Hamburg. Vielseitig einsetzbarer Zugang könnte neue Rolle einnehmen. Warum Öztunali den HSV einst im Streit verließ und wieso Seeler sauer war.

Während ein Teil seiner neuen Mitspieler um Jonas David, der sich in der Sommerpause von seinen Locken getrennt hat, im UKE ein sportmedizinisches Programm unter Aufsicht von Reha-Trainer Sebastian Capel absolvierte, hatte HSV-Neuzugang Levin Öztunali (27) am Mittwoch Zeit, sich um private Angelegenheiten wie eine Wohnung in Hamburg zu kümmern.

Der ablösefrei von Union Berlin verpflichtete Enkel des vor einem Jahr verstorbenen Uwe Seeler war bereits am Dienstag bei seinen Medizinchecks umfassend untersucht worden. Beim Vorbereitungsstart auf die neue Zweitligasaison des HSV war Öztunali daher entschuldigt.

Als Öztunali den HSV im Streit verließ

Beim Trainingsstart am Freitag wird er erstmals seit zehn Jahren wieder im Shirt mit der Raute für die Öffentlichkeit zu sehen sein. Ein Moment, an den vor zehn Jahren bei Öztunalis Abgang aus der U 19 des HSV zu Bayer Leverkusen nicht zu denken war. Damals geriet sein Wechsel zum Politikum. Insbesondere zwischen Seeler und dem damaligen Sportchef Frank Arnesen krachte es gewaltig.

Der Vorwurf des Clubidols: Arnesen habe sich nicht ausreichend um einen Verbleib seines Enkels gekümmert. Der Däne konterte auf seine Art und beschloss, dass der seinerzeit 16 Jahre alte Öztunali nicht mehr am Punktspielbetrieb teilnehmen dürfe. Eine empathielose Entscheidung, die Arnesen als „das Beste für den HSV“ bezeichnete, Seeler hingegen als „armselig.“

Der Verein habe seine Seele und Tradition verloren, polterte der frühere Stürmer. Arnesen hingegen behauptete, Öztunali habe sich gegen die Familie und für das Geld aus Leverkusen entschieden. Die Schlammschlacht wurde wochenlang öffentlich ausgetragen – und aus der Ferne von Jonas Boldt verfolgt.

Öztunali: Wie Boldt den HSV ausstach

Der damalige Leiter der Leverkusener Scoutingabteilung hatte den kompletten 1996er-Jahrgang um die Toptalente Öztunali sowie die später von ihm zu Bayer gelockten Jonathan Tah (HSV) und Julian Brandt (Wolfsburg) intensiv verfolgt.

Als sich in Leverkusen herumsprach, dass Öztunali dank seines auslaufenden Vertrags ablösefrei zu bekommen sei, wurde das Werben um den damaligen deutschen U-17-Nationalspieler intensiviert. Parallel verschlief Arnesen den Abwerbungsversuch des damals noch auf Augenhöhe befindlichen Bundesligarivalen – und konnte diesen letztlich nicht mehr verhindern.

Levin Öztunali zeigt ein Foto seines verstorbenen Opas Uwe Seeler.
Levin Öztunali zeigt ein Foto seines verstorbenen Opas Uwe Seeler. © WITTERS | FrankPeters

HSV gewinnt mit Öztunali mehr Breite

Zehn Jahre später hat Boldt, der eine gute Beziehung zu Seeler pflegte, auf dessen 85. Geburtstag vorbeischaute sowie die Trauerrede im Volksparkstadion hielt, mit dem Wechsel Öztunalis erneut für Schlagzeilen gesorgt. „Meine gemeinsame Geschichte mit Levin begann vor zehn Jahren – umso mehr freue ich mich, dass wir Levin jetzt nach Hause holen konnten“, sagte der HSV-Vorstand, der mit dem Transfer einen konkreten Plan verfolgt.

Boldt ist nicht entgangenen, dass Trainer Tim Walter im Saisonendspurt kaum qualitative Alternativen für seine Startelfspieler zur Hand hatte. Insbesondere in der Relegation gegen den VfB Stuttgart wurde den Hamburgern aufgezeigt, welchen Unterschied eine hochgradig besetzte Ersatzbank um Topspieler wie Silas und Tiago Tomas machen kann.

Der HSV konnte in den beiden K.-o.-Spielen um die Bundesliga mit Ransford Königsdörffer hingegen nur einen wirklich torgefährlichen Spieler einwechseln. Die weiteren Alternativen waren fünf Spieler aus der U 21 – viele Kaderspieler waren verletzt. Für die kommende Spielzeit ist daher eines der erklärten Transferziele, den Kader in der Breite zu verstärken.

Muss Öztunali seine Spielweise anpassen?

Durch die Verpflichtung des flexibel einsetzbaren Öztunali wird der Konkurrenzkampf zusätzlich erhöht, in der Offensive sind nun alle Positionen doppelt besetzt. Da auf der Acht bereits Ludovit Reis, Immanuël Pherai, Laszlo Benes und Anssi Suhonen um die beiden Startelfplätze kämpfen, ist Öztunali eher auf den Außenbahnen eingeplant. Entweder als Herausforderer der Flügelstürmer Bakery Jatta und Jean-Luc Dompé oder in einer ganz neuen Rolle.

Denn mit Öztunali erhofft sich der HSV mehr taktische Variabilität. So könnte der Neuzugang auch als rechter Schienenspieler vor einer Dreierkette eingesetzt werden. Dafür müsste er allerdings das Risiko in seinem Spiel minimieren, denn der physisch und läuferisch starke Öztunali hat einen Hang zu vertikalen Schnittstellenpässen, die häufiger zu Ballverlusten führen. Ein Spielstil, den er unter Walter anpassen muss.

Öztunali beim HSV: Was wird aus Königsdörffer?

Am meisten unter dem Transfer leiden könnte Ransford Königsdörffer. Dem Flügelstürmer wird intern nachgesagt, dass er sich im Training zu wenig aufdränge. Dennoch verfügt der ghanaische Nationalspieler über eines der größten Potenziale aller HSV-Spieler. Nun droht dem Edelreservisten, der trotz seiner schwierigen Situation acht Tore schoss, noch weniger Einsatzzeit als in seiner Debütsaison. Dennoch rechnet im Volkspark momentan niemand mit seinem Abgang.

Ohnehin bleibt ein Fragezeichen, in welcher Form Öztunali beim HSV aufdribbelt. Bei Union Berlin saß der 190-malige Bundesligaspieler zuletzt eine komplette Saison lang auf der Bank. „Ziel ist es, dass er bei uns zu alter Stärke zurückfindet“, sagte Profifußballdirektor Claus Costa und deutete dabei an, dass Öztunali in Hamburg Zeit benötigen wird.