Hamburg. Welche Strategie die Anwälte des HSV-Profis verfolgen, welche Fälle helfen, welche Fristen gelten – und: kommt es nie zur C-Probe?
Auf einmal sah Mario Vuskovic die sich bietende Chance. Weil Sonny Kittels Ablage auf Ludovit Reis verunglückte, sprintete der Abwehrspieler des HSV in den freien Raum und zirkelte den Ball aus 24 Metern mit all seiner Finesse ins linke Eck zum 1:1. Fast auf den Tag genau ein halbes Jahr liegt dieser Moment, der den Volkspark zum Beben brachte, nun schon zurück. 3:1 siegte der HSV an diesem sonnigen Novembertag gegen Jahn Regensburg, den kommenden Gegner.
Es war Vuskovics vorletztes Spiel. Fünf Tage später durchsuchten Wasserschutzpolizisten seinen Kabinenspind, und er wurde wegen eines positiven Dopingtests (Epo) gesperrt. Beim Rückspiel am Sonntag wird Vuskovic am Laptop in seiner kroatischen Heimatstadt Split mitfiebern. Wann und ob er jemals wieder auf den Platz zurückkehren wird, ist ungewiss.
Seit ihn das DFB-Sportgericht Ende März für zwei Jahre aus dem Verkehr zog, bereiten sich seine Anwälte auf das Berufungsverfahren vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) in Lausanne (Schweiz) vor. Verteidigung und Nationale Antidoping-Agentur (Nada) waren gegen die vom Regelwerk abweichende Sperre vorgegangen. Die Nada pocht auf die dort vorgesehenen vier Jahre, Vuskovic, der weiter seine Unschuld beteuert, hofft auf Freispruch.
Mario Vuskovic: Cas-Frist für Anwälte des HSV-Profis
Wie das Abendblatt aus Cas-Kreisen erfuhr, haben beide Parteien bis Anfang Juni Zeit, um ihre Stellungnahme abzugeben. Für Vuskovic wird diese Aufgabe ein Neuzugang federführend übernehmen: der mit reichlich Cas-Erfahrung ausgestattete US-Anwalt Paul Green. Dafür rückt der bisher bei allen Sportgerichtsverhandlungen anwesende Rainer Cherkeh in den Hintergrund. Joachim Rain bleibt dem Team hingegen erhalten.
Green, der sich zurzeit in den Fall einliest, hatte auch den australischen 800-Meter-Läufer und Olympiavierten Peter Bol vertreten, der im Oktober 2022 zunächst positiv auf Epo getestet worden war. Nach der negativen B-Probe, mit der zugleich Fehler im Analyseverfahren (Sar-Page) aufgedeckt worden waren, wurde die Sperre wieder aufgehoben.
Auch wenn Vuskovics B-Probe positiv ausfiel, sind es Fälle wie diese, aus denen Green neue Hoffnung schöpft. Die Verteidigungsstrategie steht zwar noch nicht fest, schon jetzt ist aber klar, dass ein Hauptaugenmerk darin besteht, mögliche Präzedenzfälle zu identifizieren. Neben Bol werden die Anwälte auch die Fälle des italienischen Gehers Alex Schwazer sowie des tschechischen Triathleten Wojtek Sommer unter die Lupe nehmen.
Cas muss über C-Probe bei Vuskovic entscheiden
Schwazer hatte 2012 gestanden, mit Epo betrogen zu haben. Kurz nach Ablauf seiner vierjährigen Sperre wurde er 2016 positiv auf anabole Steroide getestet, woraufhin er für acht Jahre gesperrt wurde.
Das Kuriose daran: Die am Neujahrstag entnommene Probe war negativ und ist dennoch ein halbes Jahr später vom Labor erneut geöffnet worden. Vor einem Strafgericht wurde Olympiasieger Schwazer fünf Jahre später freigesprochen, weil seine Urinprobe „mit hoher Wahrscheinlichkeit manipuliert worden war“, wie der Richter 2021 sagte. Beim Cas fand das Urteil jedoch keine Beachtung. Schwazers Sperre hat nach wie vor Bestand.
Sommer war 2016 falsch-positiv auf Epo getestet worden. Als seine Unschuld erwiesen war, wurde seine Sperre unter Vereinbarung einer Verschwiegenheitsklausel mit der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) aufgehoben. Das verantwortliche Labor für diesen Fehler liegt in Kreischa (Sachsen), also dort, wo auch Vuskovics A- und B-Probe untersucht wurde.
Welche Strategie die Vuskovic-Anwälte verfolgen
Diese Fälle sind zwar nicht eins zu eins mit Vuskovics vergleichbar, es existieren aber Parallelen. Die Verteidigung hofft zudem, dass die Wada-Statuten vor dem Cas stärker in den Fokus rücken als beim DFB-Sportgericht. Dabei lautet die zentrale Frage, ob das unter Wissenschaftlern umstrittene Sar-Page-Verfahren, bei dem es keine Grenzwerte gibt, sondern Bilder verglichen werden, eine valide Grundlage für eine Verurteilung bietet.
Zur Erinnerung: In einem Radsporturteil des Cas aus dem Jahr 2001 heißt es, eine Epo-Probe könne nicht aus Basis einer „subjektiven Einschätzung oder Erfahrung“ für positiv oder negativ erklärt werden. Statt Interpretationen von Bildern habe ein Labor belastbare Kriterien anzuwenden, „damit auch dritte Parteien objektiv die gezogenen Schlüsse nachvollziehen können“.
Zwölf Jahre später werden auch Vuskovics Anwälte ihren Fokus auf ebendiese Schwachstelle im System der Wada legen. Somit ist erneut mit einer wissenschaftlichen Schlacht vor Gericht zu rechnen, wie es bereits vor dem Sportgericht der Fall war. Neben dem auf dem Prüfstand stehenden Sar-Page-Verfahren wird die Verteidigung versuchen, die Richter von Fehlern im Analyseverfahren sowie beim Transport der Dopingprobe nach Kreischa zu überzeugen.
Im Schriftsatz der Anwälte wird voraussichtlich wieder die vom DHL-Kurier für rund 24 Stunden unterbrochene Kühlkette auftauchen, auch wenn Wissenschaftler einhellig der Meinung sind, dass die falsche Lagerung einer Probe, wenn überhaupt, eher die Wahrscheinlichkeit eines negativen Ergebnisses erhöhe.
Welcher Vuskovic-Gutachter beim Cas?
Noch offen ist, welcher Gutachter Vuskovic vor dem Cas unterstützen wird. Setzten die Anwälte in Frankfurt ausschließlich auf die beiden deutschen Wissenschaftler Lorenz Hofbauer (Dresden) und Perikles Simon (Mainz), die DFB-Richter Stephan Oberholz zum Teil mehr verärgert als überzeugt hatten, könnte die Verteidigung bei der auf Englisch geführten Verhandlung in Lausanne auch auf die internationalen Wissenschaftler Jon Nissen-Meyer (Norwegen) und David Chen (Kanada) zurückgreifen. Ebenfalls in der Auswahl ist der Niederländer Douwe de Boer, der bei der B-Probe einen Bruch des Gels, auf dem Vuskovics Urin aufgetragen wurde, festgestellt hatte.
Geklärt werden muss auch, ob es jemals zu der vom Sportgericht angeordneten, aber nie umgesetzten und im Regelwerk der Wada auch nicht vorgesehenen C-Probe kommen wird. „Es ist eine Wertungsfrage, wie der Cas als unabhängiges Gericht mit dem nach wie vor existierenden Beweisbeschluss umgeht“, sagt Sportrechtler Horst Kletke, der bereits zahlreiche Mandanten in Lausanne vertreten hat.
Bei dieser Fragestellung steht der Cas vor demselben Dilemma wie das Sportgericht. Die Zivilrichter haben keine rechtlichen Mittel für eine Beschlagnahmung der Urinprobe, die von der Nada als Eigentümerin nicht herausgegeben wird.
Mario Vuskovic: Hilft dieser Trick für C-Probe?
Die den Zwängen der Wada unterlegene Nada müsste bei der Herausgabe kooperieren, doch dazu wird es nicht kommen. „Ich finde es nachvollziehbar, dass die Wada eine Drittanalyse ausschlägt, weil man sonst einen Präzedenzfall schaffte“, sagt Epo-Experte Wolfgang Jelkmann dem Abendblatt. Doch damit bliebe der Vorwurf, dass sich die Wada ausschließlich selbst kontrolliert – und damit gegen wissenschaftliche Standards verstößt?
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Denkbar wäre, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Doch die Behörde ist für ein Zivilverfahren nicht zuständig. Ein möglicher Kniff, um diese Hürde zu umgehen: Die Verteidigung könnte für das parallel laufende Strafverfahren einen Antrag auf eine Beschlagnahmung der Urinprobe stellen. Gäbe die Staatsanwaltschaft diesem statt, könnte der Cas von dem neuen Beweismittel Gebrauch machen.
Das Problem daran: Bis es dazu käme, würden mehrere Monate verstreichen. Bis zum Prozess, mit dem im August oder September zu rechnen ist, wird es also keine C-Probe geben. Dabei ist diese Drittanalyse wohl die einzige Möglichkeit, um die in der Komplexität des Falls manchmal untergehende Kernfrage zu beantworten: Hat Mario Vuskovic gedopt?