Berlin. Der Trainer von Hertha BSC spricht über das Duell in Hamburg, die Parallelen zwischen Hertha und dem HSV und seine Söhne.

Für Pal Dardai beginnt der Arbeitstag bereits um 7.30 Uhr auf der Geschäftsstelle von Hertha BSC. Nach dem Abstieg in die Zweite Liga hat der Trainer keine Zeit zu verlieren, um den Umbruch einer jungen Mannschaft voranzutreiben.

Direkt nach einer Teamsitzung spricht der Ungar mit dem Abendblatt über das anstehende Duell beim HSV und wie er den Hauptstadtclub zum dritten Mal aus einer schwierigen Lage befreien will.

Hamburger Abendblatt: Herr Dardai, waren Sie heute fies zu Ihrer Mannschaft?

Pal Dardai: Nein. Warum?

Sie hatten sich selbst mal als „fies“ in Teambesprechungen bezeichnet, um das Maximum aus den Spielern herauszukitzeln. Beschreiben Sie mal den „fiesen“ Pal Dardai.

Dardai: Der fiese Pal Dardai ist auch der ehrliche. Manchmal müssen Fehler klar angesprochen werden, sonst lernen die Jungs daraus nicht. Meine Ansprache kann auch mal wehtun. Nur mit netten Worten erreicht man im Leistungssport nichts.

Bei Ihrer zweiten Amtszeit sollten Sie mit Hertha 2021 die Qualifikation für die Champions League erreichen.

Dardai: Das war die Forderung von Herrn Gegenbauer (Ex-Präsident; d. Red.) und Herrn Preetz (Ex-Sportchef). Dabei waren viele Nachwuchsspieler bei den Profis hervorragend integriert, und wir verfügten über ein positives Image, hatten ordentliche Saisons gespielt. Aber das war damals nicht genug für Hertha.

Dardai: Wie Hertha mit Geld umging, musste schiefgehen

Statt in der Champions League fand sich Hertha in der zweiten Tabellenhälfte der Bundesliga wieder, und Sie wurden auf Platz 14 stehend entlassen. Zu Beginn Ihrer aktuell dritten Amtszeit haben Sie eine nahezu aussichtslose Situation eines Tabellenletzten vorgefunden, die zum Abstieg führte. Hätten Sie gedacht, dass während Ihrer eineinhalbjährigen Pause so viel schiefläuft?

Dardai: Ich will ehrlich sein: So viele Millionen, wie Hertha in dieser Zeit für Ablösesummen und Gehälter ausgegeben hatte, das musste schiefgehen, es war nicht gesund. Inzwischen herrscht aber wieder eine vorbildliche Mentalität in der Mannschaft. Der Spaß und die Ehrlichkeit sind zurückgekehrt.

Die Führungsetage ist nun eine komplett andere. Präsident Werner Gegenbauer wurde durch Kay Bernstein, Sportchef Fredi Bobic durch Benjamin Weber abgelöst. Was ist die größte Veränderung, die mit dem neuen Personal einhergeht?

Dardai: Eigentlich hat sich für mich kaum etwas verändert. Jedes Mal wenn Hertha mich geholt hatte, steckte der Verein bis zum Kopf im Schlamassel, und ich sollte ihn aus dieser misslichen Lage befreien. Das ist jetzt auch wieder so. Eine Sache ist aber doch anders.

Welche denn?

Dardai: Die größte Stärke der aktuellen Führungspersonen ist ihre Ehrlichkeit. Sie machen keine falschen Versprechungen bei Spielertransfers und gehen mit unserer schwierigen finanziellen Situation transparent um. Ich weiß, woran ich bin, das gefällt mir.

Sie haben die Aufgabe, eine komplett neue Mannschaft mit einigen Talenten zu formen. Wie gelingt es, ein Gefüge mit jungen Spielern nach jahrelangem Misserfolg aufzubauen?

Dardai: Diese Sichtweise gilt nicht für unsere Nachwuchsspieler. Sie waren von der U9 bis zur U19 jahrelang erfolgreich, haben hart gearbeitet und eine Siegermentalität entwickelt. Einige Talente zu den Profis zu befördern hat uns gutgetan, sie bringen die nötige Lockerheit mit.

Dardai hofft auf weitere Abgänge

Sie nannten es mal Ihren Traum, bei Hertha ein System wie bei Ajax zu schaffen, also einen Club zu formen, der eine Topadresse für junge Spieler ist, die gewinnbringend verkauft werden. Lässt sich dieser Traum in der Zweiten Liga leichter realisieren?

Dardai: Normalerweise bietet ein Absteiger jungen Spieler nicht das optimale Umfeld, um sich langsam zu entwickeln. Bei uns werden die Talente ins kalte Wasser geworfen, in dem sogar Krokodile schwimmen. Trotzdem funktioniert diese Übergangsphase aktuell, auch wenn wir die ersten zwei Ligaspiele knapp verloren haben. Sie bietet auch eine Chance. Unser Teamgeist ist schon viel weiter, als ich es zu diesem Zeitpunkt der Saison erwartet hätte. Wir werden die Früchte unserer Arbeit ernten, davon bin ich überzeugt.

Sie sind jemand, der offen seine Meinung sagt und damit auch mal aneckt. Erreichen Sie die junge Generation noch mit Ihrer schonungslosen Art?

Dardai: Sie müssen eines wissen: Auch wenn sich die Eltern der Nachwuchsspieler stets wegen meiner härteren Gangart beschwerten, die Spieler haben mich geliebt. Natürlich muss ich heutzutage mehr mit jungen Talenten kommunizieren als früher. Ich kann nach der Peitsche aber auch ein Zuckerbrot verteilen.

Ihre Mannschaft wird sich bis zum Ende der Transferperiode noch verändern, viele Neuzugänge sind erst seit Kurzem dabei. Wie schwierig ist es für Sie, eine Mannschaft ohne richtige Vorbereitung zu formen?

Dardai: Das Problem teile ich mit meinen Trainerkollegen, aber ich werde mich darüber nicht beschweren.

Wo sehen Sie aktuell die größten Baustellen in Ihrem Kader?

Dardai: Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass uns neben Dodi Lukebakio auch Spieler verlassen, die aktuell eine wichtige Rolle spielen: Suat Serdar, Marco Richter oder Marc-Oliver Kempf. Wir müssen vorbereitet sein. Das ist für uns essenziell.

Dardai freut sich auf HSV-Trainer Tim Walter

Im Fußball geht es häufig um Automatismen und eine eingespielte Mannschaft. Wann wird Ihr Team am Leistungszenit sein?

Dardai: Im Idealfall wäre das jetzt bereits der Fall, doch uns fehlt noch die nötige Frische. Ich übernehme die Verantwortung für die Resultate der ersten drei Spieltage, weil die Spieler nach einer harten Vorbereitung erschöpft sind. Trotzdem fehlte uns gegen Düsseldorf und Wiesbaden auch die letzte Konsequenz. Daran müssen wir arbeiten.

Sie haben es zuletzt vermieden, ein Saisonziel zu benennen. Was wollen Sie mit Hertha erreichen?

Dardai: Wir befinden uns in einem Übergangsjahr, weil das Geld für hochkarätige Neuzugänge fehlt. Wir müssen mit unseren beschränkten finanziellen Mitteln einen neuen Teamgeist und eine neue Spielweise aufbauen. Für diese Aufgabe sind wir top motiviert.

Ist der Zweitligist Hertha BSC Ihre bislang schwerste Aufgabe als Trainer?

Dardai: Noch schwerer war meine Zeit bei Hertha in der vergangenen Saison, als die Mannschaft nicht harmonierte. Wir haben nun wieder eine positive Energie geschaffen, ich bin wirklich zufrieden.

Sie spielen als Nächstes gegen den HSV, der nun schon den sechsten Anlauf auf die Bundesligarückkehr unternimmt. Das Umfeld von Hertha fühlt sich in der Zweiten Liga ebenfalls falsch aufgehoben. Wie kann es aus Ihrer Sicht als Trainer passieren, dass bei beiden Clubs Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderliegen?

Dardai: Das ist ein mediales Thema. Ich bin doch der Erste, der aufsteigen will, aber wir müssen zunächst einmal eine stabile Mannschaft formen, die der HSV bereits hat.

In den letzten drei Bundesligajahren beschäftigte Hertha sechs Trainer und damit genauso viele wie der HSV. Wie viel haben die vielen Trainerwechsel damit zu tun, dass beide Clubs in der Zweiten Liga spielen?

Dardai: Dadurch sind immense Kosten entstanden, das Geld fehlte an anderen Stellen. Ich will aber keinen Zusammenhang zur Zweitklassigkeit beider Vereine herstellen.

Mit dem HSV treffen Sie auf eine Mannschaft, die einen ganz anderen spielerischen Ansatz als Hertha verfolgt, um die Zweite Liga wieder zu verlassen. Was halten Sie von Tim Walters spezieller Spielidee?

Dardai: Ich freue mich auf diese offensive Philosophie. Der HSV steht für ein Spektakel, dazu könnte es auch gegen uns kommen.

Also werden Sie keine defensiv geprägte Herangehensweise beim HSV wählen?

Dardai: Unsere Taktik bleibt unverändert. Wir wollen uns auch beim HSV nicht verstecken und auf Umschaltmomente durch unser Pressing im Mittelfeld setzen.

Dardai: Meine Söhne haben überhaupt keinen Vorteil

Sie werden beim HSV wieder auf die sportlichen Qualitäten Ihrer drei Söhne Marton, Palko und Bence setzen. Wie moderieren Sie dieses Thema innerhalb der Mannschaft?

Dardai: Ich habe den Spielern von Anfang an gesagt, dass sie sich sogar anonym bei mir beschweren können, wenn sie das Gefühl haben, ich bevorteile meine Söhne. Es gab bis heute nicht eine Mitteilung.

Sind Sie als Trainer strenger zu Ihren Söhnen oder lassen Sie mehr durchgehen als bei anderen?

Dardai: Meine Söhne haben überhaupt keinen Vorteil durch diese Konstellation. Bei vergleichbaren Fehlern kritisiere ich alle drei lauter als alle anderen Spieler. Für mich spielt dieses Thema überhaupt keine Rolle, mein Vater war auch mein Trainer. Palko, Marton und Bence helfen uns sportlich enorm weiter.

Sollte Ihre dritte Mission mit Hertha enden, gingen Sie dann erneut zurück in den Jugendbereich?

Dardai: Natürlich würde ich dann wieder eine Nachwuchsmannschaft trainieren. Ich habe auch nur einen Einjahresvertrag bei den Profis unterschrieben. Wenn mich Hertha irgendwann nicht mehr beschäftigen will, koste ich den Verein kaum Geld. Aber solange ich die Energie und die Freude für Hertha mitbringe, möchte ich diese Mannschaft trainieren.

Pal Dardai hat Respekt vor Union Berlin

Können Sie sich überhaupt vorstellen, einmal woanders Trainer zu sein?

Dardai: Der Gedanke daran fällt mir schwer. Vielleicht ist die Zeit irgendwann so weit, aber momentan brenne ich für Hertha.

Sie sind Herthas Rekordspieler (373 Pflichtspiele) und haben in der Champions League gespielt. Union Berlin war damals drittklassig. Inzwischen hat der Stadtrivale Hertha überholt. Leiden Sie mit den Fans?

Dardai: Ich habe großen Respekt vor Union. Wie der Verein geführt wird, hat Hand und Fuß. Ihr aktueller Erfolg ist der Lohn für harte Arbeit und viel Fleiß.

Inzwischen spielt Union in der Champions League und trägt die Heimspiele in diesem Wettbewerb im Olympiastadion aus. Wie sehr schmerzt das?

Dardai: Solange Union den Rasen im Stadion nicht kaputtmacht, stört mich das nicht (lacht).