Hamburg. Wenn Investorenmodelle scheitern. Hertha-Chef kassierte Millionen-Prämie. Was der HSV den Berlinern voraus hat.
Am Freitag wurde der Traum von der Königsklasse Realität. Neun Jahre nach der Ausgliederung der Profis in die HSV AG und dem „Aufstellen für Europa“, wie das Motto von HSVPlus hieß, die mit vielen Millionen Klaus-Michael Kühnes den Weg frei für internationalen Glanz machen sollte, finden in dieser Saison die lang ersehnten Champions-League-Spiele im Volksparkstadion statt. Allerdings ist der Gastgeber nicht der HSV, sondern Schachtar Donezk.
Immerhin steht für den HSV bereits am Sonnabend ein Topspiel gegen den Ex-„Big City Club“ Hertha BSC an (20.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de). Zwei Traditionsclubs, Flutlicht, ausverkauftes Stadion – was könnte das Fußballherz mehr erfüllen? Doch die Sache hat einen Haken: Die Partie findet in der Zweiten Liga statt.
HSV – Hertha: die verbrannten Investoren-Millionen
Dabei hatten auch die Berliner ganz andere Pläne. Investor Lars Windhorst hatte bei seinem Einstieg 2019 eine „führende Position in Europa“ in Aussicht gestellt. Vier Jahre später ist er längst wieder Geschichte und hat einen „Sanierungsfall“ (Geschäftsführer Thomas Herrich) hinterlassen. HSV gegen Hertha ist somit auch ein Duell der gescheiterten Investorenmodelle. Wie aber konnte es so weit kommen, und welche Erkenntnisse lassen sich für die Zukunft gewinnen?
Die jüngere Geschichte der beiden Clubs weist einige Parallelen auf. Vereinfacht gesagt haben die Hamburger zuerst gezeigt, wie schlecht sie mit sehr viel Geld umgehen können, und Hertha hat diese Fehler fünf Jahre später in noch viel schlimmerem Ausmaß wiederholt.
Beim Blick ins Detail werden jedoch einige Unterschiede deutlich. Die offensichtlichste Diskrepanz liegt in der Menge des Geldes. Während Kühne inzwischen rund 150 Millionen Euro in den HSV investiert und davon nur einen geringen Teil zurückerhalten hat, überwies Windhorsts Tennor Group 374 Millionen Euro.
Hertha-Chef kassierte Elf-Millionen-Euro-Prämie
Eine Summe, bei der keiner so richtig weiß, wo sie geblieben ist – oder es zumindest nicht offiziell sagen will. Nach Abendblatt-Informationen kassierte Herthas damaliger Geschäftsführer Ingo Schiller eine vertraglich fixierte Millionen-Prämie für den Windhorst-Deal. Ein klarer Interessenkonflikt, denn der bei Hertha angestellte Schiller hatte einen monetären Vorteil an dem Deal, der die Berliner an den Rand des Ruins führte.
Provisionen für solche Geschäfte sind zwar üblich, auch HSV-Aufsichtsrat Markus Frömming soll für die Vermittlung bei Kühnes 14 Millionen Euro schwerem Anteilsverkauf an Thomas Wüstefeld (5,07 Prozent) bezahlt worden sein. Doch eine Zahlung im Millionenbereich ist ein ganz anderes Kaliber.
Hertha erhöhte Etat auf 80 Millionen
Kurz nach Windhorsts Einstieg soll der Etat um 50 Prozent auf rund 80 Millionen Euro gestiegen sein, ohne dass sich die Mannschaft qualitativ verbesserte. Auf der Geschäftsstelle wurden großzügige Gehaltserhöhungen verteilt, 120 Millionen flossen in den Schuldenabbau. Und so versickerte viel Geld substanzlos. Übrig ist nichts mehr.
Nebenbei wurden die komplette Führung ausgetauscht und acht Trainer verschlissen. In dieser hohen Frequenz wurde selbst beim HSV nicht das Personal gewechselt. Beide Clubs haben gezeigt, dass viel Geld alleine nicht viel hilft. Es braucht auch kluge Entscheidungen, so wie bei Pokalsieger RB Leipzig, der mit ähnlich viel Geld wie Hertha sportlichen Erfolg erreicht hat.
DFL-Sitzung: HSV und Hertha vorgeführt
Mit ihrem Missmanagement sind Berlin und Hamburg auch Gesprächsthema in DFL-Sitzungen. Sobald Vereine eine Neuverteilung der TV-Gelder fordern, die als Ursache für die zementierten Machtverhältnisse der Bundesliga gelten, sollen die großen Clubs Hertha und den HSV als Negativbeispiele aufzählen. Der populistische Tenor: Beide Modelle zeigten, dass die Vereine sowieso nicht mit Geld umgehen könnten.
Ist das Investorenmodell also gescheitert? Der HSV soll potenziellen Geldgebern nach wie vor offen gegenüberstehen. Allerdings will sich der Club nicht zum Spielball eines renditeorientierten Investoren machen, wie es bei Hertha der Fall ist. Als die US-Firma 777 Windhorsts Anteile für nur noch 65 Millionen Euro erwarb, wurden dem Club lizenzsichernde 100 Millionen Euro zugesagt. Wie hoch wohl diesmal die Provision ausfiel?
Rund die Hälfte der 100 Millionen wurde bereits überwiesen, der Rest soll in dieser Saison folgen. Im Gegenzug erhält 777 wahnwitzige 95 Prozent des Bilanzgewinns – sofern es dazu kommt. Zudem stellt die US-Firma zwei Vertreter des von neun auf fünf Personen verkleinerten Aufsichtsrats.
US-Investoren wollten beim HSV einsteigen
Auch beim HSV hätte es zum Einstieg eines US-Investoren kommen können. Voraussetzung wäre eine Rechtsformänderung in eine KGaA gewesen, um mehr als die aktuellen 24,9 Prozent der Anteile zu veräußern. In der Corona-Zeit hatten mehrere Interessenten ihre Pläne vorgestellt. Bevor es konkret wurde, lehnte der HSV die Offerten allerdings ab.
Aktuell halten die Hamburger nach lokalen Partnern Ausschau, die auf ein Mitspracherecht verzichten. Denn die Entscheidungen sollen weiterhin im Volkspark getroffen werden. Auch das ist ein Unterschied zu Hertha oder dem HSV von 2016, als Kühne (hält 15,21 Prozent der Anteile) rund 40 Millionen Euro investiert und mit seinen Beratern Volker Struth und Reiner Calmund die Transferpolitik mitgestaltet hatte.
Ähnliches ist nun in Berlin zu sehen, wo 777 stolze 78,8 Prozent KGaA-Anteile hält, die Stimmrechte aber für eine Sperrminorität Herthas deckeln musste, um nicht gegen die „50+1“-Regel der DFL zu verstoßen. Doch der Einfluss des bei sieben Clubs aktiven Investors ist immens. Wilfried Kanga wurde an Standard Lüttich verliehen, und Dodi Lukebakio soll an den FC Sevilla verkauft werden – zwei Clubs, die zum Portfolio von 777 gehören.
HSV hat neues Verhältnis zu Kühne
Der HSV hat sich aus dem Würgegriff seines Investors längst befreit und knüpft neue Deals mit Kühne an eigene Bedingungen. Deshalb lehnten die Hamburger auch die 120-Millionen-Euro-Offerte ab, mit der sich der Milliardär mehr Einfluss erkaufen wollte.
Stattdessen gab Kühne ein Darlehen von zehn Millionen Euro für die Stadionrenovierung (weitere zehn Millionen von Hamburger Familien) sowie 30 Millionen Euro, die in die digitale Infrastruktur und eben nicht in Transfers investiert werden sollen. In den nächsten Jahren stehen für den HSV keine Rückzahlungen an, sondern nur Zinsen von 3,75 sowie vier Prozent an Kühne.
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HSV – Hertha: Aus Fehlern gelernt?
Der HSV verpflichtet inzwischen entwicklungsfähige und möglichst ablösefreie Spieler, die später einmal gewinnbringend verkauft werden können. Unter Vorstand Jonas Boldt wurde in allen vier Jahren ein Transferüberschuss erwirtschaftet.
Ein Weg, den Hertha nun zwangsläufig gehen muss. Denn die DFL soll den Berlinern bei der ohnehin höchst wackligen Lizenzvergabe die Auflage eines 20-Millionen-Transferüberschusses erteilt haben.
Immerhin scheinen die handelnden Personen beider Clubs aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt zu haben. Präsident Kay Bernstein nannte seinen Club vor Kurzem ein „warnendes Beispiel“. Von der Champions League will bei Hertha erst mal keiner etwas hören.