Hamburg. So schnell war ein neuer Trainer wohl noch nie in der Krise. Wie er sich jetzt verhält und warum auch Boldts Zukunft vom Erfolg abhängt:
Das Wort Komfortzone ist nicht nur im Volkspark negativ behaftet. Es beschreibt eine stagnierende Entwicklung in einem für Gewohnheit stehenden Umfeld. Steffen Baumgart hat die fehlende Bereitschaft der HSV-Profis, die eigene Komfortzone zu verlassen, als Hauptgrund für fünf verpasste Aufstiege in Folge ausgemacht.
Der neue HSV-Trainer kämpft gegen diesen Zustand an, indem er viel von seinen Spielern einfordert. Nach der Heimniederlage gegen Osnabrück (1:2) beklagte Baumgart die mangelnde Mentalität, nach dem Düsseldorf-Spiel (0:2) schimpfte er über die ausgebliebene Umsetzung seines Plans.
HSV-Coach Baumgart kämpft gegen Komfortzone
Mit seiner deutlichen und öffentlichen Kritik will Baumgart die Spieler an ihre Leistungsgrenze führen und sie dazu bringen, an ihre Schmerzgrenze zu gehen. Mit dieser Art will er die Wohlfühloase durchbrechen, die sein Vorgänger Tim Walter mutmaßlich aufgebaut hat, indem er sich stets schützend vor die Mannschaft stellte.
Das Ergebnis ist mit zwei Niederlagen in den ersten drei Spielen allerdings ernüchternd. So schnell wie Baumgart befand sich wohl noch nie ein neuer HSV-Coach in der Krise.
Es ist eine Situation, die auch für den Bundesliga-erfahrenen Trainer neu ist. Beim 1. FC Köln hatte er auf Anhieb Erfolg, nachdem er anfangs belächelt worden war, als er vom großen Potenzial des Kaders sprach. Doch die Zweifel sollten schnell verstummen. Der von einer Euphoriewelle getragene Baumgart führte Köln gleich in seinem ersten Jahr in die Uefa Conference League.
HSV-Krise: Wie sich Baumgart verhält
In Hamburg, wo er anfangs als großer Heilsbringer gesehen wurde, ist die Euphorie nach nur drei Spielen bereits verflogen. Der Trainerwechsel hat die Mannschaft bislang eher noch mehr verunsichert. Baumgart, der einen ganz anderen Fußball spielen lässt als Walter, ist aufgefallen, dass den Spielern durch ihre aktuell sehr fehlerhafte Spielweise die Sicherheit abhandengekommen ist. Weil jede Veränderung vom Unterbewusstsein zunächst einmal überprüft wird, ob es sich um eine Gefahr handeln könnte?
Es ist das typische Problem einer Komfortzone, die Baumgart intern ganz anders bekämpft, als es nach außen den Anschein erweckt. So soll er nach Niederlagen noch enger an die Mannschaft heranrücken und sie mit vielen Gesprächen unterstützen.
Der 52-Jährige will auch in der Krise die Ruhe bewahren, verlässlich bleiben und von seiner klaren Ansprache nicht abweichen. Von Aktionismus hält Baumgart nichts. Zumal das Team grundsätzlich mitziehen und offen für seine Spielidee sein soll. An seiner Art als Trainer soll er deshalb nicht zweifeln.
Was in der HSV-Offensive nicht passt
Um die Verunsicherung zu lösen, braucht der HSV jedoch dringend ein Erfolgserlebnis beim Heimspiel am Sonntag gegen Wiesbaden. Baumgart wird in den nächsten Tagen genau beobachten, wer in der Lage ist, seine Ideen umzusetzen.
Ein Thema bleibt die schlechte Strafraumbesetzung. Der Trainer fordert ein direktes Offensivspiel mit vielen Flanken und Präsenz von mehreren Profis im Sechzehner. Doch in den Köpfen der Spieler steckt oftmals noch der auf lange Ballstafetten ausgelegte Walterball. In der Folge suchen die Flügelspieler um Bakery Jatta häufig den Rückpass, anstatt zielstrebig Richtung Tor zu ziehen, wie von Baumgart gefordert.
Außerdem will der neue HSV-Coach die Gegner durch laufintensives Pressing zu Fehlern zwingen, doch bisher stimmt die Positionierung der Angreifer sowie deren Anlaufverhalten überhaupt nicht mit seinem Plan überein.
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HSV-Boss Boldt braucht Baumgarts Erfolg
Für seine weitreichenden Änderungen bleiben Baumgart nur noch neun Spiele Zeit. Danach findet die große Analyse im Volkspark statt, bei der es auch um die Zukunft von Sportvorstand Jonas Boldt geht. Nach mehreren durchwachsenen Transferperioden und dem mutmaßlich zu langen Festhalten an Walter wird der Manager im Aufsichtsrat längst kritisch gesehen.
Im Falle eines erneut verpassten Aufstiegs könnte es zur Trennung mit Boldt kommen. Für dem ihm eng verbundenen Direktor Profifußball Claus Costa könnte es dann ebenfalls um seinen Job gehen.
Wie es personell im Volkspark weitergeht, hängt daher maßgeblich vom Erfolg Baumgarts ab. Doch dafür muss der Trainer die Spieler aus der Komfortzone bringen. Viel Zeit bleibt ihm dafür nicht.