Hamburg. HSV bewertet nach der schwächsten Hinrunde der Zweitligageschichte, wie groß die Veränderungen ausfallen müssen. Eine Analyse.

Zum Wochenstart ging ein Video durch die sozialen Netzwerke, das von vielen HSV-Fans geteilt und kommentiert wurde. Zu sehen und zu hören ist, wie der Vorsänger der Fankurve bei Hertha BSC der Berliner Mannschaft nach der 1:2-Heimniederlage gegen Aufsteiger Preußen Münster einen Einlauf verpasst. „Wie sollen wir das noch akzeptieren? Wir haben die Schnauze voll“, rief der Capo der Mannschaft zu. Kapitän Toni Leistner sagte hinterher: „Das ganze Nette ist jetzt langsam auch mal vorbei. Wir müssen jetzt mal den härteren Ton anwenden und auch mal Tacheles reden.“

Manch ein Beobachter hätte sich ähnliche Worte und Reaktionen auch beim HSV gewünscht, nachdem die Mannschaft am Sonnabend ebenfalls mal wieder gegen einen Aufsteiger gepatzt hatte. Nach dem enttäuschenden 1:1 beim SSV Ulm, der wie Münster vor zwei Jahren noch in der Regionalliga spielte, wurden die Spieler von den Fans stattdessen mit aufbauenden Rufen und Applaus verabschiedet. Ein Indiz dafür, dass das von Leistner in Berlin eingeforderte Reizklima beim HSV fehlt?

HSV so schlecht wie noch nie: die Gründe

Blickt man auf die Lage und den Tabellenplatz der Hertha (11/21 Punkte), spricht eine härtere Reaktion der Fans nicht für eine höhere Wahrscheinlichkeit auf sportlichen Erfolg. Und trotzdem mehren sich nach dem wiederholten Rückschlag des HSV bei einem Abstiegskandidaten mal wieder die Stimmen, die einen Zusammenhang sehen zwischen dem bedingungslosen Zuspruch der Fans und einer zu großen Zufriedenheit der Spieler im Volkspark.

Warum der HSV auch im siebten Zweitligajahr immer wieder bei Gegnern wie Braunschweig (Tabellen-17.) oder Ulm (16.) entscheidende Punkte liegen lässt, sorgt bei den aktuellen Verantwortlichen für Ratlosigkeit. Während Sportvorstand Stefan Kuntz im Oktober bei der Niederlage in Elversberg fehlende Grundtugenden kritisiert hatte, fiel die Analyse nach dem Ulm-Spiel anders aus.

Die Spieler hätten den Matchplan von Trainer Merlin Polzin nicht umgesetzt, seien nicht in die Tiefenläufe gekommen und hätten dem Gegner in der ersten Halbzeit zu viel Platz im letzten Drittel gelassen. Hinzu seien Undiszipliniertheiten gekommen. An der fehlenden Einstellung habe es nicht gelegen.

Die Klärung der Verantwortung beim HSV

Wie aber sonst ist es zu erklären, wenn die Spieler die Vorgaben des Trainerteams nicht umsetzen? Dieser Frage wollen die sportlichen Verantwortlichen im Volkspark in einer ausführlichen Analyse in der Winterpause nachgehen und anschließend entscheiden, wie viel Korrekturen die Kaderplanung des Sommers bedarf.

Schon jetzt ist sicher, dass der HSV nach Punkten die schlechteste Hinrunde der Zweitligageschichte spielen wird. Die Hamburger haben nur eines der jüngsten sieben Spiele gewonnen. Und es stellt sich die Frage, wer dafür verantwortlich ist?

Vuskovic-Ersatz fehlt auch nach vier Versuchen

Die Schuldfrage fokussiert sich zum einen auf die Zusammenstellung des Kaders. Von den sieben Neuzugängen konnten bislang nur Daniel Elfadli und Davie Selke konstant überzeugen. Adam Karabec zeigte nur in Ansätzen sein Potenzial. Innenverteidiger Lucas Perrin und Flügelspieler Emir Sahiti sind aufgrund ihrer geringen Spielzeit kaum zu bewerten, werfen aber die Frage auf, warum sie trotz jahrelanger Erstligaerfahrung in der Zweiten Liga bislang keine Rolle spielen.

Ein gleichwertiger Ersatz für Mario Vuskovic scheint aber auch Perrin in der vierten Transferperiode seit der Vuskovic-Sperre nicht zu sein. Die als Soforthilfen verpflichteten Silvan Hefti und Marco Richter enttäuschten regelmäßig. Eine mäßige Transferbilanz, die vor allem Sportdirektor Claus Costa für viele Fans zunehmend zur Zielscheibe der Kritik gemacht hat.

Dieser soll von der Kaderqualität aber weiterhin überzeugt sein und um Geduld bitten. Insbesondere einem Spieler wie Sahiti, der für 1,2 Millionen Euro von Hajduk Split kam, wird intern ein großes Steigerungspotenzial bescheinigt. Doch auch Spieler, die schon vor einem Jahr kamen, entwickeln sich auch im zweiten Jahr kaum weiter. Immanuel Pherai bleibt unter seinen Möglichkeiten, Lukasz Poreba konnte unter drei verschiedenen Trainern bislang nicht Stammspieler werden. Levin Öztunali wurde zur U21 abgeschoben und soll im Winter gehen. Und Noah Katterbach sitzt nach einem Zwischenhoch nun wieder auf der Bank.

Die HSV-Neuzugänge Silvan Hefti (l.) und Emir Sahiti haben zusammen mehr als zwei Millionen Euro gekostet, bleiben aber bislang hinter ihren Erwartungen zurück.
Die HSV-Neuzugänge Silvan Hefti (l.) und Emir Sahiti haben zusammen mehr als zwei Millionen Euro gekostet, bleiben aber bislang hinter ihren Erwartungen zurück. © WITTERS | TimGroothuis

HSV-Profis von Misserfolg geprägt

Ein interner Kritikpunkt ist die Feststellung, dass zu viele Spieler nach ihrem Wechsel zum HSV den Eindruck erwecken, sie hätten schon etwas erreicht. Es fehle die individuelle Bereitschaft und die Gier, sich weiterzuentwickeln. Zudem ist aus dem Umfeld der Mannschaft immer wieder zu hören, dass zu viele Spieler Misserfolg mit sich herumtragen und zu wenige Spieler Führungsausgaben übernehmen.   

Sportvorstand Kuntz hat daher im Sommer erste Maßnahmen bei der Vertragsgestaltung mit Spielern getroffen. Es soll beim HSV künftig mehr nach Leistung bezahlt werden. Bei den aktuellen Spieler können die Verträge aber nicht rückwirkend verändert werden.

Kuntz löst Fragen in der Trainerfrage aus

Gleichzeitig muss sich Kuntz erst selbst die Akzeptanz innerhalb des HSV bei seinen Entscheidungsprozessen erarbeiten. Seine Trainersuche wirkte zuletzt ein wenig orientierungslos, wie seine beiden öffentlichen Statements zur Weiterbeschäftigung von Polzin innerhalb von nur fünf Tagen zeigten.

Vom Aufsichtsrat, der Kuntz nach der vergangenen Saison als Nachfolger von Jonas Boldt verpflichtete, genießt der Manager weiterhin die volle Rückendeckung. Eine finale Bewertung seiner Arbeit, unter anderem auch in der Polzin-Frage oder bei der Suche nach einem Technischen Direktor, soll erst nach der Saison durchgeführt werden.

HSV-Aufsichtsratschef Michael Papenfuß (l. neben seinem Stellvertreter Markus Frömming) tritt ungern öffentlich auf. Auf Erklärungen der Krise verzichtet der Wirtschaftsexperte gänzlich, obwohl er das Sprachrohr des Kontrollgremiums ist.
HSV-Aufsichtsratschef Michael Papenfuß (l. neben seinem Stellvertreter Markus Frömming) tritt ungern öffentlich auf. Auf Erklärungen der Krise verzichtet der Wirtschaftsexperte gänzlich, obwohl er das Sprachrohr des Kontrollgremiums ist. © WITTERS | TimGroothuis

HSV-Aufsichtsrat gerät in den Fokus

Doch auch das Kontrollgremium wirkt seit Wochen unsichtbar. Der Aufsichtsratsvorsitzende Michael Papenfuß hält sich aus der Öffentlichkeit gänzlich raus. Bis der um ein siebtes Mitglied komplettierte Aufsichtsrat im Zuge des Rechtsformwechsels in die neue HSV Fußball Management AG tätig ist, bedarf es zunächst einer Einladung des Vorstands zur Hauptversammlung, die noch immer nicht erfolgt ist.

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Vereinspolitisch geht es aktuell ruhig zu, da sich weder der aktuelle Präsident Marcell Jansen noch potenzielle Herausforderer entschieden haben, zur Präsidentschaftswahl im kommenden Sommer anzutreten.

In den vergangenen Jahren galten die vielen Machtkämpfe hinter den Kulissen zwischen Vorstand, Präsidium, Aufsichtsrat und Aktionären immer wieder als Ausrede für den fehlenden sportlichen Erfolg. Derzeit wird der Austausch zwischen dem Vorstand und dem Präsidium als konstruktiv beschrieben.

Fehlt HSV eine klare Strategie?

Und so konzentriert sich die aktuelle Analyse des jüngsten Misserfolgs auf die handelnden Personen im Sport. Kritiker vermissen in diesem Bereich seit Jahren ein übergeordnetes Konzept mit einer klaren Strategie, die auch die grundsätzliche Spielwiese vorgibt und nach der auch die Trainer ausgewählt werden.

Diese Leitplanken sind im Volkspark nicht sichtbar. Das soll sich in der Winterpause ändern. Bis dahin setzen alle Verantwortliche auf einen Heimsieg zum Jahresabschluss gegen Greuther Fürth – damit zumindest die Weihnachtstage etwas ruhiger werden.