Hamburg. HSV-Trainer führt Einzelgespräch mit Kapitän Schonlau. Torjäger erklärt, wie Baumgart die Mannschaft in der Krise führt.

Als das Training des HSV am Mittwoch beendet war, schnappte sich Steffen Baumgart seinen Kapitän Sebastian Schonlau. Während alle anderen Spieler bereits Autogramme schrieben und für Selfies mit den Fans posierten, führten die beiden ein Einzelgespräch. Knapp fünf Minuten dauerte die Unterhaltung auf dem Platz, ehe auch Schonlau mit ernster Miene bei nasskalten vier Grad in die Kabine stapfte. Der genaue Inhalt des Dialogs ist zwar nicht bekannt, doch Vieraugengespräche wie diese sind bei Baumgart keine Seltenheit.

Auch wenn es sportlich mit nur einem Punkt aus drei Ligaspielen und Platz fünf aktuell nicht läuft, wird dem HSV-Trainer eine gute Kommunikation mit der Mannschaft bescheinigt. „Zuckerbrot und Peitsche passt bei ihm sehr gut. Er fordert viel ein, erklärt nach dem Training aber auch häufig, wie er Sachen gemeint hat“, erzählt Davie Selke im Podcast „Copa TS“ mit Moderator Tommi Schmitt, der durch den alle Rekorde brechenden Podcast „Gemischtes Hack“ bekannt wurde.

HSV-Stürmer Selke erklärt Baumgart

In der knapp 70-minütigen Folge verrät Selke einiges über die Art, wie Baumgart eine Mannschaft führt und sie zur Höchstleistung bringen kann. „Er vereint das Emotionale mit dem Taktischen. Es ist seine große Stärke, die Spieler vor dem Spiel extrem heiß zu machen“, lobt Selke, der nach der gemeinsamen Zeit beim 1. FC Köln zum zweiten Mal mit dem 52-Jährigen zusammenarbeitet.

Im Sommer entschied sich der Stürmer speziell wegen seiner Verbindung zu Baumgart für einen Wechsel zum HSV, obwohl „alle anderen Angebote“, unter anderem aus dem Ausland, „finanziell attraktiver waren“. Wenig überraschend kommt Selke deshalb zu der Erkenntnis, dass Baumgart ein „super Trainer“ sei.

Baumgart von HSV-Fans kritisch gesehen

Doch genau daran gab es zuletzt Zweifel unter Beobachtern und Fans. Wegen seines defensiveren Spielansatzes wird der HSV-Coach bei manchen Anhängern, die drei Jahre lang riskanten, aber spektakulären Tim-Walter-Fußball gewohnt waren, seit seinen ersten Spielen kritisch beäugt. Knapp drei Monate nach Baumgarts Amtsantritt zweifelte auch Ex-Sportvorstand Jonas Boldt daran, ob der frühere Stürmer der richtige Mann für den Aufstieg sei.

Doch schließlich musste Boldt gehen, und Baumgart blieb. Weil der neue Sportvorstand Stefan Kuntz ihm das Vertrauen schenkte. „Steffen hat noch keine Chance gehabt, eine Vorbereitung zu machen. Und noch keine Chance, seine Vorstellungen bei Transfers zu äußern“, argumentierte der 62-Jährige Ende Mai.

Baumgart unter Druck: HSV braucht Siege für Ruhe

Ein halbes Jahr später sind die Vorzeichen andere. Baumgart hat die Mannschaft während der Sommervorbereitung nach seinen Vorstellungen ausrichten können. Ihm wurden auch Transferwünsche wie der von Selke erfüllt. Doch der Ertrag fällt bislang ernüchternd aus. Mit gerade einmal 19 Punkten nach zwölf Spieltagen hinkt der HSV der internen Zielvorgabe eines Zwei-Punkte-Schnitts fünf Zähler hinterher.

Beim kommenden Heimspiel am Sonnabend gegen den FC Schalke (20.30 Uhr) steht Baumgart daher unter Erfolgsdruck, um zu vermeiden, dass sich aus einer öffentlichen eine interne Trainerdiskussion entwickelt.

„Wir haben ein bisschen den Faden verloren. Meine Aufgabe ist es, den Weg wiederzufinden, um erfolgreich zu sein“, sagte der HSV-Coach zuletzt. Natürlich weiß Baumgart, dass die aktuelle Rückendeckung von Kuntz begrenzt ist. Er braucht Siege, um wieder alle im nervösen Hamburger Umfeld von sich zu überzeugen. Am besten schon gegen Schalke.

HSV arbeitet an Mentalität

Beim bislang letzten Aufeinandertreffen der beiden Traditionsclubs im Volkspark setzte sich der HSV dank eines Doppelpacks von Robert Glatzel mit 5:3 durch. Diesmal ist Selke für die Tore verantwortlich, die nicht nur für drei Punkte sorgen, sondern auch Baumgarts Job sichern sollen.

Davie Selke (r.) erzielte bereits sechs Saisontore für den HSV.
Davie Selke (r.) erzielte bereits sechs Saisontore für den HSV. © WITTERS | TimGroothuis

„Man darf sich von kleinen Dellen im Laufe einer Saison nicht verrückt machen lassen“, sagt Selke, der auf Anhieb als einer der Wortführer in der Kabine auftritt. Mit seiner positiven Mentalität und seiner Gier nach Siegen will er seinen Teil dazu beitragen, dass das siebte gleichzeitig das letzte Zweitligajahr des HSV sein wird. „Am Ende wird das Mentale den Aufstiegskampf entscheiden“, ist der Angreifer überzeugt.

HSV-Stürmer Selke steht für neuen Weg

Um in dieser Disziplin aufzuholen, ist der HSV seit dem Sommer um eine andere Haltung bemüht. Speziell Kuntz ist es ein wichtiges Anliegen, nach jahrelangem Misserfolg intern mehr Optimismus zu verbreiten. Denn die negative Stimmung wurde als eine der Ursachen für die Nichtaufstiege ausgemacht.

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„Wenn man sich damit beschäftigt, warum es die zurückliegenden Jahre nicht geklappt hat, befindet man sich auf dem falschen Weg“, lebt Selke dieses Motto vor. „Auch wenn die Ergebnisse zuletzt ausgeblieben sind, ist es wichtig, den Weg weiterzugehen. Wir sind eine Gruppe, die zusammengewachsen ist. Wir haben einen brutal starken Kader, das ist einfach so. Wir haben auch ein gutes Trainerteam, das uns immer wieder gut vorbereitet. Jetzt liegt es an uns Spielern, zu zeigen, wo wir hinwollen, nämlich in die Erste Liga. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es dieses Jahr schaffen.“

HSV droht Ausfall von Führungsspieler

Klare Worte vom neuen Anführer, der im Verbund mit Schonlau gegen Schalke womöglich auch einige Führungsaufgaben von Jonas Meffert übernehmen muss, der auszufallen droht. Der Mittelfeldspieler verletzte sich im Training am Mittwoch, als er auf seinen linken Arm fiel. Mit schmerzverzerrtem Gesicht wurde er mehrere Minuten auf dem Platz behandelt, ehe er die Einheit abbrach und mit bandagiertem Arm in die Kabine begleitet wurde.

Die Röntgenbilder ergaben, dass zumindest nichts gebrochen ist. Eine andere schwere Verletzung kann aber nicht ausgeschlossen werden. Weitere Untersuchungen folgen am Donnerstag. 

Ohne Meffert konnte der HSV in dreieinhalb Jahren noch nie gewinnen. Es wird Zeit, dass sich diese Bilanz dreht. Für Baumgart, Selke und die Aufstiegspläne des HSV.