Hamburg. Es könnte erst 2024 zu Cas-Prozess kommen – oder wird das Dopingverfahren ausgesessen? Kosten für Anwälte höher als HSV-Gehalt.
Mario Vuskovic dürfte gelegentlich verzweifeln, wenn er das Durcheinander in der Defensive des HSV sieht. Trotz des gelungenen Saisonstarts mit vier Punkten aus zwei Spielen gegen die Aufstiegsrivalen Schalke (5:3) und Karlsruhe (2:2) kassieren die Hamburger zu viele Gegentore ohne den wegen Dopings gesperrten Innenverteidiger. Davon macht sich der Kroate regelmäßig selbst ein Bild, wenn er im Volksparkstadion zu Gast ist, so wie beim Saisonauftakt gegen Schalke.
Als Vuskovic noch mitspielen durfte, stand der HSV für Offensivspektakel und eine stabile Abwehr. Seit er im November 2022 wegen eines positiven Epo-Tests aus dem Verkehr gezogen wurde, steht der Zweitligist für Tore auf beiden Seiten.
Der verspielte Aufstieg ist wohl auch mit dem Fehlen des zweikampfstarken Kroaten zu erklären, ohne den der HSV 47 Prozent mehr Gegentore kassiert hatte. Bezogen auf den Saisonstart sind es sogar 144 Prozent, also mehr als doppelt so viele.
Mario Vuskovic: Staatsanwaltschaft ermittelt weiter
Es sind Zahlen, die Vuskovics Stellenwert für die Mannschaft unterstreichen. Trainer Tim Walter wird jedoch an einer Spielweise arbeiten müssen, die ohne Vuskovic funktioniert, denn an seine Rückkehr ist weiterhin nicht zu denken.
Seit der Abwehrspieler vor dem Cas gegen die vom DFB-Sportgericht verhängte Zweijahressperre in Berufung gegangen ist, herrscht Stillstand in dem Verfahren. Seit Ende vergangener Woche sorgen von mehreren Medien verbreitete Berichte über vermeintlich eingestellte Ermittlungen der Staatsanwaltschaft für Hoffnung unter den HSV-Fans. Das Problem an der Geschichte: Sie stimmt nicht.
„Die Ermittlungen wurden bisher nicht eingestellt“, teilt der Leitende Oberstaatsanwalt Gerald Janson auf Anfrage mit.
Die Wahrheit über Mario Vuskovic
Vermutlich kam der Stein gegenteiliger Meldungen wegen eines missverständlichen Satzes des Ausgangsberichts ins Rollen, der von mehreren Medien übernommen und teilweise als eigene Information gekennzeichnet wurde. Richtig ist: Nach Abendblatt-Informationen wurden lediglich die polizeilichen Ermittlungen der beschlagnahmten elektronischen Geräte und des persönlichen Hab und Guts eingestellt.
„Ich kann Ihnen bestätigen, dass im April 2023 zwei iPhones und ein iPad an Herrn Vuskovic wieder herausgegeben worden sind“, sagt Janson von der Staatsanwaltschaft. Weitere Besitztümer wie Kleidung und ein Laptop sollen bei der Hamburger Behörde zur Abholung bereitliegen. Beweise, die den Dopingverdacht erhärten, wurden dabei nicht gefunden.
Bei den darauf basierenden Schlussfolgerungen, es werde nicht zu einer Anklage der Staatsanwaltschaft kommen, handelt es sich um gewagte Interpretationen. Denn für eine Anklage kann bereits der positive Dopingtest ausreichen. Anders als im Sportrecht muss dem Verdächtigen im Strafrecht zwar die Schuld nachgewiesen werden. Dennoch ist es für die Eröffnung eines Prozesses nicht erforderlich, das Epo-Vergehen anhand der beschlagnahmten Besitztümer nachzuweisen.
Teilerfolg für Vuskovic nach Ermittlungen
Stattdessen war sogar erwartet worden, dass dieser Teil der Ermittlungen ergebnislos beendet wird, da hauptsächlich systematisches Doping hätte nachgewiesen werden können. Doch dieser Anfangsverdacht war bereits vom DFB-Sportgericht beerdigt worden.
Bei den Durchsuchungen hätten aber auch die Hintermänner identifiziert werden können. „Hinter Epo steht selten ein Sportler allein. Meist verbirgt sich dahinter ein ganzes Netzwerk, bei dem auch die Dosis und alles andere abgestimmt wird“, hatte Doping-Experte Fritz Sörgel bereits vor einiger Zeit gesagt.
Dass es weiterhin keine Hinweise auf einen Arzt gibt, der Vuskovic mit Epo hätte gespritzt haben können, darf der Profi als kleinen Etappensieg für sich werten.
Vuskovic-Prozess vor dem Cas erst 2024?
Bis zur Entscheidung, ob es zu einer Anklage kommt, wird die Staatsanwaltschaft allerdings den Ausgang des sportrechtlichen Prozesses vor dem Cas abwarten. Da in Lausanne Vuskovic in der Pflicht ist, seine Unschuld zu beweisen, haben die beendeten polizeilichen Ermittlungen keinen Einfluss auf die Entscheidung über seine Sperre. Wie aber geht es nun weiter?
Nachdem der Cas die ursprünglich für Anfang Juni gesetzte Frist für das Einreichen der Schriftsätze aufgehoben hatte, hat das Gericht noch immer keinen neuen Termin festgelegt, bis wann Vuskovics Anwälte und die auf eine vierjährige Sperre pochende Nationale Antidoping-Agentur (Nada) ihre Berufungen begründen sollen. Mit einem Prozess ist daher nicht vor Dezember, vielleicht sogar erst im Jahr 2024 zu rechnen.
„Der bisherige zeitliche Ablauf ist normal. Bis zu einem Prozesstermin vor dem Cas kann es mehrere Monate, manchmal sogar mehr als ein Jahr dauern“, sagt Rechtsanwalt Horst Kletke, der schon mehrere Bundesligisten und Spieler vor dem Cas vertreten hat, dem Abendblatt.
Wenig Verständnis hat der Rechtsexperte dagegen für den stattgegebenen Antrag der Nada, mehr Zeit für die eigene Erklärung zu bekommen. „Dass die Schriftsatzfristen ausgesetzt wurden, finde ich ausgesprochen nachteilig für den Spieler, der durch die zweijährige Sperre aktuell außer Gefecht gesetzt ist“, sagt Kletke.
Vuskovic-Anwälte fahnden nach Vergleichsfällen
Die Verzögerung ermöglicht allerdings auch Vuskovics Anwälten mehr Zeit, die Verteidigungsstrategie minutiös auszuarbeiten. Eine entscheidende Rolle werden dabei Vergleichsfälle wie den des australischen 800-Meter-Läufers Peter Bol einnehmen.
Der Olympiavierte war im Oktober 2022 zunächst positiv auf Epo getestet worden. Nach der negativen B-Probe, mit der Fehler im umstrittenen Analyseverfahren (Sar-Page) aufgedeckt worden waren, wurde die Sperre wieder aufgehoben.
Der Fall zeigt, dass das Antidopingsystem der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) eben doch nicht unfehlbar ist, wie die Organisation immer behauptet.
Kritik am Epo-Verfahren der Wada
Trotzdem lassen die Antidoping-Wächter keine unabhängige Analyse zu. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist es bedenklich, dass die Nada und die Wada ihre eigene Arbeit kontrolliert, und nicht, wie sonst in der Wissenschaft üblich, externe Labore in diffizilen Fällen beauftragt werden“, kritisiert Epo-Experte und Nada-Kommissionsmitglied Wolfgang Jelkmann, der 2009 als Gutachter beim Blutdopingprozess gegen die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein mit dabei war.
„Das, was in unseren Laboren gemessen wird, ist hochspezifisch. Diese Möglichkeit gibt es in anderen Laboren überhaupt nicht“, konterte die inzwischen ausgeschiedene Nada-Vorständin Andrea Gotzmann unlängst.
- HSV-Stadion: Jetzt beginnt das 10-Millionen-Euro-Projekt
- HSV-Profi Reis nach Verletzung zurück auf dem Trainingsplatz
- Jakob Golz verrät: So will Rot-Weiss Essen den HSV ärgern
Bei Epo gibt es keine Grenzwerte, stattdessen werden Bilder verglichen. Vuskovics Anwälte um den Cas- und Dopingprozess-erfahrenen US-Amerikaner Paul Green, der auch Bol vertrat, werden daher den Fokus auf mögliche Fehler des Sar-Page-Verfahrens legen.
Da Vuskovic weiterhin seine Unschuld beteuert, lautet die zentrale Frage seiner Gutachter: Ist das einem positiven Epo-Befund ähnlich sehende Bild seiner A- und B-Probe mit legalem körpereigenen Epo zu erklären?
Mario Vuskovic: Wird Doping-Prozess ausgesessen?
Eine Frage, mit der sich auch der Cas beschäftigen muss. Doch es kursieren bereits Gerüchte, die Nada könnte einen Prozess bis November 2024 verzögern, wenn Vuskovics Sperre ausläuft. Um einer Verhandlung aus dem Weg zu gehen, bräuchte es eine Vereinbarung aller Parteien. Weil Vuskovic seinen beschädigten Ruf rehabilitieren möchte, ist allerdings nicht mit seiner Zustimmung zu rechnen.
Seine Anwaltskosten, die nach Abendblatt-Informationen bereits eine sechsstellige Summe erreicht haben, werden also weiterhin eine finanzielle Belastung für den 21-Jährigen darstellen. Denn die Kosten übersteigen sein Gehalt, das er weiterhin vom HSV bezieht.
Doch welche Alternative hat Vuskovic? Der Abwehrspieler ist gewillt, finanziell ins Risiko zu gehen. Denn es geht um seine sportliche Existenz.