Hamburg. Probleme bereits im Trainingslager erkennbar: Bei zwei wichtigen Daten ist der HSV auf einem Abstiegsplatz. Das muss besser werden.
Sebastian Schonlau wirkte entschlossen, als er einen Blick in die Zukunft wagen sollte. Zwar bestätigte der Kapitän des HSV, dass die Hamburger eine schwierige Phase mit nur einem Punkt aus den zurückliegenden drei Ligaspielen durchlaufen. Und trotzdem war der Abwehrchef um eine positive Körpersprache bemüht. Weil die aktuelle Länderspielpause auch eine Chance ist, an grundlegenden Elementen zu arbeiten, um die vom Weg abgekommene Mannschaft wieder auf Aufstiegskurs zu bringen.
„Wir müssen uns ganz klar angucken, was wir verändern und verbessern müssen, um in zwei Wochen wieder anzugreifen“, sagte Schonlau nach der besorgniserregenden 1:3-Pleite in Braunschweig. Auf die Nachfrage, ob er einen Vorschlag dafür parat habe, antwortete er: „Nein, aber dafür haben wir ein Trainerteam.“ Gemeint ist in erster Linie Cheftrainer Steffen Baumgart, der in der Verantwortung steht.
HSV-Daten belegen Rückschritt unter Baumgart
Mit nur 19 Punkten und Platz fünf nach zwölf Spielen befindet sich der HSV in einer schweren Aufstiegskrise, über die der geringe Rückstand von gerade einmal drei Zählern auf Tabellenführer Hannover 96 nicht hinwegtäuschen darf. Noch hat Baumgart die Rückendeckung von Vorstand Stefan Kuntz und Sportdirektor Claus Costa sicher. Doch der Coach ist nun gefordert, den Abwärtstrend zu stoppen und die auch von Schonlau angesprochenen Veränderungen herbeizuführen.
Denn eigentlich sollte doch in dieser Saison endlich alles besser werden beim HSV. Daten, die das Fußballanalyse-Unternehmen „ballorientiert“ dem Abendblatt bereitgestellt hat, belegen allerdings, dass sich der Zweitligist im Vergleich zur vergangenen Spielzeit in nahezu allen relevanten Statistiken verschlechtert hat.
Die Schwächen in Baumgarts HSV-Plan
So ist der Wert der „expected Goals“, der Aufschluss über die Qualität der Chancen sowie die Wahrscheinlichkeit von Toren pro Spiel gewährleistet, von 1,97 auf 1,87 gesunken. Ligaweit befindet sich die Baumgart-Elf damit zwar immer noch auf Platz drei. Deutlich anders sieht es jedoch bei den zugelassenen Torchancen aus, den „expected Goals against“, die sich von 1,52 auf 1,71 verschlechtert haben – nur vier Mannschaften liegen in dieser Statistik hinter dem HSV.
Daraus ergibt sich ein „expected Points“-Wert von 1,51. Mit durchschnittlich 1,58 Punkten pro Spiel, eine zweifellos nicht aufstiegstaugliche Bilanz, performen die Hamburger sogar besser, als es die Spielverläufe hergegeben hätten. Das liegt vor allem daran, dass der HSV dank seiner hohen individuellen Qualität das effizienteste Team der Liga beim Verwerten von Torchancen ist. Allerdings darf bezweifelt werden, dass die Mannschaft dauerhaft überperformen wird. Was muss sich also grundlegend ändern?
HSV-Defensive wackelt: Das ist der Plan
Sorge bereitet aktuell vor allem die Abwehr um Kapitän Schonlau. Dabei legt die Mannschaft in dieser Spielzeit den größten Fokus auf eine stabile Defensive. „Es ist unser erstes Ziel, dass wir so wenig wie möglich defensiv zulassen“, gab Mittelfeldspieler Jonas Meffert Baumgarts Plan zu Saisonbeginn preis. „Nicht die Mannschaft mit den meisten Toren steigt auf, sondern die mit den wenigsten Gegentoren“, ergänzte der Trainer vor dem Braunschweig-Spiel.
Nachdem die Defensive anfangs kompakt gestanden hatte, ist der HSV mit 1,4 Gegentoren pro Spiel inzwischen anfälliger als in der vergangenen Saison (1,3). Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich der Club bei der Torwahrscheinlichkeit pro gegnerischem Schuss verbessert hat. Das entspricht auch der Philosophie Baumgarts, der die Gegner zu vermeintlich harmloseren Versuchen von außerhalb des Strafraums zwingt.
Tatsächlich lassen mit Schlusslicht Regensburg und dem Tabellen-13. Fürth nur zwei Teams mehr Abschlüsse zu als der HSV. Außerdem gestattet keine Mannschaft dem Gegner mehr Ballaktionen im Angriffsdrittel – meistens allerdings in ungefährlichen Zonen.
HSV-Offensive fehlt es an Lösungen
Diese Quote ist mit dem neuen Ansatz zu erklären, den Baumgart in dieser Saison eingeführt hat. Schon im Spielaufbau agiert der HSV oftmals abwartend mit dem Ziel, den Gegner aus der Ordnung zu locken, um aus dem Ballbesitz heraus überfallartige Angriffe zu kreieren. Insgesamt ist der Offensivplan sehr schlicht gehalten: Baumgart setzt auf Umschaltmomente, Flanken und Standards. Fünf Tore nach Kontern und Ecken, ligaweit jeweils der Spitzenwert, sowie acht Tore nach Flanken (Platz zwei) geben seiner Idee auf den ersten Blick recht.
Gleichzeitig hat der HSV jedoch Schwierigkeiten, Lösungen zu finden, wenn sich der Gegner mal nicht locken lässt. Dieses Problem war bereits im Trainingslager zu erkennen, als Baumgart hauptsächlich Standards, den Spielaufbau und Pressing trainieren ließ. Auch zu Saisonbeginn wirkte seine Mannschaft mitunter einfallslos bei eigenem Ballbesitz. Dann aber fruchtete das Umschaltspiel immer besser und kaschierte zunächst die spielerischen Schwächen – bis zur 2:4-Pleite vor zwei Wochen in Elversberg.
In der Folge gehören die Hamburger zu den Teams mit den wenigsten raumgewinnenden Pässen. Am signifikantesten zur vergangenen Saison ist der Unterschied der Zuspiele hinter die gegnerische Abwehrkette. Hier verschlechterte sich der HSV von 6,7 auf 1,7 Pässe pro Spiel. Es ist der geringste Wert der Liga, der sich auch dadurch erklären lässt, dass die Mannschaft viele Flanken aus dem Halbfeld schlägt oder Unterschiedsspieler Jean-Luc Dompé aus einer tieferen Position ins Dribbling geht.
Baumgart und das HSV-Problem in Hälfte zwei
Baumgarts abwartender und vermeintlich risikoloserer Ansatz birgt allerdings das Risiko, dass der HSV speziell nach eigener Führung die Spielkontrolle verliert. Gegen Hertha (1:1), in Elversberg (2:4) und gegen Nürnberg (1:1) hat der Club schon sieben Punkte nach einer Führung verspielt. In Köln (2:1) rettete die Mannschaft das Ergebnis geradeso über die Zeit, nachdem sie sich im Laufe des Spiels immer weiter zurückgezogen hatte.
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Aus dem tiefer stehenden Ansatz resultiert eine Diskrepanz zwischen den beiden Halbzeiten. Zu häufig kommt der HSV nach dem Seitenwechsel nicht mehr in seine Umschaltmomente und lässt mitunter jegliche Dominanz vermissen. „Es ist meine Aufgabe, die Jungs zu mehr Ruhe zu bringen, wir brauchen Spielkontrolle“, hadert auch Baumgart.
Zwar stellen die Hamburger mit 24 Punkten und 14:3 Toren ligaweit die beste Bilanz in den ersten 45 Minuten. Doch in der zweiten Halbzeit steht der Club nur noch auf Platz 15 mit elf Punkten und 12:14 Toren. Elf dieser Gegentore kassierte der HSV in den ersten 20 Minuten nach Wiederanpfiff. Ein Problem, für das Baumgart noch keine Lösung gefunden hat.
An Verbesserungspotenzial mangelt es also nicht. Schon in einem Geheimtest am Mittwoch könnten erste Veränderungen sichtbar werden, die sich auch Kapitän Schonlau wünscht. Sein Schlusswort: „Ich freue mich auf die Länderspielpause.“ Es gibt viel zu tun.