Hamburg. HSV-Trainer bleibt. Der Club strebt Veränderungen auf dem Platz an und kämpft gegen interne Widerstände an. Wie es jetzt weitergeht.
Am Wochenende gab es Gesprächsbedarf beim HSV. Steffen Baumgart redete mit den Spielern, mit Vorstand Stefan Kuntz und Sportdirektor Claus Costa. Das Ergebnis: Die verheerende 1:3-Pleite am Freitagabend bei Eintracht Braunschweig resultierte aus individuellen Fehlern, darin sind sich alle im Volkspark einig. Symptome einer instabilen Spielanlage, die sich auf das Selbstvertrauen der Spieler und damit auch die Fehlerquote auswirken würden, hat dagegen keiner der Verantwortlichen ausgemacht.
Deshalb geht es vorerst ohne personelle Konsequenzen weiter. Baumgart bleibt Trainer des HSV. Dem Vernehmen nach kommen bei Kuntz keine Zweifel auf – weder am Trainerteam noch am Kader. Baumgart hat nun die Länderspielpause über Zeit, an Verbesserungen zu arbeiten. Denn die muss es zweifellos geben, wenn der HSV nicht auf ein achtes Zweitligajahr in Folge hinsteuern will.
HSV am Tiefpunkt: Wie gut ist der Kader wirklich?
In Braunschweig erreichten die Hamburger ihren vorläufigen Tiefpunkt. Noch nie holte der Zweitligist nach zwölf Spieltagen weniger Punkte als aktuell (19). Nur in der Saison 2020/21, dem ersten Jahr unter Tim Walter, stand der HSV zu diesem Zeitpunkt mit dem gleichen Ertrag da. In allen anderen Jahren hatte der Club nach zwölf Spielen immer mindestens 23 Punkte auf dem Konto. Wie passt es also zusammen, dass der vermeintlich beste Kader für die schlechteste Punkteausbeute steht?
Im Volkspark sind die Verantwortlichen davon überzeugt, dass Baumgart seinen Kader noch nicht voll ausreizen konnte. Die Neuzugänge Emir Sahiti und Silvan Hefti fehlten zuletzt verletzt. Marco Richter ist weit entfernt von seinem Leistungsniveau, und auch Verteidiger Lucas Perrin wird Steigerungspotenzial attestiert. Gleichzeitig hat sich Baumgart selbst eine Baustelle aufgemacht, indem er auf die Qualitäten von Bakery Jatta und Immanuel Pherai fast gänzlich verzichtet. Das größte Problem bleibt allerdings, den monatelangen Ausfall von Torjäger Robert Glatzel zu kompensieren.
Bis zu seiner Verletzung war der 30-Jährige in bestechender Form. Er traf im Schnitt alle 61 Minuten und harmonierte gut mit Sturmpartner Davie Selke. Dann aber verletzte sich Glatzel schwer. Ein Umstand, der ein Teil der Erklärung für die aktuelle Aufstiegskrise und drei sieglose Ligaspiele in Serie ist.
HSV war schon auf gutem Weg unter Baumgart
Einen anderen Ansatz hat der HSV in den eigenen Reihen ausfindig gemacht. Nach jahrelangem Misserfolg, der schon vor dem Abstieg begann, haben die Verantwortlichen bei einigen im Volkspark eine zweifelnde Grundhaltung ausfindig gemacht. Dem Vorstand ist deshalb viel daran gelegen, mehr Optimismus im Verein zu etablieren, um Widerstände besser zu überwinden. Zumal das Momentum auch schnell wieder kippen kann. Schon am nächsten Spieltag ist je nach Sieg oder Niederlage von Platz eins bis zwölf alles möglich – so eng ging es wohl nur selten zu.
Dennoch darf die Weiterhin-ist-alles-möglich-Situation nicht darüber hinwegtäuschen, dass beim HSV eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft. Dabei schien der Club vor drei Wochen nach den Siegen in Düsseldorf (3:0) und gegen Magdeburg (3:1) auf einem guten Weg. Doch die darauffolgende 2:4-Pleite in Elversberg hat eine Kerbe in das Gesamtkonstrukt gerissen. Wie konnte es dazu kommen?
„Es gibt Fragen, bei denen ich weiß, dass sie kommen. Aber ich kann sie nicht beantworten“, sagte Baumgart, der dann doch einen Ansatz fand. „Wir müssen in der Lage sein, Fehlerketten zu unterbinden. Das liegt in meiner Verantwortung.“ In Braunschweig waren es die Routiniers Jonas Meffert und Sebastian Schonlau, deren Aussetzer zu Gegentoren führten. Aber auch die zuletzt so starken Miro Muheim und Daniel Elfadli patzten. „Individuelle Fehler kosten uns im Moment zu viel“, urteilt Baumgart.
Individuelle Fehler als HSV-Ausrede?
Der Verweis auf individuelle Fehler diente schon in der Vergangenheit häufig als Begründung für schlechte Ergebnisse. Ex-Trainer Tim Walter nutzte diese Art der Analyse nach Niederlagen fast schon reflexartig als Ausrede. Über die fehlende Absicherung verlor er dagegen kein Wort.
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Sein Nachfolger Baumgart fiel bislang nicht durch diesen Sprachgebrauch auf. Doch in Braunschweig wirkte er ratlos. Der 52-Jährige hat als oberstes Ziel in dieser Saison eine stabile Defensive ausgerufen, damit es endlich mit dem Aufstieg klappt. Im Eintracht-Stadion präsentierte sich die Abwehr allerdings so instabil wie lange nicht. „Es ist meine Aufgabe, die Jungs zu mehr Ruhe zu bringen, wir brauchen Spielkontrolle“, gibt sich der HSV-Trainer selbstkritisch.
An der Bereitschaft seiner Spieler äußerte er dagegen keine Zweifel. „Ich habe keinen gesehen, der in puncto Intensität und Laufbereitschaft danebenlag“, sagte er nach dem Braunschweig-Spiel. Die Daten geben seiner Analyse recht. So ähnlich sehen es deshalb auch die Verantwortlichen, die weiterhin überzeugt von Baumgart und der Mannschaft sind.
HSV: Was Baumgart ändern will
Trotz des Vertrauens in die handelnden Personen strebt der HSV Veränderungen auf dem Platz an. Als Hauptgrund für die aktuelle Misere hat Baumgart eine schlechte Strafraumbesetzung ausgemacht. In Braunschweig führte keine der 24 Flanken (!) zu einem eigenen Treffer. Um in Zukunft wieder mehr Torgefahr zu entwickeln, soll der gegnerische Strafraum häufiger und mit mehr Personal besetzt werden. Entsprechende Lösungsansätze zeigte der Trainer am Sonnabend in der Mannschaftssitzung auf.
Das anschließende Spielersatztraining leitete er mit der nötigen Ruhe und Souveränität. Die Zeit des Draufhauens auf die Spieler, so wie vor zwei Wochen nach dem Elversberg-Spiel, ist erst einmal vorbei im Volkspark. Doch die Fragezeichen bleiben.