Hamburg. Aufsichtsrat, Vorstand, Anteilseigner – die Grenzen im Volkspark verschwimmen. Beispiel: Jansen und Frömming sind nicht transparent.

Am Sonntag war Thomas Wüstefeld reif für die Insel. Nachdem sich der HSV-Vorstand am Vorabend noch über den glücklichen, aber verdienten 1:0-Sieg des HSV gegen den Karlsruher SC hatte freuen können, reiste er für ein paar Tage nach England – einer seiner drei Söhne wurde auf dem College in Birmingham eingeschult. Ob Wüstefeld den Kurztrip ins Vereinigte Königreich auch nutzte, um beim örtlichen Premier-League-Club Aston Villa vorbeizuschauen, ist dagegen nicht bekannt. Interessant wäre das aber auf alle Fälle.

Wie bei allen englischen Clubs üblich, wurde auch Aston Villa schon vor Jahren verkauft. Der US-Milliardär Randy Lerner besitzt 89,69 Prozent der Anteile. Am 18. September 2006 übernahm der frühere Besitzer des NFL-Teams Cleveland Browns auch Aston Villa, am Tag danach musste der komplette Vorgängervorstand gehen. In England gilt die Regel: Wer die Band bezahlt, darf bestimmen, welche Musik gespielt wird.

HSV News: 49,9 Prozent der Anteile dürfen verkauft werden

Was das alles mit dem HSV zu tun hat? Nichts! Und vieles. Denn obwohl die in Deutschland noch immer geltende 50+1-Regel verankert ist, nach der maximal 49,9 Prozent von Clubanteilen verkauft werden dürfen, sind gerade beim HSV die Strukturen, wer was besitzt und wer folglich auch was zu sagen hat, gar nicht so einfach. Um im Bild zu bleiben: Die Musik, die beim HSV gespielt wird, ist derzeit ziemlich laut und wild. Wer aber die HSV-Band bezahlt, wer möglicherweise „nur“ ein Bierchen ausgibt und welche Verquickungen untereinander es gibt, scheint beim HSV-Ensemble höchst kompliziert.

Stefan Prigge ist kein Musikexperte. Aber mit Verquickungen, finanziellen Abhängigkeiten und Ungereimtheiten kennt sich der Hamburger Professor der HSBA (Hamburg School of Business Administration) bestens aus. „Es gibt leider auch im Sport Governance-Probleme an allen Ecken und Enden. Da muss man nicht nur zur Fifa schauen“, sagt Prigge, der Gründungsmitglied des Sports Governance e.V. ist, der sich die Verbesserung der Führung auf allen Ebenen auf die Fahnen geschrieben hat. Und der HSV, da macht Prigge im Gespräch mit dem Abendblatt kein Geheimnis draus, hat im Hinblick auf die eigene Führung ein erhebliches Verbesserungspotenzial: „Beim HSV gibt es klare Interessenskonflikte.“

Wüstefeld im Zentrum der mutmaßlichen Interessenkonflikte

Im Zentrum dieser mutmaßlichen Interessenkonflikte steht England-Urlauber Wüstefeld, der Anteilseigner und Vorstand ist, sein Mandat als Aufsichtsratschef ruhen lässt und sich mit HSV-Partner Klaus-Michael Kühne angelegt hat. Viel mehr Interessenskonflikt geht nicht. Findet auch Prigge. „Ich sehe da schon eine potenzielle Gefahrenstelle, da die gebührende Neutralität von Herrn Wüstefeld den HSV-Partnern gegenüber durch seinen privaten Aktiendeal mit Herrn Kühne zumindest mal gefährdet ist“, sagt der Professor, der auch Bauchschmerzen bei der Konstellation mit Wüstefeld und Chefkontrolleur Marcell Jansen hat.

HSV-Aufsichtsrat Detlef Dinsel blitzte mit seinem Vorschlag der Aussprache bei den Kleinaktionären ab.
Detlef Dinsel Managing Partner, Head of Partnership Fund Strategy. © IK Partners

„Die sehr enge Verbindung zwischen Aufsichtsratschef Marcell Jansen und dem entsandten Vorstand Thomas Wüstefeld scheint mir schwierig“, sagt Prigge, der daran erinnert, dass beide bereits vor Wüstefelds Ritt durch die HSV-Gremien eine Geschäftsbeziehung hatten. Jansen kümmerte sich um den Vertrieb von Wüstefelds Firma – Wüstefeld spendete für Jansens gemeinnützigen Verein HygieneCircle. „Was mindestens zu erwarten wäre, ist, dass Herr Jansen im Aufsichtsrat den Vorgang transparent macht inklusive des Volumens, sodass die anderen Aufsichtsratsmitglieder entweder Herrn Jansen für befangen erklären können, sofern sie die Konstellation als problematisch ansehen, oder dass sie zumindest diesen Hintergrund kennen, wenn sie sehen, wie Herr Jansen als Aufsichtsratsvorsitzender agiert.“

Jansen will nicht verraten, wie viel Geld sein Verein von Wüstefeld erhalten hat

Das Abendblatt fragte Jansen und Wüste­feld mehrfach, wie viel Geld genau geflossen ist. Eine Antwort gaben die beiden wichtigsten HSV-Entscheider bis heute nicht – weder dem Abendblatt noch den Aufsichtsratskollegen. „Die Konstellation Jansen/Wüstefeld betrifft die neuralgischste Stelle in der HSV Fußball AG, denn hier treffen der Aufsichtsratsvorsitzende und der ,Geschäfts-Vorstand‘ (in Abgrenzung zum Sport-Vorstand) aufeinander“, sagt Prigge. „Gerade deshalb wäre die von mir angemahnte Aufsichtsrats-interne Transparenz so wichtig.“

Diese gibt es – allerdings nur auf dem Papier. So lässt der HSV auf Anfrage ausrichten, dass es Regelungen zur Vermeidung von und zum Umgang mit potenziellen Interessenkonflikten in der Satzung (Inkompatibilität), in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats, in der Geschäftsordnung des Vorstands und darüber hinaus in den Regelungen des Compliance Management Systems der HSV Fußball AG gebe. Doch wie wird das alles kontrolliert? Die schriftliche Antwort des HSV: „Der Aufsichtsrat als Gesamtorgan überprüft potenzielle Interessenskonflikte des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds.“ Mit anderen Worten: Die Kontrolleure kontrollieren sich selbst.

Frömming wollte keine Auskunft über Provision geben

Wie gut das funktioniert, zeigt auch der nächste mutmaßliche Interessenskonflikt innerhalb des Aufsichtsrats, den nicht nur Prigge für eklatant hält. Protagonist ist diesmal Markus Frömming, der laut Prigge bei der Entscheidung über den Aktienverkauf und dessen Durchführung von der Kühne Holding an Thomas Wüs­tefelds CaLeJo GmbH je nach Zählweise zwei bis drei Hüte aufhatte: „Er sollte im besten Interesse der HSV Fußball AG handeln. Dazu auch noch im besten Interesse von Herrn Kühne, wobei der beste Aktienkäufer aus Sicht von Herrn Kühne nicht der beste Aktienkäufer aus Sicht der HSV Fußball AG sein muss. Schließlich würde er durch eine kolportierte Prämie noch einmal besonders incentiviert, die Interessen von Herrn Kühne zu vertreten und zu seinen privaten Interessen zu machen“, sagt Prigge – und urteilt: „Das wäre ein klarer Interessenskonflikt.“

Auch Frömming wollte auf mehrere Nachfragen nicht darüber Auskunft erteilen, wie hoch seine Provision bei dem von ihm begleiteten Deal zwischen der Kühne Holding und Wüstefelds CaLeJo GmbH gewesen ist – und wie hoch seine voraussichtliche Provision bei einem immer noch möglichen Deal zwischen Aufsichtsrat Detlef Dinsel und der Kühne Holding sein wird. Und an dieser Stelle droht auch schon der nächste Interessenskonflikt.

Kühne-Fraktion würde Wüstefeld absetzen wollen

So ist es kein Geheimnis, dass Neu-Aufsichtsrat Dinsel ebenfalls Anteile an der HSV Fußball AG von der Kühne Holding erwerben wollte, die Gespräche nach einer Due Diligence und einer vernichtenden Zustandsbeschreibung der HSV AG durch Vorstand (und Anteilseigner) Wüste­feld aber vorerst auf Eis gelegt hat. „Alles, was die HSV Fußball AG voranbringt, erhöht den möglichen Kaufpreis für Herrn Dinsel. Hier sehe ich einen klaren Interessenkonflikt“, sagt Prigge.

All diese aufgezeigten Interessenskonflikte wären im Übrigen schon bei einem „normalen“, harmonischen Aufsichtsrat ein echtes Problem – beim HSV kommt erschwerend hinzu, dass die Kontrolleure untereinander zerstritten und in verschiedenen Lagern sind. Auf der einen Seite die sogenannte Kühne-Fraktion mit Frömming, dem Kühne-Vertrauten Hans-Walter Peters und Lena Schrum, die Wüstefeld lieber heute als morgen als Vorstand absetzen wollen würden.

Professor Prigge sieht erhebliches Konfliktpotenzial

Auf der anderen Seite das sogenannte E.V.-Lager mit HSV-Präsident Jansen, Vizepräsident Michael Papenfuß, dem stellvertretenden Aufsichtsratschef Andreas Peters und dem designierten Chefkontrolleur Dinsel, die gleich zwei wichtige Themen auf ihrer Agenda haben. Zum einen steht das Quartett trotz aller Reibereien und der Abendblatt-Enthüllungen um die Anzeigen gegen den Unternehmer Wüstefeld weiterhin fest hinter dem Interimsvorstand. Zum anderen hoffen Jansen und Co. sämtliche Pro­bleme bis zur ordentlichen Hauptversammlung im November auszusitzen, weil auf dieser der Aufsichtsrat zu ihren Gunsten umgebaut werden könnte.

Professor Prigge hält die Strategie des Aussitzens für keine gute. „Im Hinblick auf die möglichen Interessenskonflikte beim HSV ist ein erhebliches Konfliktpotenzial entstanden. Man braucht klare, transparente und öffentlich bekannte Regelungen“, sagt der Experte, dessen Sport-Governance-Kommission im vergangenen Jahr einen eigenen Kodex entwickelt hat.

HSV News: Andreas Rettig bei Kommission dabei

In der Kommission dabei waren unter anderem auch der frühere St.-Pauli-Geschäftsführer Andreas Rettig, das ehema­lige (und später rausgeworfene) Mitglied der Fifa-Ethik-Kommission Hans-Joachim Eckert und der Geschäftsführer des VfL Bochum, Ilja Kaenzig. Letztgenannter ist im Übrigen auch der erste Bundesligist, der eine Entsprechenserklärung zum Governance-Kodex abgegeben hat.

Und Aston Villa? Verfolgt keinen entsprechenden Kodex, liegt aber trotz all der Millionen von Besitzer Randy Lerner nur wegen der mehr geschossenen Tore derzeit nicht auf einem Abstiegsrang. Noch ist die Musik aber nicht verstummt.