Karan ist verärgert, weil Niedersachsen die Entscheidung bis nach der Kommunalwahl verschieben könnte.

Hamburg. Der bevorstehende Kommunalwahlkampf in Niedersachsen könnte die umstrittene Elbvertiefung erneut verzögern. Mit einem Einvernehmen des Landes zu dem 380-Millionen-Euro-Projekt könne erst nach der Wahl im September 2011 gerechnet werden, heißt es sinngemäß in einem Gesprächsprotokoll aus der Hamburger Wirtschaftsbehörde, das dem Abendblatt jetzt zugespielt worden ist. Danach haben der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, und der Hamburger Wirtschafts-Staatsrat Peter Wenzel (beide CDU) am 24. November über das Thema gesprochen. Dass ein solches Gespräch stattgefunden hat, wird von der Wirtschaftsbehörde inzwischen bestätigt.

Danach soll Ferlemann dem Hamburger Parteifreund mitgeteilt haben, dass aus „politischen Gründen“ die notwendige Einvernehmenserteilung durch Niedersachsen erst nach der Wahl realistisch sei. Voraussichtlich im Oktober oder November. Danach könne das Verfahren aber „so schnell wie möglich“ abgeschlossen werden.

Die Folge von einem solchen Zeitplan aber wäre, dass sich die von der Hamburger Hafenwirtschaft und Reedereien seit Jahren geforderte Vertiefung erneut um etwa fünf Monate verzögern würde.

Bisher gingen die Planungsbehörden davon aus, dass nun Ende 2011 mit den Baggerarbeiten begonnen werden kann. In den nächsten Tagen sollen dazu die Plan-Unterlagen zur Stellungnahme an die EU geschickt werden, heißt es bei der Wasser- und Schifffahrtdirektion Nord in Kiel. Im Frühjahr würde dann der Entwurf der Planfeststellung vorliegen, dem die Nachbarländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein dann zustimmen müssten.

Brisant ist die jetzige Protokollnotiz über den Kommunalwahlkampf insofern, weil Ferlemann aus dem Wahlkreis Cuxhaven kommt, wo der Widerstand gegen die von Hamburg geforderte Elbvertiefung besonders groß ist.

Aber auch die Konkurrenz des niedersächsischen Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven steht im Streit um die Elbvertiefung im Raum. Nachdem das Bundesverkehrsministerium 182 Millionen Euro für den zweigleisigen Bahnanschluss des neuen Hafen bewilligt hat, könnten die Jade-Anlagen jetzt früher fertig sein, als die Elbvertiefung. Größere Containerschiffe könnten dann dorthin ausweichen und Reedereien ihre Dienste aus Hamburg abziehen, so die Befürchtung in Hamburg.

Entsprechend scharf kommentiert Hamburgs Wirtschaftssenator Ian Karan die mögliche Verzögerung des Projekts durch das Nachbarland: „Sollte allein aus wahlkampftaktischen Gründen ein Projekt dieser Bedeutung vermeidbar verzögert werden, hätte dies auch Folgen für Niedersachsen wenn man bedenkt, welche arbeitsmarktpolitische und auch sonst wirtschaftliche Bedeutung dieses Projekt hat.“ Das letzte Wort in dieser Angelegenheit sei noch nicht gesprochen, so er parteilose Senator.

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) bestreitet derweil, dass die Kommunalwahlen im September 2011 für eine Entscheidung zur Elbvertiefung eine Rolle spiele. Die Prüfung des Landes erfolge auf der Basis konkreter Fakten, „unabhängig von der Frage, wann, wo und wie Wahltermine stattfinden“, sagte der Regierungschef. „Ich empfehle allen Beteiligten in Hamburg Ruhe und Gelassenheit.“

Zu dem Gesprächsprotokoll sagte McAllister, dass es sich offenkundig um einen Vermerk handele, „der in Hamburg erstellt wurde“ Zu den Details könne er nichts sagen, weil er nicht beteiligt gewesen sei.

Dass mit dem Staatssekretär Ferlemann ein Vertrauter von Ministerpräsident McAllister mit der Zustimmung der Landesregierung zur Elbvertiefung erst nach der Kommunalwahl rechnet, dazu wollte die Staatskanzlei in Hannover nicht Stellung nehmen. Wörtlich heißt es in dem Hamburger Protokoll zu den Äußerungen von Ferlemann: „Er geht davon aus, dass das Land Niedersachsen das Einvernehmen dann zügig nach der Kommunalwahl (im Oktober/November 2011) erteilen wird“.

Für den SPD-Landesvorsitzenden Olaf Lies beweist das Hamburger Behördenpapier, „dass die niedersächsische Landesregierung sich längst zur Zustimmung zur Elbvertiefung entschlossen hat und diese klare Aussage nur bis nach der Kommunalwahl hinauszögert“. Damit werde der versprochene Vorrang für die Deichsicherheit aufgegeben, sagte er dem Hamburger Abendblatt: „So kann man mit den Menschen in der betroffenen Region nicht umgehen“. Eine Ablehnung der Elbvertiefung durch die Landesregierung fordert Lies auch ausdrücklich aus einem anderen Grund: „Der Jade-Weser-Port als neuer Tiefwasserhafen ist mit Investitionen von 650 Millionen Euro eines der größten Infrastrukturprojekte in Europa, es geht also auch um wirtschaftliche Interessen Niedersachsens. Die Frage der Elbvertiefung kann nicht losgelöst von dieser Frage beurteilt werden“.

Kritik kommt aber auch von den Naturschutzverbänden, die eine weitere Vertiefung des Elbfahrwassers ablehnen und bereits Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss angekündigt haben. Zustimmung oder Ablehnung dürfe nicht von wahltaktischen Motiven geprägt sein. Außerdem bestünden in Niedersachsen wegen der Themen Deichsicherheit, Versalzung und Verschlickung noch immer massive Bedenken gegen die Vertiefung.

Die SPD in Hamburg sorgt sich unterdessen nach eigener Aussage um die Konkurrenzfähigkeit des Hamburger Hafens, der „zum Spielball der Länder“ geworden sei. SPD-Fraktionschef Neumann: „ Der Vorgang ist vor allem peinlich für Hamburgs Bürgermeister Christoph Ahlhaus, der die Elbvertiefung zur Chefsache machen wollte.“ Und der SPD-Wirtschaftsexperte Ingo Egloff vermutet, dass Niedersachsen mit einem solchen Manöver Vorteile für den eigenen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven verschaffen wollen.

Der Hamburg FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen, selbst in Otterndorf an der Elbe geboren, kritisiert unterdessen das Vorgehen Ferlemanns: "Wenn Herr Ferlemann dem Staatsrat signalisiert hat, dass es kein Einvernehmen Niedersachsens vor der Kommunalwahl geben wird, widerspricht das seiner Aufgabe als Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium – er hat Bundesinteressen wahrzunehmen."