Hamburg. Neue Hoffnung durch Sportrechtler: HSV-Profi hätte im Dopingprozess nie verurteilt werden dürfen. Ein Blick geht zur Wada und zum CAS.
Die momentan zu vielen Aussetzer in der Abwehr des HSV zehren auch an den Nerven von Mario Vuskovic (21). Seit der zweikampfstarke Kroate im November wegen eines positiven Epo-Tests nicht mehr spielberechtigt ist, kassiert der HSV 42 Prozent mehr Gegentore als zuvor. Eine Quote, die Vuskovics Stellenwert in der Mannschaft unterstreicht.
Doch nach dem jüngsten Urteil des DFB-Sportgerichts, das Vuskovic wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt hat, wird HSV-Trainer Tim Walter weiter auf seinen besten Innenverteidiger verzichten müssen. Ob es bei der Sperre bis zum 14. November 2024 bleibt, muss nun das DFB-Bundesgericht klären.
Mario Vuskovic: Experte Kletke setzt auf Freispruch
Die Verteidigung kündigte bereits an, in Berufung zu gehen, doch wie stehen die Chancen für dieses voraussichtlich im Mai angesetzte Verfahren? „Der Spieler hat ein Recht darauf, freigesprochen zu werden“, sagt der Sportrechtler Horst Kletke im Abendblatt-Podcast HSV – wir müssen reden.
Kletke gilt als Experte für Rechtsfragen, in seiner Laufbahn vertrat er schon mehrere Bundesligisten und Spieler vor den einzelnen Instanzen der Sportjustiz. Als das Abendblatt ihn für einen Podcast zum Fall Vuskovic anfragte, sagte der sich im Urlaub befindende Kletke umgehend zu. Weil er das Gefühl habe, dass dem HSV-Profi Unrecht geschehe.
Schon vor dem Urteil hatte Kletke im Abendblatt einen Freispruch als „konsequent“ bezeichnet, weil die richterlich angeordnete erneute Analyse des positiv auf Epo getesteten Urins vom 16. September von der Welt-Antidoping-Agentur verweigert wurde. Doch das Sportgericht entschied anders.
Trotz des nach wie vor weder umgesetzten noch aufgehobenen Beweisbeschlusses einer C-Probe, die DFB-Richter Stephan Oberholz zuvor als unabdingbar für seine Urteilsfindung erklärt hatte, wurde Vuskovic gesperrt. Dies sei eine fragwürdige Entscheidung, findet Kletke. „Es hätte keine Verurteilung geben dürfen.“
Kletke über Vuskovic: Beweisvereitelung der Wada
Doch die gab es nun mal. Rechtskräftig ist das Urteil erst, wenn der Fall durch alle Instanzen gegangen ist. Und Kletke sieht gute Chancen, dass das Bundesgericht Oberholz’ Entscheidung aufheben wird. „Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die der Verteidigung genügend Angriffspunkte bieten“, sagt der Jurist zum vor allem in seiner Begründung zweifelhaften Urteil.
Am gravierendsten ist die vom DFB eingeräumte Tatsache, dass die Nationale Antidoping-Agentur auf Anweisung der Wada die Herausgabe von Vuskovics restlichem Urin für eine erneute Analyse eines unabhängigen Wissenschaftlers ablehnt. Ein Verhalten, das für Kletke einer „Beweisvereitelung“ gleichkomme.
„Es ist vollkommen unstrittig, dass man diese Flüssigkeit nochmals überprüfen könnte durch einen qualifizierten Gutachter“, sagt der Anwalt. „In so einem Fall, der so schwerwiegende Konsequenzen wie ein zweijähriges Berufsverbot nach sich ziehen kann, müssen alle Register gezogen werden, um die Schuldfrage zu klären.“
Warum die C-Probe im Fall Vuskovic nötig ist
Doch wie soll ein Beschuldigter etwas beweisen, das er nicht getan haben will? Vuskovics internationale Gutachter zweifeln das Analyseergebnis der Wada an und bezeichnen es als „falsch-positiv“. Ihr Hauptargument neben geplatztem Gel und einem erhöhten Proteingehalt auf dem Teststreifen: Vuskovics Probe zeige einen sehr hohen legalen körpereigenen Epo-Anteil, doch bei Dopingsündern müsse dieser Wert gen null gehen. Eine Ansicht, die von den Experten der Wada belächelt wird.
Die einzige Lösung, um für Klarheit in diesem Streit unter Wissenschaftlern zu sorgen, wäre eine C-Probe, der Vuskovic und die Nada vor dem Sportgericht zustimmten. Kletke bezeichnet die richterliche Anordnung deshalb als „konsequent“. „Das ist die einzige Möglichkeit, der entweder die Unschuld beweist oder die Schuld erkennen lässt.“
Doch der vom DFB beauftragte Epo-Forscher Jean-Francois Naud verweigerte eine zunächst zugesagte Öffnung der Dopingprobe, weil ihm die Wada mit dem Verlust seiner Labor-Akkreditierung drohte. Es ist zwar legitim für die Wada, eine in ihren Regeln nicht vorgesehene C-Probe zu verweigern. Es ist allerdings auch das Recht des Sportgerichts, eine solche anzuordnen.
„Die Frage der Schuld oder Unschuld darf sich nicht an solchen formellen Grenzen orientieren, sondern daran, wie man die Wahrheit herauskriegt“, erklärt Kletke in einer auch für Laien gut verständlichen Art. „Nur dieser Anspruch kann die Messlatte sein. Die Anordnung der Drittanalyse war zulässig.“
Vuskovic: Für Kletke kann es nur Freispruch geben
Für Kletke hätten sowohl das Sportgericht als auch Vuskovic alles in ihrer Macht stehende getan, um für Aufklärung zu sorgen. „Wenn die Beweisführung nur daran scheitert, dass eine Drittpartei (Wada) die Herausgabe des Urins verweigert“, dann könne der Spieler dafür nicht verantwortlich gemacht werden, sagt der Anwalt. „Insofern wäre der Freispruch nur konsequent.“
Das Bundesgericht werde sich daher mit der Frage beschäftigen müssen, warum es trotz der angeordneten, aber nicht umgesetzten C-Probe zu einer Verurteilung gekommen ist. „Der Beweisbeschluss sagt nichts anderes aus, als dass das Sportgericht die A- und B-Probe nicht als eindeutig überzeugend ansieht. Natürlich gab es Zweifel“, ist Kletke überzeugt.
Das Bundesgericht bezeichnet der Anwalt nach seinen zahlreichen Erfahrungen als „unabhängig“ und „mit reichlich juristischer Qualität ausgestattet“. In der Theorie könne die Anordnung der C-Probe im Berufungsverfahren auch wieder einkassiert werden. Doch auf welcher Argumentationsbasis dies geschehen solle, dafür fehlt Kletke die Fantasie.
„Die Überschrift über all den Fragen lautet: Hat der Spieler wirklich gedopt? Wenn es nach der A- und B-Probe erhebliche Zweifel an der Schuld gibt und eine dritte Analyse ermitteln soll, ob das Ergebnis stimmt oder nicht, dann muss man diesen Beweisbeschluss auch umsetzen.“
CAS-Urteil als Präzedenzfall für Vuskovic?
Wie dem HSV ist es auch Kletke wichtig klarzustellen, dass Doping im Sport nichts zu suchen habe. Doch eine Sperre könne eben nur erfolgen, wenn die Schuld „überzeugend nachgewiesen“ werde. Und das sei im Fall Vuskovic momentan nicht der Fall. „Solange es weiterhin keinen unumstößlichen Schuldbeweis gibt, gilt die Unschuldsvermutung“, sagte Kletke.
Vuskovic zugute kommt zudem ein Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs CAS von 2001 über die Sar-Page-Analysemethode, die auch bei Vuskovic zum Einsatz kam und bei der Bilder miteinander verglichen werden. Damals entschieden die Richter, dass das bloße geschulte Auge aus juristischer Sicht nicht zur Epo-Überführung ausreiche. „Dieses Urteil ist für den Fall Vuskovic sehr bedeutsam. Ich bin mir sicher, dass das Bundesgericht diese Entscheidung vom CAS mit einbeziehen wird“, prognostiziert Kletke.
Mario Vuskovic: Wada-Berufungsverfahren parallel?
Im Übrigen wollen auch die Nada und Wada bis Donnerstag prüfen, ob sie vor dem CAS in Berufung gegen das Strafmaß gehen werden. Denn laut den Regularien des DFB müssen Dopingsünder für vier Jahre gesperrt werden. Finden im Fall der Fälle beide Berufungsverfahren parallel statt?
„Ich gehe davon aus, dass ein mögliches Berufungsverfahren vor dem CAS ausgesetzt würde, um abzuwarten, wie das Bundesgericht entscheidet“, erklärt Kletke, der allerdings klarstellt: „Wenn das Bundesgericht zu einem Freispruch käme, dann wäre das Berufungsverfahren der Nada oder Wada vor dem CAS obsolet, denn es gäbe kein Strafmaß mehr, welches verletzt worden sein könnte.“
Eine Prognose, die für Kletke im Fall Mario Vuskovic die wahrscheinlichste ist.