Hamburg. Beim HSV wird es noch einige Abgänge geben. Die entscheidende Frage lautet: Wie anpassungsfähig ist Tim Walter?

Als die HSV-Profis und Trainer Tim Walter am Freitagnachmittag um 13.57 Uhr den abgesperrten Bereich entlang des HSV-Campus zum Trainingsplatz marschierten, starteten die rund 600 bereits auf ihre Idole lauernden Fans eine spontane Aktion. Nachdem einzelne begannen zu applaudieren, folgte ein Anhänger nach dem anderen. Eine motivierende Geste, die augenscheinlich auch die Spieler rührte.

Dreieinhalb Wochen nach der verlorenen Relegation gegen Stuttgart und dem abermals verpassten Saisonziel ist die Bindung zwischen Mannschaft und Fans weiterhin ungebrochen. Nun startet der HSV den bereits sechsten Anlauf, in die Bundesliga zurückzukehren.

Eine Aufgabe, die durch die namhaften Absteiger Schalke 04 und Hertha BSC nicht leichter werden dürfte. Und dennoch ist das Saisonziel klar: Diesmal soll der Aufstieg doch bitte schön gelingen. „Unsere Ziele werden weiter ambitioniert bleiben“, sagte Sportvorstand Jonas Boldt beim Trainingsauftakt. „Es ist noch ein Schritt zu gehen. Wir waren immer nah dran und versuchen, jetzt endlich durch die Tür durchzugehen.“

HSV-Vorstand Boldt verändert den Kader

Nun muss also eine Tür für die nächste Aufstiegsmetapher des HSV herhalten. Walter hatte die Mission Bundesliga in der Vergangenheit bereits mit einer Treppe verglichen, die man Stufe für Stufe aufsteigen müsse. Nun sieht sich der Club also ganz oben im Treppenhaus angekommen. Jetzt muss nur noch der Schlüssel passen.

Zumindest scheint es den Verantwortlichen gelungen zu sein, die richtigen Schlüsse aus der abgelaufenen Saison zu zielen. Nachdem die Schlüsselspieler Robert Glatzel (der seine Haare blondiert hat) und Ludovit Reis schnell von einem Verbleib überzeugt wurden, ist der in der Breite bislang nicht ausreichend besetzte Kader mit den Mittelfeldspielern Levin Öztunali (Union Berlin/ablösefrei) und Immanuël Pherai (750.000 Euro/Eintracht Braunschweig) sowie Innenverteidiger Guilherme Ramos (ablösefrei/Arminia Bielefeld) verstärkt worden.

Immanuël Pherai (l.) und Levin Öztunali (M.) sind die beiden bislang prominentesten Sommerneuzugänge beim HSV.
Immanuël Pherai (l.) und Levin Öztunali (M.) sind die beiden bislang prominentesten Sommerneuzugänge beim HSV. © Christian Charisius/dpa

Boldt kündigt HSV-Transfer an

Ramos wird nach einer Schulter-Operation allerdings erst zum Saisonauftakt gegen Schalke fit werden. Immerhin absolvierte der Abwehrspieler zum Auftakt weite Teile des Mannschaftstrainings, wenngleich er offensichtlich den Auftrag hatte, Zweikämpfen aus dem Weg zu gehen. „Er ist ein Verteidiger, ein Zweikämpfer, da muss die Schulter natürlich halten“, sagte Boldt, der mit Sonny Kittel nur einen namhaften Abgang zu beklagen hat.

Der Offensivspieler werde „fußballerisch und menschlich fehlen“, sagte der Manager, das Spielerpuzzle sehe er auf einem guten Weg. „Der Kader hat in vielen Bereichen schon ein gutes Konstrukt. Trotzdem wird noch etwas passieren.“

So will der HSV einen weiteren Innenverteidiger, der den wegen Dopings gesperrten Mario Vuskovic ersetzen soll, zwei Außenverteidiger für beide Seiten sowie einen defensiven Mittelfeldspieler verpflichten. „Es ist unbestritten, dass wir im Defensivbereich noch etwas machen wollen“, kündigte Boldt weitere Transfers an. „Es geht jetzt erst los.“

Der HSV-Stand bei Sazonov & Co.

In den Verhandlungen mit Magdeburg um den Sechser Daniel Elfadli (26) befinden sich die Hamburger nach Abendblatt-Informationen auf der Zielgeraden. Der neue Mann im Abwehrzentrum neben Kapitän Sebastian Schonlau soll Dinamo Moskaus Saba Sazonov (21) werden, der allerdings mit jedem weiteren Spiel für Viertelfinalist Georgien bei der U-21-EM sowohl teurer als auch begehrlicher wird. „Es ist ein Spieler, der aktuell ein Turnier spielt. Das beobachten wir intensiv. Alles Weitere wird sich zeigen“, sagte Boldt über das Interesse des HSV.

Um die rechte Abwehrseite zu verstärken, bemüht sich der Club, wie berichtet, um Gents Alessio Castro-Montes (26). Doch der Belgier hat sich noch nicht entschieden, mit welchem Verein seine beiden Berater die Verhandlungen intensivieren wollen.

Welche HSV-Profis keine Perspektive haben

Sollten die genannten Spieler verpflichtet oder zumindest deren Positionen neu besetzt werden, wird es zwangsläufig auch zu Abgängen kommen. Robin Meißner steht vor einem Wechsel zu Drittligist Dynamo Dresden. Die Eigengewächse Stephan Ambrosius, der individuell trainierte, und Ogechika Heil sowie Filip Bilbija haben ebenfalls keine Perspektive mehr beim HSV.

Auch Moritz Heyer könnte sich in Anbetracht der anvisierten Verstärkungen für die Defensive Gedanken machen, ob sein Weg in Hamburg weitergehen soll. Die Talente William Mikelbrencis (19) und Elijah Krahn (19) sind wohl Kandidaten für eine Leihe. „Es ist nicht auszuschließen, dass noch der eine oder andere Abgang vollzogen wird“, sagt Boldt, ohne dabei auf Namen einzugehen.

HSV: Wie anpassungsfähig ist Walter?

Die womöglich entscheidende Frage für die neue Saison könnte allerdings weniger die Kaderplanung, sondern vielmehr den Trainer betreffen. Wie anpassungsfähig ist Walter bei seiner Spielidee?

Als der HSV im Laufe der abgelaufenen Rückrunde zu viele Gegentore kassiert hatte, veränderte der Coach seine Taktik leicht, um seiner Mannschaft zu mehr defensiver Stabilität zu verhelfen. Ausgetüftelt wurde die neue Idee gemeinsam mit Boldt und dem Trainerteam bei einem Trip nach Barcelona im März sowie einer weiteren Reise ein paar Wochen später.

„Wir sind definitiv flexibler geworden“, sagte Boldt über eine erste Wirkung der Maßnahme, kündigte aber zugleich an, dass sich am ballbesitzorientierten Fußball nicht viel ändern werde. „Wir haben eine Identität, und die wollen wir beibehalten.“ Na dann, auf einen sechsten Anlauf.