Finanzmärkte gehen nach negativem Rating-Urteil vom Freitag schnell zur Tagesordnung über. Auch Euro-Rettungsschirm verliert Top-Bonität.
Hamburg. Die Finanzmärkte haben die Herabstufung der Bonitätsnoten von neun Euro-Ländern durch die Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P) schnell abgehakt: Der Deutsche Aktienindex (DAX) drehte gestern bereits kurz nach Handelsbeginn ins Plus, der Euro notierte gut behauptet. Und selbst die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen der von dem sogenannten Downgrade betroffenen Länder Frankreich, Österreich, Italien und Spanien blieben nahezu unverändert oder drehten nur geringfügig nach oben. Nach Aussage von Händlern stützte allerdings die Europäische Zentralbank (EZB) durch Zukäufe die Kurse italienischer und spanischer Titel. Am Montagabend legte S&P noch einmal nach und stufte auch die bisherige Top-Bonität des Euro-Rettungsschirms EFSF um eine Note auf AA+ herab.
S&P stuft Frankreich und weitere Euroländer herab
Aufgeregter als die Investoren reagierte die Politik. "Ich denke, die Rating-Agenturen sollten die beispiellosen Maßnahmen der Regierungen besser miteinrechnen", kritisierte EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Er zeigte sich "erstaunt" über das Timing von S&P. Ähnlich äußerte sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). "Ich glaube nicht, dass Standard & Poor's wirklich begriffen hat, was wir in Europa schon auf den Weg gebracht haben", sagte Schäuble dem Deutschlandfunk. Am Freitagabend hatte S&P die Neubewertungen der Euro-Länder mitgeteilt. Dabei verloren Frankreich und Österreich die Bestnote AAA. Italiens Bonitätseinstufung sank gleich um zwei Noten.
Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur Diskussion um die Agenturen.
Waren die Rating-Herabstufungen gerechtfertigt?
"Man kann den Urteilen kaum widersprechen", sagte Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen der Universität Hohenheim, dem Abendblatt. "Allerdings hätte S&P Großbritannien auch herabstufen müssen." Am Markt sei jedem klar gewesen, "dass Frankreich das AAA-Rating nicht halten kann", sagte Haspa-Chefvolkswirt Jochen Intelmann. "Die Neueinstufungen waren in den Kursen ohnehin schon enthalten."
Wie groß ist die Bedeutung der Rating-Agenturen noch?
Durch gravierende Fehleinschätzungen im Vorfeld der US-Hypothekenkrise der Jahre 2007/2008 haben die drei führenden Agenturen S&P, Moody's und Fitch bereits erheblich an Glaubwürdigkeit verloren. Und auch in der Schuldenkrise nehmen die Marktreaktionen auf die Urteile der Bonitätswächter an Heftigkeit ab. "Die jüngste Herabstufung von Frankreich macht bei den Investoren längst nicht mehr so viel Eindruck wie die Aberkennung des AAA-Status der USA durch S&P im vergangenen August", sagte der Hamburger Wirtschaftsprofessor Karl-Werner Hansmann.
In anderer Hinsicht ist der Einfluss der Agenturen jedoch unvermindert groß. "Ihre Urteile werden dramatisiert, weil der Gesetzgeber so viel von ihnen abhängig macht", sagte Burghof: Bestimmte Anlagevorschriften von Banken und Versicherungen sind an die Einstufungen gekoppelt, auch die EZB macht von ihnen abhängig, welche Papiere als Sicherheit akzeptiert werden.
Ist jetzt die Refinanzierung des Euro-Rettungsschirms gefährdet?
Sprecher des europäischen Rettungsschirms EFSF wiesen unmittelbar nach Herabstufung durch S&P darauf hin, dass die beiden anderen Bonitätswächter, Moody's und Fitch, den Fonds weiterhin mit dem Spitzenrating bewerteten. "Keine der beiden Rating-Agenturen hat irgendeine Entscheidung über die EFSF in unmittelbarer Zukunft angekündigt", hieß es in einer Mitteilung. EFSF-Chef Klaus Regling erklärte, die Kreditkapazität von 440 Milliarden Euro werde durch die Entscheidung von S&P nicht verringert. "Die EFSF hat genug Mittel, um ihre Verpflichtungen unter den laufenden und potenziellen künftigen Anpassungsprogrammen zu erfüllen, bis der ESM seine Arbeit im Juli 2012 aufnimmt." Beobachter befürchten aber, dass nun auch die EFSF zum zweitklassigen Schuldner werden könnte und die Euro-Rettung somit teurer wird.
Wer profitiert von der Herabstufung wichtiger Euro-Länder?
Europäische Politiker haben immer wieder den Argwohn geäußert, die drei führenden Rating-Agenturen, die alle ihren Sitz in New York haben, agierten nicht unabhängig vom Einfluss angloamerikanischer Kreise. Die Herabstufung sei "ein gezielter Angriff der US-Rating-Agentur gegen Europa", sagte Elmar Brok, CDU-Europa-Abgeordneter und außenpolitischer Koordinator der Europäischen Volkspartei, gegenüber "Welt Online". "Starke Kräfte in den USA, insbesondere aus der Finanzwirtschaft", hätten ein Interesse an einer Schwächung der Gemeinschaftswährung: "Sie wollen die Euro-Zone zerschießen, um Geld daran zu verdienen", sagte Brok.