Bei Temperaturen von 32 Grad geben die Klimaanlagen in älteren ICE-Zügen ihren Geist auf. Politiker fordern Konsequenzen.
Hamburg. Tickets, Koffer und ein Sandwich für unterwegs: Das waren bislang die Dinge, an die Bahnfahrer vor Antritt ihrer Reise denken mussten. Seit dem vergangenen Wochenende sind allerdings einige wesentliche Utensilien hinzugekommen: Handventilatoren, Gurken und jede Menge Mineralwasser sind unverzichtbar, um beim etwaigen Ausfall der Klimaanlage nicht dehydriert am Boden des Abteils zu enden.
Während der aktuellen Hitzewelle kann ein solcher Notfall auf die Bahnreisenden offenbar zu jedem Zeitpunkt zukommen. Die Kühlung aller älteren ICE-Züge funktioniert nämlich nur bis zu einer Außentemperatur von 32 Grad einwandfrei, wie eine Bahnsprecherin gestern dem Abendblatt bestätigte. "Dies war die gängige Norm des Welteisenbahnverbands UIC in den 90er-Jahren, als die Züge der ersten und zweiten Generation bestellt wurden", erklärte sie. Bei den neueren ICE -3- und ICE-T-Modellen seien die Klimaanlagen auf eine Temperatur von 35 Grad ausgelegt worden. Werde es heißer, lasse die Leistung aller Anlagen deutlich nach. "Es ist nicht auszuschließen, dass auch das eine oder andere Gerät komplett ausfällt", sagte sie.
+++ Wenn die Hitze im Zug unerträglich wird - diese Rechte haben Sie +++
Um den Reisenden in diesen Fällen zu helfen, habe die Bahn unter anderem die Wasservorräte in den Zügen deutlich aufgestockt. Laut einer internen Anweisung soll das Personal die Anlagen "bei zu erwartenden Außentemperaturen von mehr als 32 Grad bereits vorausschauend" so einstellen, dass sie die Fahrgasträume um mindestens fünf Grad herunterkühlen. So werde "die Gefahr der Überlastung der Kälteanlage stark reduziert".
Erste Strafanzeigen gehen bei der Staatsanwaltschaft ein
Am vergangenen Sonnabend waren in einem überhitzten ICE mehrere Schüler kollabiert, neun von ihnen wurden in Bielefeld ins Krankenhaus gebracht. Bei der Staatsanwaltschaft gingen gestern in diesem Zusammenhang die ersten Strafanzeigen ein. Die Behörde ermittelt gegen den ICE-Zugchef wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung und unterlassene Hilfeleistung. Es geht um die Frage, ob der Mann den Zug früher hätte anhalten müssen, nachdem die Klimaanlage ausgefallen war. Für den Fahrgastverband Pro Bahn und den Verbraucherzentralen Bundesverband könnten die defekten Anlagen ein Fall von fahrlässiger Körperverletzung sein. Die Verbraucherschützer prüfen eine generelle Strafanzeige gegen die Bahn.
Politiker fordern umfassende parlamentarische Untersuchung
Auch das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) hat mittlerweile eine Untersuchung der Vorfälle eingeleitet. Präsident Gerald Hörster warnte den Bahnvorstand mit Blick auf die Klimaanlagenausfälle in einem Brief vor einer Verletzung seiner gesetzlichen Sicherheitsverpflichtung. "Die Vorfälle geben hinreichend Anlass zu der Annahme, dass nicht gewährleistet werden konnte, dass die Risiken für die Fahrgäste auf ein verantwortbares und rechtlich zulässiges Maß beschränkt geblieben sind." Bislang hatte die Behörde Klimaanlagen in Zügen allerdings nicht systematisch unter die Lupe genommen. "Im Gegensatz zu Rädern oder Achsen stehen Klimaanlagen bisher nicht auf unserer Checkliste sicherheitsrelevanter Teile", sagte eine Sprecherin dem Abendblatt.
Die Pannenserie könnte schon bald auch ein politisches Nachspiel haben. Der Vizefraktionschef der SPD im Bundestag, Florian Pronold, kündigte eine "umfassende parlamentarische Untersuchung" im Verkehrsausschuss an. Die Linkspartei will eine Sondersitzung des Verkehrsausschusses für Anfang kommender Woche beantragen.
Die Bahn wies hingegen alle generellen Vorwürfe gegen das Unternehmen zurück. Untersuchungen hätten gezeigt, dass "weder ein Wartungsmangel noch ein systematischer technischer Fehler" bei den Klimaanlagen der besonders betroffenen ICE-2-Züge vorliege, erklärte der für Personenverkehr zuständige Vorstand Ulrich Homburg. "Warum diese Klimaanlagen ausfallen, das ist für uns nach wie vor nicht geklärt." Offensichtlich entstehe in einem Kühlkreislauf ein Druck, der einen Sensor auslöse. Ab einer bestimmten Temperaturschwelle führe dies zu einer Abschaltung. Später seien die Anlagen dann aber wieder funktionsfähig.
Zum Zeitpunkt der Planung der ICEs sei niemand davon ausgegangen, "dass wir einmal Temperaturen von mehr als 35 Grad in Deutschland haben würden", sagte der Bahn-Sonderbeauftragte Georg Brunnhuber "Stern.de". "Wir werden versuchen, die Klimatechnik auf derart hohe Temperaturen nachzurüsten." Die neuesten ICx-Modelle der Bahn, die sich derzeit allerdings noch in der Ausschreibung befinden, sollen mit Klimaanlagen ausgestattet werden, die Außentemperaturen von bis zu 45 Grad verkraften können.
+++ Pleiten, Pech und Pannen bei der Bahn +++
In überhitzten Zügen auf keinen Fall die Notbremse ziehen
Das hilft den Reisenden, die in den kommenden Tagen mit der Bahn unterwegs sein müssen, freilich wenig. Angekündigt sind Temperaturen von bis zu 36 Grad in Deutschland. Ihnen rät der Sprecher des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann, auf jeden Fall ausreichend Getränke dabeizuhaben. Bei Hitzestau könne auch ein feuchtes Handtuch oder Kleidungsstück im Nacken kurzzeitig helfen. Wenn eine Klimaanlage tatsächlich ausfällt, sollte zunächst geprüft werden, ob die Kühlung in anderen Waggons funktioniert. Ist dies nicht der Fall, sollte das Bahnpersonal "höflich, aber bestimmt" gebeten werden, den nächsten Bahnhof anzusteuern. Naumann rät aber strikt davon ab, die Notbremse zu ziehen oder während der Fahrt ein Fenster einzuschlagen. "Das ist beides kontraproduktiv - bei einer Notbremsung bleibt der Zug auf freier Strecke stehen, wo die Türen nicht geöffnet werden dürfen." Und wer eine Fensterscheibe einschlägt, riskiere sogar, dass Mitreisende verletzt oder entgegenkommende Züge beschädigt werden.