Die Deutsche Bahn hat erneut mehrere Fernzüge nach einem Ausfall der Klimaanlagen geräumt. 66 Beschwerden von Reisenden eingegangen.
Bielefeld/Berlin/Stockholm. Die Deutsche Bahn hat am Mittwoch erneut mehrere Fernzüge nach einem Ausfall der Klimaanlagen geräumt. Wie ein Unternehmenssprecher dem Bielefelder „Westfalen-Blatt“ (Donnerstagsausgabe) sagte, wurde ein IC auf der Strecke Berlin-Amsterdam wegen einer defekten Klimaanlage gestoppt. Die Reisenden mussten demnach in andere Züge umsteigen. Zudem sei ein ICE zwischen München und Lübeck wegen Hitzeproblemen geräumt worden. Seit Sonnabend fielen dem Bahn-Sprecher zufolge in insgesamt 41 Fernzügen die Klimaanlagen aus.
Am Wochenende war in drei ICEs die Klimaanlage komplett ausgefallen, weshalb zwei der Züge in Hannover und einer in Bielefeld geräumt werden mussten. Zahlreiche Schüler von zwei Schulen in Nordrhein-Westfalen kamen dehydriert ins Krankenhaus. Auch in weiteren Zügen fielen in den vergangenen Tagen in einzelnen Waggons die Klimaanlagen aus. Dem „Westfalen-Blatt“ zufolge ging inzwischen eine erste Strafanzeige von hitzegeschädigten Reisenden bei der Bundespolizei Münster ein. Da sich der Vorfall in Berlin ereignet habe, sei die Anzeige an die Bundespolizei Berlin weitergeleitet worden. Insgesamt sind bei der Bundespolizei in Münster nach dem ICE-Hitzeunfall in Bielefeld schon 66 Beschwerden von Reisenden über unhaltbare Zustände in Fernzügen eingegangen. Da sich aus den Beschwerden keine Straftatbestände ergeben hätten, seien die Schreiben an die Bahn weitergeleitet worden, sagte Oberkommissar Rainer Kerstiens der Zeitung.
Problem-ICE: Ermittlungen gegen Zugchef
Nach dem Hitze-Kollaps mehrerer Schüler in einem brütend heißen ICE ermittelt jetzt die Justiz gegen den Zugchef. Derzeit werde geprüft, ob er den Zug früher als in Bielefeld hätte anhalten müssen, nachdem die Klimaanlage ausgefallen war, sagte Oberstaatsanwalt Reinhard Baumgart am Mittwoch. Technische Probleme mit älteren ICE sind laut Bundesverkehrsministerium schon länger bekannt, bisher aber nicht mit Klimaanlagen. Auch in einem Hochgeschwindigkeitszug in Schweden gab es einen dramatischen Hitze-Notfall: 200 Reisende mussten stundenlang ausharren. Der Verdacht gegen den ICE-Zugchef laute auf fahrlässige Körperverletzung und unterlassene Hilfeleistung, sagte Staatsanwalt Baumgart. Am Sonnabend waren mehrere Schüler auf dem Rückweg von einer Klassenfahrt an Bord zusammengebrochen. Neun Jugendliche mussten in ein Krankenhaus gebracht werden.
+++ Wenn die Hitze im Zug unerträglich wird - diese Rechte haben Sie +++
Die Gewerkschaften Transnet und GDBA warnten vor einer Vorverurteilung ihres Kollegen. Die Bahn sei es Kunden und Beschäftigten schuldig, dass die Technikprobleme untersucht und Schwachstellen beseitigt würden. Die Zugbegleiter arbeiteten derzeit unter extrem schwierigen Bedingungen. Eventuell brauche es Zusatzpersonal zur Betreuung von Fahrgästen.Nach Angaben der Bahn von Mittwochabend gab es seit Samstag Klimaanlagen-Probleme bei rund 40 Zügen. Der bundeseigene Konzern hat angekündigt, die Probleme aufzuklären und begutachtet Klimaanlagen bei der nächtlichen Wartung in den Werkstätten besonders gründlich. Massiv betroffene Reisende sollen Reisegutscheine als Entschädigung bekommen.
Nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums sind bei älteren Zügen der ICE-Flotte bereits seit einiger Zeit technische Probleme bekannt. „Wir kennen die Themen mit den ICE 1 und ICE 2 schon seit etwas längerem“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) im RBB-Inforadio. Dies betreffe oftmals die ganze Bordtechnik, die häufig ausfalle. Es liefen dazu auch Prüfungen des Eisenbahn-Bundesamts. Laut einer nachträglichen Präzisierung des Ministeriums waren bisher aber keine Klimaanlagen-Probleme bekannt.
In Schweden mussten gut 200 Reisende sechs Stunden bei quälender Hitze in einem Schnellzug ausharren - ohne Klimaanlage, ohne Wasser und bei geschlossenen Fenstern. Wie die Bahngesellschaft SJ am Mittwoch bestätigte, blieb der Hochgeschwindigkeitszug am Vortag wegen eines technischen Defektes an der Lok bei Flemingsberg südwestlich von Stockholm liegen. Er war nach Göteborg unterwegs. Passagiere berichteten von Panik, Ohnmachtsanfällen und „Lynchstimmung gegenüber dem Personal“. Die Temperaturen in den Abteilen waren demnach auf über 50 Grad gestiegen. Dennoch blieben die Türen zu - Fenster konnten nicht geöffnet werden. Ein 42-Jähriger schlug mit einem Hammer ein Fenster ein, um einem ohnmächtigen Mitreisenden und einem offensichtlich stark leidenden Baby Luft zu verschaffen.
+++ Pleiten, Pech und Pannen bei der Bahn +++
Der Zug wurde nach mehr als sechs Stunden Warten in gleißender Sonne von einer Ersatz-Lok in Gang gesetzt. Der Reisende mit Hitzschlag kam in ein Krankenhaus in Södertälje, andere Reisende wechselten in dem Ort den Zug. Sie mussten aber erneut mehrere Stunden warten und erreichten Göteborg schließlich mit 13-stündiger Verspätung. Empört reagierten Betroffene auf die Mitteilung der Bahn, man werde ihnen einen Gutschein über 200 Kronen (gut 20 Euro) zukommen lassen. SJ-Aufsichtsratschef Ulf Adelsohn kündigte daraufhin Nachbesserung an. „Das war eine verdammte Katastrophe. So was darf einfach nicht passieren.“