Hamburg. Konflikt zwischen Fans und Polizei droht zu eskalieren. Drohen härtere Maßnahmen wie auf Schalke? Eine Einordnung.

Wenn der HSV am Sonntag im Volksparkstadion den Aufsteiger Wehen Wiesbaden empfängt, werden viele Augen auf die Nordtribüne gerichtet sein. Vier Wochen nach dem umstrittenen Polizei-Einsatz von Bergedorf, bei dem 855 HSV-Fans teilweise sechs Stunden unter fragwürdigen hygienischen und humanitären Bedingungen festgehalten wurden, lautet die wesentliche Frage: Reagiert die aktive Fanszene mit einer weiteren Botschaft im andauernden Konflikt mit der Polizei?

Nachdem beim letzten Heimspiel gegen Osnabrück (1:2) eine Polizeiuniform verbrannt worden war, fanden mehrere intensive Gespräche zwischen Ultras und dem HSV sowie dem Club und der Polizei statt. Dabei soll der polizeiliche Einsatzleiter einen positiven Eindruck hinterlassen haben, als er sich auf Augenhöhe mit dem Fan- und Gremienrat austauschte.

Sein Besuch gilt als außergewöhnlicher Vorgang. Und trotzdem sind Vertreter der aktiven Fanszene und der Polizei bislang noch nicht an einen Tisch zu bekommen.

HSV-Ultras und Polizei: Deeskalation gefordert

Dass die Polizei auf die verbrannte Uniform keine Gegenreaktion in Form einer erneuten Razzia folgen ließ, wird als erste deeskalierende Wirkung der vermittelnden Dialoge gewertet. Beim HSV ist die Hoffnung deshalb groß, dass die Ultras gegen Wiesbaden nicht die nächste Eskalationsstufe zünden. Überhaupt verfolgt der Club als prioritäres Ziel, die Eskalationsspirale zu stoppen, damit es in dem sich hochschaukelnden Konflikt nicht zu weiteren Grenzüberschreitungen kommt.

„Wir setzen darauf, dass auch in der Fanszene nun die Erkenntnis einsetzt: Hier steht gerade viel auf dem Spiel. Ab einem gewissen Punkt können wir die Privilegien nicht mehr aufrechterhalten, dann entscheiden andere“, sagte der Leiter Fankultur Cornelius Göbel vor Kurzem in einem Interview auf der vereinseigenen Webseite. Konkret geht es um die sogenannte Choreografie-Freiheit beim HSV.

HSV sorgt sich um Privilegien der Ultras

Bislang melden die Ultras ihre Choreo beim Club an, der diese auf einer Sicherheitsbesprechung freigibt. Dabei gibt es zwar nie eine Garantie, dass die Fans auch die Inhalte präsentieren, die sie anmelden. Doch bislang funktionierte dieser Prozess weitgehend reibungslos.

Bis zum Heimspiel vor drei Wochen gegen Elversberg, als die Ultras als Reaktion auf den Polizeieinsatz von Bergedorf mit Plakaten wie „Ganz Hamburg hasst die Polizei“ und „ACAB“ („All Cops Are Bastards“) reagierten. Eine Schmähparole, die wörtlich „Alle Bullen sind Bastarde“ bedeutet.

„Wir werden alles daransetzen, an die Eigenverantwortung zu appellieren und daran zu erinnern, wie schnell die schwer erarbeiteten Privilegien verloren gehen können. Das sollte niemand riskieren wollen“, sagte Göbel in jenem Interview.

Greift Polizei in Choreo-Genehmigungen ein?

Welche Folgen den HSV-Ultras drohen, ist an wenigen anderen Standorten wie beim FC Schalke zu beobachten. Nach einem eskalierten Konflikt mit der aktiven Fanszene hat dort seit Jahren die Polizei das letzte Wort bei der Genehmigung von Choreografien. In der Folge wurden viele Choreos verboten, obwohl der Verein diese freigegeben hätte.

Wie sich das in der Praxis verhält, bekamen die HSV-Fans zum Rückrundenstart auf Schalke (2:0) am eigenen Leib zu spüren, als die Beamten die Gäste-Choreo verboten hatten. Die Begründung: Es soll die Gefahr bestanden haben, die Banner könnten als Blickschutz für die Vorbereitung von Pyrotechnik missbraucht werden. Eine Sichtweise, die auch Schalke hinterher kritisierte, doch an der Entscheidung der Polizei war nicht mehr zu rütteln. Aus Solidarität verzichteten die S04-Ultras in der Folge auf ihre eigene Choreografie, obwohl sie fast ein Jahr lang auf eine solche Genehmigung warten mussten.

Auch in Darmstadt untersagte die Polizei schon einmal eine Choreo der HSV-Fans. In Hamburg wollen die Beamten die Entscheidungshoheit jedoch vorerst nicht für sich beanspruchen, da „die Zuständigkeit beim Hausrechtsinhaber liegt“, teilte die Polizei auf Anfrage mit. Es ist ein Satz, der die Frage nach der rechtlichen Grundlage aufwirft. Das Abendblatt hat mehrere Fachanwälte für Sportrecht kontaktiert, um für Klarheit zu sorgen. Doch die Meinungen gehen auseinander. Ein Umstand, der zeigt, wie komplex die Materie ist.

Hat Polizei rechtliche Grundlage für Choreo-Verbot?

„Fan-Choreografien fallen in den Bereich der Meinungsfreiheit“, sagt Jurist Hermann Lindhorst. „Ich sehe keine gesetzliche Grundlage, eine Choreo erst von der Polizei genehmigen zu lassen.“ Der Hamburger Anwalt Kolja Hein hält dagegen: „Der HSV hat zwar grundsätzlich das Hausrecht, aber in Fußballstadien gilt das Versammlungsrecht, das besagt, dass die Polizei eingreifen darf, wenn die Gefahr der öffentlichen Sicherheit vorliegt.“

Ähnlich argumentiert auch die Polizei Gelsenkirchen auf Anfrage. Sie sieht ihre Verantwortung darin, das Sicherheitskonzept im Stadion zu genehmigen – und dieses beinhalte nun mal auch Fan-Choreografien. Anwalt René Lau zweifelt daran: „Solange der Verein von seinem Hausrecht Gebrauch macht, hat die Polizei keinen Einfluss auf den Genehmigungsprozess.“

Gleiches gilt auch für den FC St. Pauli, der Choreografien vorab auf einer Spieltagssitzung auch mit der Polizei bespricht. Angeschaut werden diese aber nicht – weder vom Verein noch von den Beamten. Wie beim HSV gibt es auch im Millerntor-Stadion verschiedene Räume, wo die Materialien für eine Choreo gelagert werden.

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Unabhängig von dem, was die Polizei geplant hat, will der HSV keine Privilegien streichen. Geplant sind weder Materialverbote noch strengere Einlasskon­trollen. Auch der Zugang zu Räumen im Volkspark soll den Ultras erhalten bleiben, weil der Club eine positive Wirkung solcher Kollektivstrafen infrage stellt. Es ist eine Sichtweise, die Fanforscher Lange teilt. „Das wirksamste Mittel gegen Gewalt kommt aus der Kurve“, lautet seine These, für die es allerdings keine Belege gibt. Wie aber geht es nun weiter?

„Es ist zu erwarten, dass sich der Konflikt zwischen Ultras und Polizei weiter verschärft. Dabei ist gerade jetzt genau das Gegenteil vonnöten“, sagte Lange dem Abendblatt. „Die verbrannte Polizeiuniform zeigt, dass das Verhältnis zwischen den Fans und der Polizei am Boden liegt.“

Für den Fanforscher können nur weitere Dialoge zu einer Lösung führen. „Ich sehe die Polizei als staatliche Institution in der Pflicht, den ersten Schritt einer deeskalierenden Kommunikation zu gehen.“