Im Kampf gegen die Finanzkrise in den Euro-Ländern schlagen die fünf Regierungsberater eine Alternative vor, die die Kanzlerin ablehnt.

Berlin. Die Wirtschaftsweisen haben für eine glaubhafte Sanierung der Staatsfinanzen in der Euro-Zone einen „Schuldentilgungspakt“ vorgeschlagen. Die Politik habe bisher mit viel Geld nur Zeit gekauft. Sollte die Schuldenkrise eskalieren, drohe eine Rezession, warnten die Regierungsberater in ihrem neuen Jahresgutachten. So oder so werde sich die Konjunktur in Deutschland im nächsten Jahr deutlich abkühlen.

Beim Tilgungspakt könnte zusammen mit verbindlichen nationalen Schuldenbremsen ein überzeugender Abbau der Staatsverschuldung unter die maximal erlaubte Grenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht werden. Auch sollten Euro-Länder Währungsreserven wie Gold-Bestände als Sicherheit hinterlegen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies die Pakt-Idee umgehend zurück.

Nach dem Modell der „Fünf Weisen“ sollen Schulden, die die 60-Prozent-Grenze übersteigen, in einen gemeinsamen Tilgungsfonds mit gemeinschaftlicher Haftung ausgelagert werden. Gleichzeitig würde für jedes Land ein harter Konsolidierungspfad festgelegt. Merkel sagte, ein Modell für eine teilweise Vergemeinschaftung von Schulden würde eine Vielzahl von Änderungen der EU-Verträge notwendig machen und sei derzeit im Tagesgeschäft „auf gar keinen Fall möglich“. Auch gebe es verfassungsrechtliche Bedenken, betonte die Kanzlerin am Mittwoch in Berlin bei der Übergabe des 461-seitigen Jahresgutachtens mit dem Titel „Verantwortung für Europa wahrnehmen“ an die Regierung.

Der Chef des Sachverständigenrates, Wolfgang Franz, erklärte, der vorgeschlagene Tilgungsfonds unterscheide sich ganz erheblich von gemeinsamen Euro-Staatsanleihen (Eurobonds). Der Fonds würde sich durch strikte Vorgaben zum Schuldenabbau in 20 bis 25 Jahren selbst wieder abschaffen. Die Ökonomin Beatrice Weder di Mauro unterstrich, dass die Hinterlegung von Goldreserven beim Tilgungsfonds nichts mit dem auf dem G20-Gipfel in Cannes diskutierten Vorschlag zu tun habe, Währungsreserven zur Stärkung des aktuellen Euro-Rettungsfonds EFSF zu nutzen. Bei der Fonds-Idee der Weisen gehe es um etwas anderes: „Es ist ein eigenes Pfand. Man hinterlegt eigene Sicherheiten“, sagte Weder di Mauro.

+++ Wirtschaftsweise sehen nur noch ein Mini-Wachstum +++

+++ Hintergrund: Modell der Wirtschaftsweisen für Schuldentilgungspakt +++

Die Wirtschaftsweisen widersprachen der Einschätzung der Kanzlerin, das Modell sei rechtlich angreifbar. Der Schuldentilgungspakt könnte einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten, heißt es im Gutachten. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler sagte, die Euro-Zone müsse rasch zu einer Stabilitätsunion mit schärferen Regeln umgebaut werden. Schulden dürften aber nicht vergemeinschaftet werden, erklärte der FDP-Chef. Die Vorschläge der Koalition für eine leichtere Zuwanderung ausländischer Fachkräfte sowie mehr Steuergerechtigkeit würden das Wachstum stärken.

Die Wirtschaftsweisen erwarten 2012 nur noch ein Konjunkturplus von 0,9 Prozent nach 3 Prozent im laufenden Jahr. Bei einer weiteren Verschärfung der Schulden- und Bankenkrise warnen die Experten vor verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft: „Im Falle einer Stagnation des Welthandels würde Deutschland in eine Rezession geraten.“ Trotz aller Risiken sei die Konsumbereitschaft der Deutschen sehr erfreulich. Weil die Arbeitslosigkeit weiter sinkt, geben die Bürger mehr Geld für private Anschaffungen aus. Laut Gutachten wird die Zahl der Arbeitslosen 2012 im Schnitt auf 2,9 Millionen schrumpfen. Die Bruttolöhne der Arbeitnehmer würden erneut steigen, jedoch nicht mehr so kräftig wie 2011.

Die Ökonomen unterstützen grundsätzlich den Plan der schwarz-gelben Koalition, die inflationsbedingte „kalte Progression“ – Lohnerhöhungen werden größtenteils vom Fiskus wieder kassiert - abzumildern und so für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen. Jedoch müssten die erwarteten Steuerausfälle von 2,2 Milliarden Euro gegenfinanziert werden. So könnte der Staat die Pendlerpauschale oder die Steuerfreiheit von Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen abschaffen. Auch der Steuerbonus bei Dienstwagen sowie bei der Absetzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen und Handwerkerleistungen sollten auf den Prüfstand kommen.