Hamburg. Der Trainer legt einen völlig anderen Fokus auf die Spiele. Die Mannschaft hat etwas Zeit benötigt, um diese Idee umzusetzen.

Wenn Steffen Baumgart am Sonnabend zu seiner Mannschaft spricht, wird er jeden einzelnen Spieler in die Pflicht nehmen. Nach den beiden Heimsiegen des HSV gegen die Aufsteiger Preußen Münster (4:1) und Jahn Regensburg (5:0) soll das neue Erfolgskonzept auch im Auswärtsspiel beim 1. FC Kaiserslautern (20.30 Uhr/Sky, Sport1 und im Liveticker bei abendblatt.de) zur Anwendung kommen. Wer nun allerdings glaubt, nach neun Toren in zwei Spielen sei damit die offensive Power gemeint, der sieht sich getäuscht. Denn viel wichtiger ist Baumgart seit dieser Saison die defensive Stabilität.

„Es ist unser erstes Ziel, dass wir so wenig wie möglich defensiv zulassen“, gewährte Mittelfeldspieler Jonas Meffert im vereinseigenen Format „Spieltagscheck“ Einblicke in die seit dieser Saison deutlich modifizierte Herangehensweise. „Wir legen unser Augenmerk darauf, dass unsere Abwehr sehr stabil steht und alle mit nach hinten arbeiten, um so wenig Gegentore wie möglich zu kassieren.“

HSV legt großen Wert auf Defensive

Nach den ersten fünf Spielen dieser noch jungen Saison ist dieser Ansatz auch deutlich erkennbar. Gerade einmal vier Gegentore hat der HSV bislang zugelassen. Das entspricht einem Schnitt von 0,8 pro Partie nach 1,3 in der vergangenen Saison. Und das, obwohl die Topspiele in Köln (2:1), gegen Hertha (1:1) und in Hannover (0:1) bereits absolviert wurden. Auffällig ist zudem, dass die Defensive mit Ausnahme des Köln-Spiels kaum Großchancen zulässt. Bezeichnend: Gegen Regensburg musste Torhüter Daniel Heuer Fernandes in der 73. Minute das erste Mal mit seinen Händen eingreifen.

„Wenn man ein großes Ziel verfolgt, dann braucht man eine stabile Defensive. Das haben uns Düsseldorf und die beiden Aufsteiger klar vorgemacht“, erklärt Baumgart seine taktische Ausrichtung. Mit 36 Gegentoren hatte Stadtrivale und Zweitligameister FC St. Pauli die beste Abwehr der Liga gestellt, gefolgt von Aufsteiger Kiel (39) und Relegationsteilnehmer Düsseldorf (40). Der HSV kassierte dagegen 44 Treffer.

Wie es zum neuen HSV-Ansatz kam

Im Sommer, als die Grundlagen für die neue Spielidee gelegt worden waren, legte der HSV-Coach den Fokus auf eine kompakte Defensive und schnelles Umschalten nach Ballgewinnen. Bis zum Ende des zweiten Trainingslagers im Salzburger Land, also eine Woche vor dem Saisonstart in Köln, hatte die Mannschaft kaum Torabschlüsse oder offensive Spielzüge trainiert. Stattdessen ging es in der täglichen Arbeit verstärkt um das gemeinsame Verteidigen und hohe Anlaufen bei gegnerischem Ballbesitz.

„Wir haben in der Vorbereitung einen sehr großen Fokus auf die Defensive gelegt und im Vergleich zum Vorjahr deutlich etwas verändert. Das Trainerteam hat einen Weg gefunden, der sehr gut ist“, sagt Kapitän und Awehrchef Sebastian Schonlau, der sich über deutlich intensiver verteidigende Vorderleute freuen darf. Gerade die beiden sich optimal ergänzenden defensiven Mittelfeldspieler Meffert und Chef-Balleroberer Daniel Elfadli ersticken viele Angriffsbemühungen des Gegners bereits im Ansatz. Doch auch die offensiven Schienenspieler sind in die Defensivarbeit mit eingebunden.

WIe sich Baumgart mit der Zeit wandelte

Mit dieser Philosophie geht Baumgart ein Stück weit zurück zu seinem Ursprung. „Mein eigentlicher Ansatz, als ich Trainer wurde, war eigentlich, stabil zu stehen und gut nach vorne zu spielen. Dazu komme ich mittlerweile ein bisschen wieder zurück. Schon in meiner Arbeit für den Fußballlehrer habe ich darüber geschrieben, wie man einen Bus parkt und kontert. Diesen Ansatz habe ich mit Paderborn geändert“, räumt der HSV-Coach eine Veränderung seines Spielstils im Laufe der Jahre ein.

Zu seiner Zeit in Paderborn stand der 52-Jährige noch für viele Tore und Gegentore und auch bei seiner Antrittspressekonferenz in Hamburg bezeichnete er die Chance auf Zu-Null-Spiele als „selten“. Doch inzwischen ist er von wildem Spektakelfußball abgekommen.

„Das bedeutet nicht, dass man hinten drinsteht, sondern wir wollen aus einer klaren, stabilen Formation immer wieder zu Torchancen kommen“, erklärt Baumgart, der diesen Spielstil erst nach mehreren Monaten seiner auf Tim-Walter-Fußball eingestellten Mannschaft beibringen konnte. „Es mag für den einen oder anderen ein Umdenken sein.“

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Möglicherweise wird der HSV in Kaiserslautern allerdings auch mal zu tief hinten drinstehen, so wie es in bestimmten Spielphasen dieser Saison schon häufiger zu beobachten war. Besonders in der Schlussphase rechnet Baumgart mit druckvollen Gastgebern. „Der Betzenberg gehört zu einer absoluten Topadresse. Gerade hinsichtlich der letzten Viertelstunde, wenn Lautern auf den eigenen Fanblock spielt. Ich habe es selbst als Spieler erlebt, was da abgeht, wenn ein Freistoß und eine Ecke nach der anderen in den Strafraum hereinfliegt“, prognostiziert der Trainer, der voller Vorfreude einen „heißen Tanz“ erwarte.

In der vergangenen Saison trat der HSV ebenfalls an einem Sonnabendabend auf dem Betzenberg an. In einem wilden und offen geführten Schlagabtausch kämpften sich die Hamburger nach einem 1:3-Rückstand wieder zurück, hatten bei ihrem Punktgewinn am Ende aber Glück, dass die Gastgeber gleich zwei hochkarätige Konterchancen liegen ließen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der damals noch von Walter trainierte HSV seine Restverteidigung längst aufgelöst und alles auf eine Karte gesetzt. Ein Jahr später ist eine solche Spielweise unter Baumgart nicht mehr zu erwarten.